Wildpflanzen

Blaue Flocken im Feld: Die Kornblume

Kornblumen schmücken jedes Jahr Getreidefelder mit ihren enzianblauen Blüten. Lange Zeit waren sie als Unkraut verschrien. Heute feiern sie eine Renaissance - und leisten einen Beitrag zur biologischen Vielfalt. Verfolgen Sie den Weg der einjährigen Wildblume in diesem Essay von Ewald Weber aus seinem Buch »Wo die wilden Pflanzen wohnen«.

17.02.2022

Blaue Flocken im Feld: Die Kornblume | Pflanzen Landwirtschaft erzähltes Pflanzenleben Naturschutz Kulturlandschaft

Im Juni zeigen sich Hunderte enzianblauer Sterne am Rande von Getreidefeldern und zwischen den Halmen der Getreidepflanzen. Bei mir in Brandenburg kommt die Kornblume häufig vor, wenn auch nicht in jedem Feld und nicht jedes Jahr in gleichem Ausmaß. Meist gesellt sich Mohn zur Kornblume, und beide gehören zu den auffälligsten Begleitpflanzen in Äckern.

Eine Kornblume erreicht etwa einen Meter Höhe, blüht von Juni bis Oktober und ist von stattlichem Wuchs. Ihre Stängel und die schmalen Blätter tragen einen spärlichen Besatz von feinen Haaren. Der Stängel ist im oberen Bereich verzweigt, und jeder Ast trägt am Ende einen der blauen Sterne. Für eine einjährige Pflanze bildet die Kornblume ein ziemlich dichtes Wurzelwerk, das bis zu sechzig Zentimeter tief in den Boden reichen kann.

Blüten in Kronleuchtern

Was wir bei der Kornblume vielleicht als Blüte bezeichnen – der blaue Stern am Ende des Stängels –, ist in Wirklichkeit eine Ansammlung vieler kleiner Blüten, die auf einer gemeinsamen Basis sitzen. Der Stängel bildet einen Blütenboden, er formt gleichsam ein Körbchen, das die einzelnen Blüten vereint. Dies ist das Markenzeichen der Korbblütengewächse, zu denen die Kornblume zählt. Die Familie ist die zweitgrößte der Welt, was ihre Artenzahl anbelangt. Die artenreichste Familie ist mit 26.000 Arten die der Orchideengewächse, aber die der Korbblütengewächse steht ihr mit 25.000 Arten nur wenig nach.

Die Ansammlung vieler Blüten auf einem Körbchen wirkt auf Insekten wie eine große Einzelblüte, das Ganze ist eine Einheit. Bei der Kornblume lassen sich leicht zweierlei Blüten erkennen, es gibt eine Aufgabenteilung in ihren Funktionen. Auffallend sind die großen Trichter am Rande, von denen jeder mehrere Zipfel hat und die wie richtige Blüten aussehen.

Doch ist das nur Bluff, diese randständigen Blüten sind steril, enthalten also weder Staubgefäße noch Fruchtknoten. Sie dienen lediglich dem Anlocken von Insekten, sie sind das Aushängeschild des Blütenstandes. Zwischen ihnen stehen die echten Blüten, die viel kleiner und nur mit einer Lupe deutlich zu erkennen sind. Sie bilden Blütenstaub und Samen, sind also funktionell voll entwickelt. Jedes Blütenkörbchen der Kornblume enthält 25 bis 35 der echten Blüten.

Kornblume mit Biene

Einen solchen Aufbau kennt man sonst von den Flockenblumen (Centaurea), zu denen früher die Kornblume zählte; sie hieß vor nicht allzu langer Zeit noch Centaurea cyanus. Doch neuere Untersuchungen über die Verwandtschaftsverhältnisse machten eine Abspaltung der Kornblume sinnvoll.

Den Insekten sind der anatomische Aufbau und die systematischen Details freilich egal. Hauptsache, es gibt etwas zu holen, und Kornblumen sind überaus attraktiv. Hummeln, Bienen, Schwebfliegen, Wespen und Tagfalter suchen sie gerne auf und bedienen sich am Nektar sowie dem Pollen.

Ein Kulturpflanzenbegleiter

Außerhalb von Getreidefeldern wächst kaum eine Kornblume von selbst, abgesehen von Wegrändern und Brachland zwischen den Feldern. Sie wird aber inzwischen vermehrt angesät, doch darauf komme ich weiter unten zurück.

Die Kornblume ist ein typischer Kulturpflanzenbegleiter. Die Pflanze ist bei uns streng genommen nicht einheimisch, sie existiert in Mitteleuropa nur dank des Menschen und gilt als Alteinwanderer oder Archäophyt: Pflanzenarten, die schon vor langer Zeit unbeabsichtigt durch den Menschen verschleppt wurden. Die ursprüngliche Heimat der Kornblume dürfte das östliche Mittelmeergebiet sein. Hier wächst sie an Orten fern jeglicher menschlicher Siedlungen und Getreidefelder, nämlich an Felshängen und in trockenen Steppenrasen. Das dürften die natürlichen Wuchsorte der Kornblume sein, an denen sie schon lange vor Beginn des Getreideanbaus existierte.

Die Kornblume folgte dem Menschen seit der jüngeren Steinzeit, als er mit dem Ackerbau begann, Felder pflügte und Getreide aussäte. Vom Mittelmeergebiet kam sie schon früh nach Mitteleuropa, wahrscheinlich durch Saatgut verschleppt. Heute ist die Kornblume auf allen Kontinenten vorhanden.

Die strenge Assoziation zwischen Kornblume und Getreidefeld lässt darauf schließen, dass die Pflanze in den Äckern einen idealen Wuchsort gefunden hat. Auch im Raps trifft man die Kornblume an, allerdings längst nicht so häufig.

Jedenfalls gibt es aber zwischen den Kulturpflanzen genug Raum, in dem sich Ackerbegleitpflanzen wie die Kornblume entfalten können. Als einjährige Pflanze macht ihr der jährliche Umbruch des Ackers nichts aus. Bis das Feld gepflügt wird, sind ihre Samen längst verstreut und sorgen für die nächste Generation. Der hohe Wuchs kommt nicht von ungefähr, denn eine Kornblume muss ihre Blüten in der Höhe platzieren, an der Oberfläche der Pflanzendecke, damit Insekten die Blüten auch finden können.

Wertvolle Ackerbegleiter oder Unkraut?

Kornblume, Mohn und viele andere sind Vertreter der sogenannten Ackerbegleitflora, auch Segetalflora genannt. In Mitteleuropa zählen etwa 300 Pflanzenarten dazu. Früher waren Ackerbegleitpflanzen sicher viel häufiger als heute, doch während der letzten paar Jahrzehnte ging ihre Vielfalt drastisch zurück. Kornblume, Kornrade (Agrostemma githago), Acker-Schwarzkümmel (Nigella arvensis), Sommer-Adonis (Adonis aestivalis) und wie sie alle heißen, sie wurden immer seltener. Viele Arten sind sogar so selten geworden, dass sie heute auf der Roten Liste der bedrohten Pflanzenarten stehen, wie beispielsweise das Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea).

Die Gründe liegen in der Intensivierung der Landwirtschaft seit den 1950er-Jahren. Die Flurbereinigung führte zum Zusammenlegen vieler kleiner Parzellen zu großen Produktionsflächen, Hecken und andere den Fruchtanbau störende Strukturen wurden entfernt. Die Ertragssteigerung durch starken Düngereinsatz und Unkrautvernichtungsmittel ließ den Segetalarten keinen Raum mehr, die Landschaft verarmte. Auch die Saatgutreinigung hat zum Rückgang der Ackerbegleitpflanzen beigetragen. In großen Trommeln werden die Fremdsamen aus den Getreidesamen herausgesiebt. Das alles gab es in früheren Zeiten nicht, es war ganz normal, dass in einem Getreidefeld auch blühende Blumen wuchsen.

In den Augen eines Bauern sind Kornblume, Mohn und andere freilich nichts weiter als Unkräuter, die nicht ins Feld gehören. Sie stören das Wachstum der Kulturpflanzen und vermindern den Ertrag. Man nennt sie auch Beikräuter – das klingt wie der nutzlose Beifang in der Hochseefischerei. Aus Sicht des heutigen Naturschutzes sind Ackerbegleitpflanzen aber wertvoll, da sie für Insekten eine willkommene Nahrungsquelle in der Landwirtschaftszone darstellen. Die farbigen Blüten bieten Nektar oder Pollen, weil diese farbenprächtigen Unkräuter von Insekten bestäubt werden, im Gegensatz zum windbestäubten Getreide. Insekten wiederum bieten Vögeln Nahrung, darunter seltenen und bedrohten Arten wie der Feldlerche.

Es ist schon fast ironisch, dass Kornblumen und andere Arten einerseits auf der Roten Liste stehen, andererseits in Unkrautlisten aufgeführt werden und dass es Bekämpfungsempfehlungen für sie gibt. Die ambivalente Einstellung zu den Ackerbegleitpflanzen ist nicht neu, und für Bauern waren Kornblumen auch früher nur lästig. Der deutsche Dichter Julius Sturm (1816–1896) hat den Sachverhalt treffend in einem Gedicht beschrieben:

Der Bauer und sein Kind

Der Bauer steht vor seinem Feld
Und zieht die Stirne kraus in Falten:
»Ich hab’ den Acker wohl bestellt,
Auf reine Aussaat streng gehalten;
Nun seh’ mir eins das Unkraut an!
Das hat der böse Feind getan.«
Da kommt sein Knabe hochbeglückt,
Mit bunten Blüten reich beladen;
Im Felde hat er sie gepflückt,
Kornblumen sind es, Mohn und Raden;
Er jauchzt: »Sieh, Vater, nur die Pracht!
Die hat der liebe Gott gemacht.«

Renaissance der Unkräuter

Seit einigen Jahren sind Kornblume und weitere Vertreter der Segetalflora wieder auf dem Vormarsch. Entlang von Äckern werden von den Bauern breite Blühstreifen angelegt und auf ihnen Wildpflanzen angesät. Kommerzielle Saatgutmischungen sind erhältlich, und viele Bundesländer unterstützen Landwirte beim Anlegen von Blühflächen.

Im Zuge der Bemühungen, wieder vermehrt Natur in die Agrarlandschaft hineinzubringen, sind das erfreuliche Entwicklungen. Die landwirtschaftlich ge- nutzte Fläche macht in Deutschland schließlich 48 Prozent der Landesfläche aus, da bleibt nicht viel Raum für Natur. Die Förderung von Wildblumen ist auf jeden Fall sinnvoll und stellt einen wichtigen Beitrag dar, um die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft zu erhöhen.

Allerdings kommt es sehr darauf an, was angesät wird. Fremdländische Arten, wie sie in vielen Saatgutmischungen enthalten sind, nützen nicht viel – wichtig sind die einheimischen Ackerunkräuter. Sie sind gut für die Insekten, was wiederum gut für Vögel ist. Diese wirken als natürliche Schädlingsbekämpfer, was dem Bauern wieder zugutekommt – alles hängt zusammen. Breite Blühstreifen bieten auch gewissen Vögeln wie dem Rebhuhn Lebensraum.

Die moderne Landwirtschaft steht vor der großen Herausforderung, einerseits die Nahrungsmittelproduktion zu sichern, andererseits möglichst nachhaltig und naturschonend zu produzieren – keine leichte Aufgabe! Zumal die Lebensmittel ja auf keinen Fall teurer werden sollen; da fehlt es noch an der Bereitschaft der Konsumenten und Konsumentinnen, für gute Produkte mehr Geld auszugeben. Klar ist, dass eine Vielfalt an Wildblumen unerlässlich ist.

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Die Welt der Pflanzen ist voller Wunder: Die Wurzeln der Kratzdistel zum Beispiel reichen bis zu sieben Meter in den Boden und die Samen des Ackerstiefmütterchens können über 400 Jahre überleben.   

Der Autor 

Die Vermittlung ökologischer Zusammenhänge an ein breites Publikum ist die Herzensangelegenheit von Ewald Weber. Der Biologe lehrt und forscht an der Universität Potsdam. Zuletzt von ihm bei oekom erschienen: »Die Pflanze, die gern ...

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