Die Aufarbeitung der Geschichte der Zeitschrift »Raumforschung und Raumordnung«
Eine neue Special Issue der Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning befasst sich mit den ersten Ausgaben der Zeitschrift während und direkt nach der NS-Zeit. Sie will einen Anstoß geben für eine tiefergehende Aufarbeitung der Rolle der Zeitschrift, ihrer Themen sowie Autorinnen und Autoren im Kontext des Nationalsozialismus.
09.03.2023
Die Fachzeitschrift Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (RuR) erscheint in diesem Jahr im 81. Jahrgang. Sie wird seit 2009 gemeinsam von der ARL, dem Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL), dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) und dem ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung herausgegeben. Seit 2021 erscheint die Zeitschrift im oekom verlag.
Die Anfänge der Zeitschrift liegen jedoch weiter zurück. Die erste Ausgabe erschien 1936, in der NS-Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Eine systematische Untersuchung der Geschichte der RuR, vor allem hinsichtlich der Behandlung von Themen sowie inhaltlicher, methodischer und personeller Kontinuitäten von der NS-Zeit in die Nachkriegszeit, erfolgte bislang noch nicht.
Das soll sich nun ändern: Mit dem Schwerpunktheft »Geschichte der Zeitschrift ›Raumforschung und Raumordnung‹« hoffen die Editorin und Editoren, Dr. Kati Volgmann (ILS), Dr. Mathias Jehling (IÖR), Prof. Dr. Roger Keil (York University), Dr. Nadir Kinossian (IfL), Prof. Dr. Andreas Klee (ARL) und Dr. Manfred Kühn (IRS), einen Anstoß für die Befassung mit tiefergehenden Analysen zur Rolle der Zeitschrift im Kontext des Nationalsozialismus, zu den behandelten Themen und zu den Autorinnen und Autoren zu geben, indem sich vier Beiträge der schwierigen Geschichte der RuR stellen.
- Im Artikel »Die Zeitschrift ‚Raumforschung und Raumordnung‘ (RuR) von 1936 bis 1944 als Medium akademischer Forschung im ‚Dritten Reich« analysiert Oliver Werner die RuR als »Medium akademischer Forschung im ›Dritten Reich‹« und kommt zum Schluss, dass die Zeitschrift bedeutende Impulse für die Raumwissenschaften in den Vorkriegsjahren gab, unter anderem da sie immer wieder auf die Themen »Rasse« und »Raum« Bezug nahm und diese gleichsam zu akademischen Grundlagen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik machte.
- Der Beitrag »Die Anfänge der Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung (RuR) – 1936 bis 1944. Zeit- und Ungeist im Umbruch« von Wendelin Strubelt ist eine Untersuchung der RuR-Artikel vom ersten Beitrag bis zum kriegsbedingten Einstellen der Zeitschrift über wiederkehrende Themen, beispielsweise die Thematisierung »ungesunder Ballung« in Großstädten bei gleichzeitiger Hervorhebung von Bauerntum und ländlicher Siedlungsweise. Strubelt arbeitet heraus, dass die Zeitschrift einerseits wissenschaftliche Grundlagen aufzuarbeiten versuchte, andererseits dem ideologischen nationalsozialistischen Gedankengut breiten Raum gab.
- Um die Veränderungen von Aufmachung, Botschaft und Rhetorik der in der RuR zwischen den 1930er-Jahren und der unmittelbaren Nachkriegszeit publizierten Karten geht es in Matthew Mingus‘ Artikel »The Cartographic Propositions of Raumforschung und Raumordnung, 1936-1955: from Territorial Expansion to Defeat and Division«. Er macht zum einen deutlich, wie Karten dazu benutzt wurden, inhaltliche Aussagen zu untermauern, zu verstärken und dabei Überzeugungsarbeit zu leisten; zum anderen kann er zeigen, dass der »kartographische Blick« vor dem Zweiten Weltkrieg auf das Deutsche Reich und seine eroberten Gebiete gerichtet ist und sich ab 1950 der Abgrenzung der Bundesrepublik zu ihren östlichen Nachbarn zuwendet.
- Harald Kegler befasst sich in seinem Beitrag »Die Zeitschrift ‚Raumforschung und Raumordnung‘ und die DDR. Zur Rezeption der DDR-Raumplanung in ‚Raumforschung und Raumordnung‘ (RuR)« mit der Rezeption der DDR-Raumplanung, die sich – parallel zum Wandel des Bildes der DDR in der alten Bundesrepublik – von einer eher kritisch-distanzierenden, politisch nuancierten hin zu einer nüchternen Rezeption mit fachwissenschaftliche Duktus übergeht.
Die ARL arbeitet auch ihre eigene Gründungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg und Bezüge zu ihrer Vorläuferinstitution, der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, im Nationalsozialismus auf, unter anderem in einer Stellungnahme des ARL-Präsidiums, in der auch auf die Auseinandersetzung mit der Geschichte der RuR hingewiesen wird.
Der oekom verlag begrüßt und unterstützt die kritische Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der Zeitschrift und veröffentlicht die Spezialausgabe als Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Raumforschung und Raumordnung.