Die Geister, die sie rief: Südtiroler Landesregierung wird voraussichtlich daran scheitern, die Pestizidprozesse zu beenden
München/Bozen, 5. Mai 2021: Die Strafprozesse gegen Pestizidkritiker aus Deutschland und Österreich werden, anders als von der Südtiroler Landesregierung angekündigt, voraussichtlich weitergehen. Wie am 5. Mai bekannt wurde, wird Landesrat Arnold Schuler nach derzeitigem Stand sein Versprechen brechen, alle Anzeigen wegen übler Nachrede gegen Karl Bär, den Agrarreferenten des Umweltinstituts München und gegen den Buchautor Alexander Schiebel zurückzuziehen. Somit würde am 28. Mai der Prozess gegen Bär fortgesetzt und das Verfahren gegen Schiebel eröffnet. Das Umweltinstitut München informiert in seiner Pressemitteilung über den aktuellen Stand im Pestizidprozess.
05.05.2021
Das Gericht in Bozen hatte den Klägern – unter anderem dem Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler – nach mehreren Verschiebungen bis zum 28. Mai Zeit eingeräumt, Vollmachten von mehr als 1370 klagenden Obstbauern und -bäuerinnen einzusammeln. Nur wenn alle Vollmachten vorliegen, können auch alle Anzeigen wegen übler Nachrede zurückgezogen und damit die Prozesse beendet werden. Den Rückzug aller Anzeigen hatte Landesrat Schuler bereits im September 2020 angekündigt und dafür sein “Tiroler Wort” gegeben. Allerdings haben nun laut Medienberichten mindestens zwei der Anzeigensteller:innen angekündigt, die benötigte Vollmacht nicht zu unterzeichnen. Damit werden die Prozesse gegen die Meinungsfreiheit in Südtirol voraussichtlich fortgeführt.
»Ich bedauere, dass die Landesregierung ihr Versprechen wohl erneut nicht halten wird und dass eine Beilegung des Verfahrens nicht zustande kommen wird«, so Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik im Umweltinstitut. »Landesrat Schuler ist offenbar die Kontrolle über diesen Prozess entglitten. Er wird die Geister, die er rief, nicht mehr los. Ich stehe weiterhin vor Gericht, weil ich den hohen Einsatz von Pestiziden in Südtirol öffentlich kritisiert habe. Der eklatante Angriff auf die Meinungsfreiheit in Südtirol geht weiter. Wir werden uns nun natürlich mit aller Kraft verteidigen – in diesem unsäglichen Verfahren und darüber hinaus.«
Die aktuelle Situation in Südtirol beweist, dass SLAPP-Klagen (strategic lawsuits against public participation) wie gegen das Umweltinstitut und Alexander Schiebel eine Büchse der Pandora öffnen, die sich nicht leicht wieder schließen lässt. »Ob Landesrat Schuler es geschafft hat, drei, dreihundert oder 1300 der gegen mich erstatteten Anzeigen einzusammeln, spielt für mich keine Rolle. Fakt ist, dass ich mich weiterhin in einem Strafprozess verantworten muss, weil ich die Wahrheit über den hohen Pestizideinsatz in Südtirol gesagt habe. Es drohen mir nicht nur Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe und damit mein finanzieller Ruin, sondern hier in Italien sogar eine Gefängnisstrafe«, kommentiert Bär.
Nicola Canestrini, vertretender Rechtsanwalt: »Kritik ist das Salz der Demokratie: Die Debatte über Pestizide in ein Strafgericht zu verlegen ist ein schlechtes Zeichen für eine Gesellschaft. Die Kläger sollten dies berücksichtigen. Wir haben keine Angst, Sachverständige als Zeuginnen und Zeugen über den Wahrheitsgehalt der Pestizidkritik in einer öffentlichen Verhandlung aufzurufen.«
Mehr zum Prozess erfahren Sie auf unserer Themenseite »Das Wunder von Mals« vor Gericht >>.