Landwirtschaft und Artenvielfalt

»Die Landnutzung ist zu intensiv« – Interview mit Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein

Der »Faktencheck Artenvielfalt« beschreibt, wie es um die Biodiversität in Deutschland bestellt ist. Die Biologin Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein leitet die Professur für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Universität Freiburg und hat am Bericht mitgearbeitet. Mit Leo Frühschütz von der Ökologie & Landbau hat sie über die Ergebnisse für die Agrarlandschaft gesprochen.

17.01.2025

»Die Landnutzung ist zu intensiv« – Interview mit Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein | ökologische Landwirtschaft Artenvielfalt Biodiversität

Ö&L: Frau Klein, wie muss ich mir Ihre Mitarbeit am »Faktencheck Artenvielfalt« vorstellen? Wie lief das ab, wie hat man sich abgesprochen?

Alexandra-Maria Klein: Ich wurde von den Initiator*innen gebeten, das Kapitel drei zur Agrar- und Offenlandschaft zu leiten. Unter anderem, weil ich schon die Stellungnahme der Leopoldina, der nationalen Akademie der Wissenschaften, zu »Biodiversität und Management von Agrarlandschaften« von 2020 mit einer Kollegin geleitet hatte.

Die erste Frage ist, wen man einlädt. Uns war es wichtig, dass wir nicht nur Wissenschaftler*innen dabeihaben, sondern auch Praktiker*innen aus Naturschutz und Landwirtschaft. Denn es geht nicht nur darum, Ergebnisse zusammenzutragen, sondern sie auch zu interpretieren. Dann haben wir uns getroffen, Themen aufgeteilt, Daten gesammelt und ausgewertet.

Fürs Erstellen der Texte haben wir das Prozedere des Weltbiodiversitätsrats übernommen. Jeder Text geht in eine Review-Schleife und wird von externen Expert*innen kommentiert. Alle Kommentare werden bearbeitet, dann geht es noch einmal in eine Review-Schleife mit den Behörden. Zum Schluss schauen alle beteiligten Autor*innen drauf, ob sie mit der Endfassung leben können – auch wenn sie mit der einen oder anderen Aussage nicht ganz glücklich sind.

Wie ordnen Sie die Ergebnisse ein?

»Der wichtigste Treiber für den Rückgang der Biodiversität in Deutschland ist das aktuelle Intensitätsniveau, mit dem die Agrar- und Offenlandschaft genutzt wird.«

Bisher hatten wir nur einzelne Studien, die sehr unterschiedlich interpretiert wurden. Jetzt haben wir akribisch nach Daten gesucht und sie erstmals zu einem Status quo zusammengefasst. Von dort aus können wir feststellen, ob es uns gelingt, unsere Ökosysteme wieder vielfältiger zu machen. Das Monitoring, das es dazu braucht, wird jetzt aufgebaut. Damit können wir dann auch zu den Ursachen mehr sagen als heute.

Sind die Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft nicht klar?

Der wichtigste Treiber für den Rückgang der Biodiversität in Deutschland ist das aktuelle Intensitätsniveau, mit dem die Agrar- und Offenlandschaft genutzt wird. Da waren wir uns einig, das ist aber auch sehr abstrakt formuliert. Da fällt im Prinzip alles darunter, was am Offenland knabbert: die Landwirtschaft vor allem, aber auch das Bau- und Siedlungswesen, der Verkehr oder touristische Nutzungen. Die Landnutzung ist zu intensiv, die Lebensräume verschwinden. Die Tiere und Pflanzen haben nicht mehr die Ressourcen, die sie brauchen.

Es wollen alle immer wissen, was die Hauptursache ist. Doch für eine eindeutige Antwort haben wir die Datengrundlage noch nicht. Dafür bräuchte man für konkrete Flächen über einen längeren Zeitraum die Entwicklung der Artenvielfalt, die ausgebrachten Pestizide, die Klimadaten und viele andere, um die komplexen Wirkungen zu erfassen. Für den Faktencheck haben wir uns darauf verständigt, dass die wichtigsten Treiber Landnutzungsänderungen und, damit verbunden, die Verschmutzung durch Pflanzenschutzmittel und Plastik sowie Nährstoffeinträge und der Klimawandel sind.

Im Faktencheck heißt es, neben den direkten Treibern müssten auch indirekte Treiber angegangen werden, um eine reine Symptombekämpfung zu vermeiden. Was ist damit gemeint?

Damit sind die politischen Entscheidungen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen gemeint, die die direkten Treiber befeuern. Also etwa eine Agrarpolitik, die Anreize für eine intensive Produktion setzt. Deshalb empfiehlt der Faktencheck, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU künftig stark auf die Bereitstellung von Umweltleistungen auszurichten.

Auch sollte das Naturschutzrecht verschärft werden, etwa um chemisch synthetische Pflanzenschutzmittel in Schutzgebieten zu reduzieren. Das muss allerding mit einer flankierenden Förderung einhergehen. Die ist wichtig für die Akzeptanz der Maßnahmen in der Landwirtschaft und damit auch für deren ökologische Effektivität.

Cover »Faktencheck Artenvielfalt«Eine Pestizidabgabe als Steuerungsinstrument erwähnt der Faktencheck nicht, obwohl das Beispiel Dänemark zeigt, dass sich damit die Menge der Pestizide und ihre Giftigkeit reduzieren lassen …

Ich finde das eine sehr gute Idee. Dass die Abgabe im Faktencheck nicht vorkommt, liegt vermutlich daran, dass die Autor*innen des gesamten Faktenchecks stark auf Belohnen statt Bestrafen gesetzt haben.

Auch hatten wir in der Gruppe keine*n Rechtswissenschaftler*in dabei. Ich sehe in meiner praktischen Arbeit, dass die Rechtsetzung eine große Rolle spielt. Etwa im Agroforstbereich: Da gibt es, was die Biodiversität angeht, tolle Ergebnisse, aber nur wenige Landwirt*innen setzen das um, weil hier drei verschiedene Rechtsrahmen zusammenkommen und die Umsetzung blockieren.

Welche Bedeutung haben die Förderung des Ökolandbaus und das 30-Prozent-Ziel für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft?

Das 30-Prozent-Ziel hielten alle Beteiligten für wichtig. Die Daten zeigen, dass der ökologische Landbau sich positiv auf die Biodiversität auswirkt und deshalb weiter ausgebaut werden sollte. Dies ist in den meisten Anbausystemen mit Ertragseinbußen verbunden, das sollte man nicht wegdiskutieren.

Meine eigenen Studien zeigen, dass es bei den Betrieben eine große Spannbreite gibt und man sich diejenigen anschauen sollte, die eine hohe Biodiversität und gute Erträge erzielen. Geht man dann ins Detail, kann das an einem besonders guten Standort liegen, etwa wenn die Nutzfläche an einen Lebensraum mit viel Biodiversität angrenzt, aber auch an der Überzeugung und der genauen Beobachtung der Anbauflächen durch die Landwirt*innen, um sie mit möglichst wenig Pflanzenschutz zu bewirtschaften.

Was hilft uns – jenseits des Ökolandbaus –, die Biodiversität in der Agrarlandschaft zu erhöhen?

Wenn ich auf einem Quadratkilometer 20 Prozent Flächen wie Blühstreifen oder Hecken habe, dann erhöht sich dort die Biodiversität deutlich. Wir müssen also viel von dem, was man bei der Flurbereinigung zugeschüttet, begradigt oder weggerissen hat, wieder restaurieren.

Auch sollte man größere Flächen, auf denen nichts mehr passiert, nicht einfach sich selbst überlassen. Sie verbuschen sonst stark und dann geht es mit der Biodiversität irgendwann steil bergab. Ich vermute, dass ein Teil des Insektenrückgangs in Naturschutzgebieten auch durch die starke Verbuschung von kaum noch gemanagten Schutzgebieten verursacht wurde. Ich halte deshalb das Konzept Schutz durch Nutzung für extrem wichtig für die Biodiversität.

Ein gelb blühendes Rapsfeld, das von mehreren grünen Hecken durchzogen ist

Was heißt das konkret?

Bisher werden Flächen in Schutzgebieten meist von ehrenamtlich tätigen Menschen freigehalten, doch so kann Naturschutz auf Dauer nicht funktionieren. Es wird nur funktionieren, wenn Landwirt*innen am Naturschutz verdienen. Wir brauchen mehr extensive Bewirtschaftung, die Lebensmittel und Biodiversität produziert und bei der die niedrigeren Erträge finanziell ausgeglichen werden. Am besten ist es, wenn Landwirt*innen durch Naturschutzmaßnahmen verdienen können. Ein Beispiel wäre die Heckenpflege, bei der das geschnittene Holz zu Energie verwertet werden kann. Natürlich muss dann zunächst die Struktur für eine Verwertung aufgebaut werden.

Von einem solchen Miteinander sind wir derzeit flächendeckend weit entfernt. Die Agrarverbände versuchen stattdessen, möglichst viele Umweltauflagen mit dem Bürokratieargument ganz abzuräumen …

Ich glaube, dass der größte Ansatzpunkt die Ausbildung ist. Die landwirtschaftliche Ausbildung sollte stärker ökologisch ausgerichtet sein und aufzeigen, wie sich Betriebe durch vielfältige Kulturen und Einnahmequellen vor großen Einnahmeschwankungen schützen können.

Allerdings müssen auch die Konsument*innen, also die Gesellschaft, in der Schule lernen, wie Lebensmittel hergestellt werden, damit wir alle verstehen, was die Landwirtschaft für uns leistet und warum Bioäpfel oder Biokarotten zum Beispiel kleiner sind, hier und da eine komische Stelle haben und teurer sind als konventionelle Äpfel oder Karotten. Wir müssen gesellschaftlich aushandeln, wo wir hingehen und wie wir das machen. Der Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft ist für mich ein Beispiel, dass das funktionieren
könnte.

Wir haben in Baden-Württemberg im Oktober 2024 nach einem zweijährigen Strategiedialog einen Gesellschaftsvertrag für die Zukunft der Landwirtschaft und der biologischen Vielfalt unterschrieben. Das Land hat für die Umsetzung 143 Millionen Euro zugesagt, weil die Landwirt*innen in diesem Prozess sehr eindeutig dargestellt haben, dass Biodiversität, solange die Konsument*innen nicht dafür zahlen können oder wollen, durch Gelder aus der Politik getragen werden muss. Ich hoffe, dass andere Bundesländer nachziehen, wenn das gut läuft. Und vielleicht dann auch der Bund.

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