Unter Pestizidrebellen
Es begann mit der Frage, warum Menschen Widerstand leisten, und endete in einer Anklage gegen den Autor selbst. Was Alexander Schiebel (»Das Wunder von Mals«) bei den Südtiroler Pestizidgegner*innen erlebte und wie er nun seinem Prozess entgegenblickt, erzählt er im Interview mit Online-Redakteurin Janine Gaumer.
07.09.2020
Janine Gaumer: Mals im Vinschgau ist eine kleine Gemeinde, die außerhalb Südtirols höchstens als Skigebiet bekannt war – wie haben Sie von dieser Geschichte über den Kampf für Pestizidfreiheit erfahren?
Alexander Schiebel: Ich habe ab 2013 den Videoblog »suedtirolerzaehlt« aufgebaut, in dem ich Land und Leute anhand von faszinierenden Menschen zeigen wollte. Während der Arbeit an diesem Blog habe ich die Lokalzeitungen immer recht eifrig studiert und auf diesem Wege bin ich über die Geschichte in Mals gestolpert. Die Südtiroler Presse hat am Tag nach der Volksabstimmung in Mals geschrieben, dass das Ergebnis null und nichtig sei. Aus irgendwelchen formellen Gründen sei es demnach ganz egal, was die Bevölkerung dort will. Das war mir unerträglich, dass man Menschen, die für ihren eigenen Weg oder ihre eigene Tradition kämpfen, sagt: Das könnt ihr nicht machen, denn es gibt irgendein formales Hindernis. Und deshalb ist das, was ihr wollt, null und nichtig.
Was war dann konkret Ihre Motivation, über diese Geschichte zu berichten?
Ich war damals auf der Suche nach einem Thema für einen längeren Film. Die Sache war nun die, dass die Story eigentlich schon vorbei war, denn die Volksabstimmung war ja schon gelaufen. Ich hab aber dennoch angefangen die Menschen in Mals zu interviewen. Und was sich die Leute da von der Seele geredet haben, hat mich so beeindruckt, dass ich begonnen habe, das alles ins Web zu stellen. Ich hab mir gedacht, diese verzerrte Wahrnehmung, die damals in Südtirol herrschte, die könnte ich ein bisschen korrigieren, in dem ich den Malserinnen und Malsern ein Forum schaffe.
Meine Ausgangsfrage war damals: Was sind das für Menschen, die Widerstand leisten? Was widerfährt ihnen, während sie Widerstand leisten, und wie verändern sie sich dadurch? Mir ging es erst mal gar nicht darum, wogegen die Leute da sind. Diese ganze andere Dimension – was ist industrielle Landwirtschaft und welche Rolle spielen Gifte darin – kam für mich eigentlich erst später dazu. Im Grunde genommen habe ich nur Menschen, die eingestanden sind für eine Sache, portraitiert. Von daher hatte ich am Anfang eher die Rolle des teilnehmenden Beobachters. Ich war dort quasi »unter Malsern«.
Und wie haben Sie diese Zeit »unter Malsern« vor Ort erlebt?
Was mich bestürzt hat, ist die Gewalttätigkeit, mit der das, was diese Leute dort wollten, niedergetrampelt worden ist. Aber das ist überall so, ich hatte nur bislang nie bei Volksbegehren oder Widerstandsbewegungen mitgemacht, also kannte ich das nicht. Und weil das meine erste persönliche Erfahrung mit dieser Art von Repression war, war ich erschüttert. Nicht, dass ich es nicht gewusst hätte, aber wenn man es miterlebt, ist es nochmal extremer. Der Moment der Rebellion ist der Moment, in dem du die Repression überhaupt erst wahrnimmst. Und darum ging's mir eigentlich.
Was hat diese Erfahrung, plötzlich Teil einer Widerstandsbewegung zu sein, konkret für Sie bedeutet?
Sehr früh in diesem Konflikt wurde ich selbst mitbedroht. Fast von Anfang an hat man mir gesagt, wenn ich darüber berichte, bekomme ich keine Aufträge mehr. Ich hab das nicht so ernst genommen. Aber nach drei Monaten war ich alle meine Aufträge in Südtirol los. Leute sagen mir oft »du bist so mutig« und wünschen mir viel Kraft. Aber eigentlich – das ist jetzt eine Beobachtung der Soziologie des Widerstands – braucht niemand Mut, weder ich noch sonst jemand.
Es ist eher so wie auf der Skipiste: Wenn du die Ski einmal angeschnallt hast und die Piste nach unten unterwegs bist, dann kannst du nicht zwischendrin aufhören. Ist man einmal unterwegs, dann kann man nicht sagen: Entschuldigung, jetzt erkenne ich, dass ich einer Repression gegenüberstehe – und jetzt ist meine Erkenntnis, dass ich ein feiger Waschlappen bin. Wie soll das gehen? Du musst ja weitermachen, du hast ja begonnen. Und ich glaube, da geht es den anderen auch nicht anders. Das sind sozusagen alles Helden wider Willen.
Sie haben damit begonnen, widerständige Menschen zu portraitieren. Nun sitzen Sie auf der Anklagebank, weil Sie in Ihrem Buch hinsichtlich der Spritzpraxis in Südtirol von »Tötung durch vorsätzliches Ignorieren der Gefahren« geschrieben haben. Wie stehen Sie zu diesem Absatz in Ihrem Buch, der für die Klagenden den Bestand der üblen Nachrede erfüllt?
Ich habe in dem zu dieser Passage gehörenden Kapitel beschrieben, dass es sehr viele Studien gibt, die den Zusammenhang von Krankheiten und Pestiziden herstellen. Es ist natürlich sehr schwer, diesen Zusammenhang am konkreten Beispiel zu zeigen. Um ihn zu verstehen, muss man wissen, was Statistiken und Wahrscheinlichkeiten bedeuten. Es ist ja so: Es gibt Leute, denen sagst du, es gibt einen Verlust an Artenvielfalt, und dann sagen die: Ich habe aber heute einen Schmetterling gesehen. Oder du sagst, es gibt einen Zusammenhang von Zivilisationskrankheiten und Chemikalien, und sie sagen: Das kann nicht sein, dann wäre mein Großvater nicht 92 geworden. So kann man natürlich jeden statistischen Zusammenhang zerreden.
Und deshalb war aus Ihrer Sicht die Zuspitzung notwendig?
Jedenfalls sage ich am Ende dieses besagten Kapitels, man müsste eigentlich eine Art kumulierte Wahrscheinlichkeit all dieser Einzelstudien zu den Gefahren von Pestiziden erzeugen. Und dann stelle ich die Frage: Wie viele Kinder würden denn eine schwere Krankheit kriegen aufgrund der Pestizide, die direkt neben ihrem Kindergarten ausgebracht werden? Das ist natürlich schon hart, aber es ist ja auch schrecklich. Ich rede dann in der Folge aber nicht von vorsätzlicher Tötung, sondern vom vorsätzlichen Ignorieren von Gefahren, die zu Todesfällen führen werden.
Das ist einerseits radikal und andererseits betrifft es uns alle. Ich würde sagen: Die Leute, die die Probleme ausblenden und weiterhin erzeugen, sind verantwortlich für alle Opferzahlen, die daraus irgendwann mal erwachsen werden. Wir leben ja in einem Zeitalter, in dem es nicht ganz ausgeschlossen ist, dass wir durch Umweltzerstörung unsere Zukunft komplett zerstören. Und das wird immer noch recht wenig wahrgenommen, finde ich. Da ist dieses Ausblenden der eigenen Mittäterschaft, dass viele es nicht schaffen, die Probleme dieser Welt auf sich selbst zu beziehen: Ich kaufe diesen »Golden Delicious« aus Südtirol, zack, habe ich – statistisch gesehen – wieder mitgewirkt an einer Katastrophe. Das müssen sich alle klar machen: Die Produzent*innen, die Politiker*innen, die Konsument*innen.
Jetzt geht es für Sie und die anderen Beklagten in den Prozess. Um die eigentliche Geschichte in Mals ist es dagegen merkwürdig ruhig geworden. Wie ist denn dort der Stand der Dinge?
Nach der Volksabstimmung 2014 wurde in Mals eine Verordnung erlassen. Die Verordnung sagte nicht, wir verbieten die sehr gefährlichen Pestizide, so wie es die Bevölkerung gefordert hatte. Sondern sie sagte: Wir verunmöglichen den Einsatz von Pestiziden durch Abstandsregelungen, die auf dem Malser Gemeindegebiet in letzter Konsequenz zu einem Verbot der Pestizide führen. Das war ja schon ein Zugeständnis, die Verordnung so zu verändern, damit sie im bestehenden Recht nicht ausgehebelt wird. Und doch wurde sie ausgehebelt! Es gab einen Gerichtsprozess zur der Frage, ob die Malser Gemeinde so eine Verordnung überhaupt erlassen dürfe, und den hat Mals vorläufig verloren. Das war im Herbst 2019. Aber die Gemeinde will in der nächsten Instanz um die aufgehobene Verordnung kämpfen. Sie hat also nun ihrerseits gegen die Aufhebung Rekurs eingelegt.
Was ist Ihre ganz persönliche Sicht auf den jetzt anstehenden Prozess? Wie gehen Sie damit um?
Der besonders unangenehme Aspekt an dieser Klage und diesem Prozess ist, dass man jetzt gezwungen ist, sich damit zu beschäftigen – egal, was man sonst zu tun hat. Die Klageverursacher machen das Agendasetting, die halten dich davon ab zu tun, was du eigentlich tun wolltest. Irgendwie muss man wieder in die aktive Rolle kommen. Und bei mir ist es so, dass ich nur durchs Schreiben wieder in eine aktive Rolle komme. Deshalb wird mein nächstes Buch sich genau darum drehen: Dass Leute wegen völliger Unsinnigkeiten vor Gericht gezerrt werden, um sie von ihrem Aktivismus abzubringen, sie zum Schweigen zu bringen. Diese Strategie von Unternehmen politisch Verantwortlichen nennt sich SLAPP und wird in ganz Europa immer häufiger angewandt. Ich, Jacob Radloff und Karl Bär vom Umweltinstitut sind also eigentlich gar keine besonderen Fälle, sondern nur drei von vielen. Darüber werde ich berichten, auch aus meiner persönlichen Betroffenheit heraus.
Mehr zum Prozess erfahren Sie auf unserer Themenseite »Das Wunder von Mals« vor Gericht >>.