24. April 2025 | 19:00 Uhr
Jori Marx mit »Faktencheck Artenvielfalt« in der stratum lounge in Berlin

Jenseits der Fakten – Paradigmenwechsel im Artenschutz
Dass die biologische Vielfalt abnimmt, gehört heute zum common sense unter aufgeklärten Zeitgenoss(inn)en. Oft ist dieses Wissen mit einem latenten Schuldgefühl verbunden, weil wir annehmen, dass Biodiversitätsverluste schädlich sind und eine Folge unseres heutigen industriellen Konsumierens und Wirtschaftens. Strenggenommen konnten wir das bisher allerdings nicht so genau wissen, denn wie die Autore(inn)en von „Faktencheck Artenvielfalt“ schreiben: „Für die Erfassung der biologischen Vielfalt gibt es in Deutschland kein standardisiertes Verfahren. Dies hat bislang repräsentative Aussagen erschwert.“    

Tatsächlich begann der Biodiversitätsverlust auch nicht erst mit der Industrialisierung: „Historisch und bis in die Gegenwart hinein hat der Verlust von Lebensräumen maßgeblich die biologische Vielfalt in Deutschland verringert und verändert. Die vorhandenen Erfassungen, die erst in den letzten Jahrzehnten begonnen haben, spiegeln daher eine bereits verarmte biologische Vielfalt wider und beginnen auf einem niedrigen Ausgangsniveau.“    

Die gute Nachricht ist: Neuerdings gibt es eine „massive Verbesserung der Verfügbarkeit von ökologischen Daten zur biologischen Vielfalt durch eine Vielzahl von Datenbankprojekten“. Den Fortschritt erbringen hier die „digitale und molekulare Revolution“, die die automatisierte Erfassung von biologischer Vielfalt und die Analyse komplexer ökologischer Daten ermöglichen. Maschinenlernen und DNA-Analysen erlauben den Forschern inzwischen, „ein holistisches Bild ganzer Artengemeinschaften aus Umweltproben (Boden, Wasser, Luft, Pflanzenmaterial, Darminhalte usw.)  zu erhalten“. Eine Forschergruppe der Universität Leipzig hat unter diesen neuen Bedingungen die Ergebnisse von 150 Forschenden aus 75 Institutionen zusammengetragen und zeichnet nun ein neues, viel genaueres Bild vom Status der Biodiversität in Deutschland.    

Die Verfasser(innen) von „Faktencheck Artenvielfalt“ bleiben allerdings nicht bei einer rein naturwissenschaftlichen Faktendarstellung stehen, denn sie wissen, dass es nicht reicht, „die Trends und Mechanismen naturwissenschaftlich zu analysieren. Es gilt, die dahinterliegenden indirekten Treiber (Ökonomie, Rechtsrahmen, Religion, Traditionen) zu verstehen“, die für den Artenschutz und eine erfolgreiche Biodiversitätspolitik entscheidend sind.    

Den Forschenden ist bewusst, dass die „bloße Vermittlung von (mehr) Wissen nicht ausreichend“ ist und die Wissenschaft „keine Anspruche auf überlegenes Wissen erheben“ darf. Die Wissenschaft sei durchaus auch dafür mitverantwortlich, wenn Artenschutzprogramme auf Widerstand stießen: „Die Verbreitung von mehr Wissen über die Bedeutung von Biodiversität führt nicht notwendigerweise zu mehr Akzeptanz und Handlungsbereitschaft, sondern kann auch Widerstande und Handlungsblockaden hervorrufen“, stellen die Autor(inn)en fest.    

An Fallstudien wie der zum „Grünen Band“, dem Leipziger Neuseenland oder dem Rheinischen Braunkohlerevier zeigen sie, wie eine intelligentere Naturschutzstrategie aussehen könnte, die geringe Opportunitätskosten mit der Nutzung von „Gelegenheitsfenstern“ verbindet. Hier wurden Biodiversitätsziele „meist als positiver Nebeneffekt (Co-Benefit) erreicht, weniger weil sie selbst in einer Harmonisierungsstrategie angestrebt oder gar eindeutig gegenüber anderen Zielen priorisiert“ worden wären.        

Der „Faktencheck Artenvielfalt“ liefert also nicht nur ein aktuelles, auf dem neusten Forschungsstand basierendes Zustandsbild der natürlichen Lebensgrundlagen in Deutschland, sondern läutet auch einen Paradigmenwechsel in der nachhaltigen („transformativen“) Biodiversitätsstrategie ein – falls Politik und Verbände den Empfehlungen in Zukunft folgen.


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Stratum GmbH

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stratum lounge

Boxhagener Straße 16

10245 Berlin I Online

Deutschland

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Jori Maylin Marx ist Ökosystemwissenschaftlerin an der Universität Leipzig und forscht zu den Auswirkungen von Klimawandel, Landnutzung und Biodiversitätsverlust auf Ökosysteme und die Rolle, die sie für den Menschen spielen. Durch ihren ...

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