In Erinnerung an Paul J. Crutzen
Nobelpreisträger, Pionier der Atmosphärenchemie und Vordenker der Erdsystemforschung: Der oekom verlag trauert um seinen Autor Paul J. Crutzen, der am 28. Januar 2021 verstorben ist. Ein Nachruf von Weggefährte Michael Müller.
03.02.2021
Am letzten Donnerstag ist unser Freund Paul J. Crutzen im Kreise seiner Familie gestorben. Er wurde 1933 in Amsterdam geboren und starb mit 87 Jahren in Mainz, wo er als Direktor des Max Planck Instituts für Atmosphärenchemie tiefe wissenschaftliche Spuren hinterlassen hat. Sein Tod ist sehr schmerzhaft, aber er kam nicht unerwartet, denn er litt schon einige Zeit an einer schweren Krankheit.
Der niederländische Atmosphären- und Erdsystemforscher steht in der Tradition Alexander von Humboldts: »Um das Geschaffene im Himmel und auf Erden zu verstehen, muss die Erscheinung der Dinge in einem Zusammenhang gesehen werden.« Das ist das, was Crutzen tat und damit ein weltweites Wirkungsfeld entwickelte.
Crutzen, dessen Neugier an der Erforschung fast grenzenlos war, entdeckte früh sein Interesse an den Naturwissenschaften. Nach Tätigkeiten in Architektur- und Konstruktionsbüros begann es seine wissenschaftliche Karriere als Computerprogrammierer der Universität Stockholm und studierte Meteorologie. Crutzen wurde zu einem entscheidenden Wegbereiter der Atmosphären- und Erdsystemforschung, ein verantwortungsbewusster Mahner für den Schutz der natürlichen Mitwelt.
Mit seinen bahnbrechenden Studien wurde Crutzen zum Jahrhundertwissenschaftler. Er gehört in den letzten drei Jahrzehnten zu den meistzitierten Forschern weltweit überhaupt und legte mit seinen Arbeiten über Stickoxide die Grundlagen für die Entschlüsselung des Ozonabbaus. 1995 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Den Preis, die erste auch umweltpolitische Auszeichnung des Nobelkomitees, teilte er sich zusammen mit Mario Molina und Sherwood Rowland. »A Nobel Prize with Political Punch«, schrieb die New York Times.
Crutzen war nicht nur ein großer Wissenschaftler und Pionier der Erdsystemforschung, er war ein politischer Mensch. Sein Engagement gehörte auch der Abrüstung und Friedensfrage. Ein großer Meilenstein für die Erdsystemforschung war 2002 sein Essay »Die Geologie der Menschheit«, in dem Crutzen den Vorschlag machte, die heutige geologische Erdepoche Anthropozän, also Menschenwelt, zu nennen, weil die Menschheit gleichsam zur stärksten Naturgewalt aufgestiegen ist. Er brachte einen großen Stein ins Rollen und setzte die heute wahrscheinlich wichtigste Debatte über die Verantwortung von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in Gang.
Crutzen war in vielen wichtigen Kommissionen, so auch in der UNO, in der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages und dem Expertengremium zu den planetarischen Grenzen der Erde. Er veröffentlichte mehr als 360 wissenschaftliche Arbeiten und 15 Bücher. 25 mal wurde er mit dem Ehrendoktor ausgezeichnet. Er lehrte an vielen bedeutenden Universitäten der Welt.
Oekom konnte ihn 2019 für das Buch mit Schlüsseltexten des Nobelpreisträgers gewinnen: »Paul J. Crutzen. Das Anthropozän«. Herausgegeben von Michael Müller mit Einführungen u. a. von Hans-Joachim Schellnhuber und Klaus Töpfer. Der Verlag verneigt sich vor einem großen Menschen.
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