Interview

Es wird Zeit! 3 Fragen an Harald Lesch, Karlheinz Geißler und Jonas Geißler

Was ist eigentlich Zeit und warum hat scheinbar nie jemand welche? Sie bestimmt unser Leben und ist doch so wenig greifbar. Deshalb haben wir unsere Zeitexperten Harald Lesch, Karlheinz Geißler und Jonas Geißler zum Interview gebeten, um wichtige Fragen zu klären: (wie) kann man Zeit definieren? Wie hängt sie mit den aktuellen Krisen zusammen? Und wie schafft man es, endlich mehr von ihr zu haben?

10.03.2021

Es wird Zeit! 3 Fragen an Harald Lesch, Karlheinz Geißler und Jonas Geißler | Zeit Zeitwohlstand Zeitökologie

Der Physiker Harald Lesch, der Zeitforscher Karlheinz Geißler und der Zeitberater Jonas Geißler haben sich zusammengetan und »Alles eine Frage der Zeit« geschrieben. Jeder der drei Zeitexperten bringt in dem Buch seine ganz eigene Perspektive auf das Thema Zeit ein – wir haben sie im Interview dazu befragt.

Was ist eigentlich Zeit?

Harald Lesch: Die Zeit ist der große Gleichmacher, denn alle wissen, was die Stunde geschlagen hat. Schließlich ist jeder Tag mehr ein Tag weniger. Wir wissen, unsere Zeit läuft ab. Und weil wir das wissen, hadern wir mit der Zeit, lassen sie nicht einfach vergehen, sondern möchten sie, wie alles andere auch, beherrschen.

Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Sie beherrscht uns. Sich ihr entgegenzustellen mit allen Mitteln scheint das Ziel unserer Welt zu sein. Wir träumen von Ewigkeit im Netz. Ganz früher Urzeit, dann Uhrzeit, heute nur noch Null und Eins. Da kann ich nur sagen: Auszeit! Oder, je nach Tageszeit, vielleicht auch Mahlzeit. Zeit wird es auf jeden Fall.

Wie hängen aus Ihrer Sicht die großen ökologischen Krisen mit dem Thema Zeit zusammen?

Karlheinz Geißler: »Zeit ist Geld«: Auch wenn es uns regelmäßig mit mahnend erhobenem Zeigefinger gesagt wird, es stimmt nicht.

Haben wir jetzt, wo die Pandemie durch das abrupte Ende unserer grenzenlosen Mobilität für mehr Zeit gesorgt hat, auch mehr Geld? Schonungs- und rücksichtslos legt die Pandemie unseren problematischen Umgang mit Zeit frei. Der aber ist nicht nur für das Virus und seine rasche Globalisierung verantwortlich, sondern auch für die menschengemachten Klimadramatiken und die Zerstörungen der natürlichen Umwelt.

Seit der Mensch die Zeit nicht mehr am eigenen Leib erfährt, sondern am Ziffernblatt der Uhr abliest, hat er sich von der zeitlichen Vielfalt und den rhythmischen Zeitmustern der Natur und dem zyklischen Geschehen am Himmel entkoppelt. Die Uhr, ihr Zeigerverlauf und ihr Takt ignorieren die existierende Zeitvielfalt. Um über Zeit verfügen zu können, schrumpft sie die Uhr zu einer mechanisch hergestellten Standardzeit ein. Die Zeiten verlieren dabei ihre bunte Vielfältigkeit sowie ihren sinnlichen und auch menschlichen Charakter.

Die Uhr ist der Tod der Zeit, vor allem ihrer Vielfalt. Das ist einer der folgenreichsten Gründe, warum die zentrale Bedeutung der Zeitmuster sowie die der System- und Eigenzeiten in den ökologischen und kulturellen Kontexten bisher weitestgehend übersehen und vernachlässigt wurden.

Die Illusion von der Verrechnung von Zeit in Geld kommt uns teuer zu stehen. Natur, Gesellschaft und Individuen zahlen dafür einen hohen Preis.

Harald Lesch, Jonas Geißler und Karlheinz Geißler im Gespräch


Was ist Ihr Top-Tipp für mehr Zeitwohlstand im Leben?

Jonas Geißler: Geld- und Güterwohlstand erzeugen wir über das Tun und die Verrechnung von Zeit in Geld. Zeitwohlstand erlangt man eher über das »Lassen« als über das »Machen«; Das »Sein-lassen«, das »Sich-ein-lassen« und das »ver-lassen«. Der Zustand, der sich dann im besten Falle einstellt, ist »Ge-lassenheit«.

Auf dem Weg zu mehr Zeitwohlstand sollten wir pausenlose Aktivität und verdichtete Hetze sein lassen und uns stattdessen den Momenten der Resonanz öffnen. Denn die Zeiten, die zählen, sind jene, die wir nicht zählen.

Wir dürfen uns darauf verlassen, dass die wesentlichen Elemente des Lebens entstehen, weil wir sie gerade nicht absichtsvoll erzeugen wollen. Dazu zählen die Liebe, das Vertrauen, die Zuversicht und andere mehr. Und wir dürfen unser schlechtes Gewissen und die gefühlte Ungenügsamkeit im Umgang mit Zeit weglassen und abends nicht als schuldige Subjekte ins Bett steigen.

Der bewusst gelebte Augenblick, das Aufgehen im Jetzt ist ein Schlüssel zum Zeitwohlstand. Denn das Leben findet immer nur jetzt statt. Auch jetzt gerade!

Ansicht des Buch-Specials zu »Alles eine Frage der Zeit«

Mehr Informationen zu den Autoren sowie Videos und Podcasts zum Thema Zeit finden Sie in unserem Special zum Buch.

Mehr lesen Sie in 

Warum die »Zeit ist Geld«-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt

»Klimakrise, Artensterben, Burn-out? Alles eine Frage der Zeit!« - Harald Lesch

 

Zeitnot und Hektik prägen unsere Gesellschaft. ...

  

Die Autoren 

Jonas Geißler ist als Speaker, Facilitator und (Zeit-)Berater für verschiedene Organisationen tätig, unter anderem mit dem Zeitberatungsinstitut timesandmore. Er ist außerdem Mitgründer der MANEMO eG, die Beratung zu nachhaltigen Formen ...

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Karlheinz A. Geißler war einer der bekanntesten Zeitforscher der letzten Jahrzehnte. Er studierte Philosophie, Ökonomie und Pädagogik und war von 1975 bis 2006 Professor für Wirtschafts- und Sozialpädagogik an der Universität der ...

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Harald Lesch ist Physiker, Naturphilosoph, Autor und Fernsehmoderator (unter anderem für Abenteuer Forschung, Leschs Kosmos und die Terra-X-Reihe Faszination Universum). Der Autor zahlreicher ...

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