Nationalpark Bayerischer Wald

Ein Hotspot der Biodiversität

Der Nationalpark Bayerischer Wald feiert 2020 sein 50-jähriges Bestehen – ein ganz besonderes Jubiläum, schließlich war es der erste Nationalpark in Deutschland und damit ein Meilenstein in der Geschichte des Umwelt- und Artenschutzes in der Bundesrepublik. Eva Pongratz, Chefredakteurin der Zeitschrift Nationalpark, sprach mit Leiter Dr. Franz Leibl über Erfolge, Rückschläge und persönliche Ziele.

19.03.2020

Ein Hotspot der Biodiversität | Naturschutz

Nationalpark: Herr Dr. Leibl, Sie sind seit April 2011 im Amt und damit seit fast zehn Jahren verantwortlich für den ersten deutschen Nationalpark Bayerischer Wald, der 2020 sein 50-jähriges Jubiläum feiert. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?

Dr. Leibl: Gefordert hat mich über die Jahre hinweg die Ausweisung von Naturzonen. Heute liegt der Naturzonenanteil bei 72 Prozent, das heißt, er ist in den vergangenen Jahren um gut 4.000 Hektar gewachsen. Gepunktet haben wir auch im Bereich Forschung und Umweltbildung. Beiden konnte ich mehr Raum und Möglichkeiten zur Entfaltung einräumen. Nationalparkforschung wird heute auf hohem internationalem Niveau betrieben. Durch unsere offene, sachbezogene Kommunikation ist es zudem gelungen, die Akzeptanz unseres Nationalparks bei der örtlichen Bevölkerung in den letzten zehn Jahren deutlich zu erhöhen. Sie liegt heute bei einem hohen Zustimmungswert von 86 Prozent.

Nationalpark: Unter Ihrem Vorgänger, Dr. Hans Bibelriether, wurde das Schutzkonzept Natur Natur sein lassen als neues Naturschutzkonzept in Deutschland entwickelt und das damit verknüpfte Wildnisprinzip im deutschen Naturschutz etabliert. Aktuell ist der Kommunale Nationalpark-Ausschuss am 22.10.2019 Ihrem Vorschlag gefolgt und hat einstimmig beschlossen, weitere 869 Hektar Wald aus der Nutzung zu nehmen und der Naturzone zuzuführen, das heißt konkret: Auf 72,30 Prozent der Gesamtfläche des Parks greift der Mensch nicht mehr ein. Ein schöner Erfolg! Aber was hat Sie daran gehindert, das von der IUCN geforderte 75-Prozent-Ziel bereits jetzt, rechtzeitig zum Jubiläum durchzusetzen?

Dr. Leibl: Es wäre natürlich schön, wenn wir das 75-Prozent-Ziel bereits jetzt erreicht hätten. Dagegen sprechen aber die Vorgaben unserer Nationalparkverordnung. Hier ist von kontinuierlichen Naturzonenausweisungen bis 2027 und von der Borkenkäferbekämpfung im Hochlagenwald die Rede. Das sind für uns rechtlich verbindliche Eckpunkte, die wir nicht ignorieren können.

Nationalpark: Seit dem Sturm Kyrill im Januar 2007 sind nach den Jahresberichten der Parkverwaltung in der Entwicklungszone bis heute über eine Million Festmeter Fichten eingeschlagen und verkauft worden. War diese Vorgehensweise in Anbetracht der für jedermann erkennbaren erfolgreichen Walderneuerung im Altnationalpark wirklich alternativlos?

Dr. Leibl: Die Frage stellt sich in dieser Form nicht. Die Nationalparkverwaltung hat die dem Nationalpark zugrunde liegende Rechtsverordnung zu vollziehen. Diese trägt zweifelsohne eine politische Handschrift, die der Zeit geschuldet war, als Teile der örtlichen Bevölkerung und auch emeritierte Forstbeamte heftigst gegen die Nationalparkerweiterung opponiert haben. Dennoch ist es uns gelungen, Windwürfe größeren Ausmaßes liegen zu lassen und den Prozessschutzgedanken nicht vollkommen außen vor zu lassen.

Nationalpark: Während global die Artenvielfalt drastisch schwindet, erweist sich der Nationalpark Bayerischer Wald immer mehr als Hotspot der Biodiversität, auch ohne dass der Mensch eingreift. Haben Sie dafür eine Erklärung? Und wenn ja, warum ist der dritte Nationalpark in Bayern so schwer durchzusetzen?

Dr. Leibl: In der Naturzone des Nationalparks entwickeln sich außerordentlich struktur- und totholzreiche Wälder mit einem großen Angebot an Mikrohabitaten. Das fördert die biologische Vielfalt im Park. Zudem werden bei uns auf der gesamten Nationalparkfläche weder Herbizide, Pestizide noch sonstige Agrargifte eingesetzt. Unser Nationalpark ist eine absolut giftfreie Landschaft. Bei der Diskussion um den dritten Nationalpark spielten u.a. aggressiv auftretende Gruppen des Bayerischen Bauernverbandes oder Fehlinformationen verbreitende Forstsachverständige eine dominante Rolle. Sie gewannen in der politischen Debatte die Deutungshoheit. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Nationalpark: Bei der Diskussion über einen dritten Nationalpark wurde von Landnutzern, Teilen der Politik und der Wissenschaft, aber auch vom VLAB als anerkanntem Naturschutzverband das Prinzip Schützen durch Nützen als Gegenentwurf zum Nationalparkkonzept propagiert. Was setzen Sie dieser Position entgegen?

Dr. Leibl: Möchte man die biologische Vielfalt unserer Wälder in Gänze erhalten, muss es ausreichend viele und auch große nutzungsfreie Waldgebiete geben. Denn nur hier können Urwaldspezialisten mit besonderen Habitatansprüchen, wie die Zitronengelbe Tramete, Duftender Feuerschwamm, Zottenbock und andere, überleben. Das ist wissenschaftlich mehrfach belegt. In diesen nutzungsfreien Waldgebieten laufen zudem evolutive Prozesse ohne Manipulation des Menschen ab. Das sind wichtige Lernorte der Zukunft. Derartige Aspekte deckt das Prinzip Schützen durch Nützen nicht ab.

Nationalpark: Der Nationalpark Bayerischer Wald hat die ursprünglich in ihn gesetzten Erwartungen, also die Schaffung von Arbeitsplätzen über eine Förderung des Tourismus und damit Stärkung der regionalen Wirtschaft, mehr als erfüllt. Hat sich dadurch auch seine Akzeptanz in der Region verbessert? Worauf führen Sie diese erfreuliche Entwicklung zurück?

Dr. Leibl: Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Das Heranwachsen unserer Wilden Wälder wird heute ebenso positiv wahrgenommen wie der positive regionalökonomische Effekt, der vom Nationalpark ausgeht.

Nationalpark: In anderen Nationalparken, aber auch im Bayerischen Wald, mehren sich die Hinweise, dass die zahlreichen Besucher zunehmend zur Belastung für die Schutzgebiete werden. Worin bestehen die Probleme im Bayerischen Wald und wie können Sie sie in den Griff bekommen?

Dr. Leibl: Probleme bereitet uns eine Minderheit von Nationalparkbesuchern, die sich nicht an die Regeln unseres Nationalparks hält. Häufig sind es E-Mountain-Biker. Eine konsequente Umsetzung unserer Betretungsverordnung und die Ahndung von Verstößen gegen diese durch die Kreisverwaltungsbehörden wären ein erster, hilfreicher Ansatzpunkt. Hier herrscht zweifelsohne noch Nachbesserungsbedarf.

Nationalpark: Der Nationalpark Bayerischer Wald wurde erstmals 2009 gemeinsam mit dem Nationalpark Šumava als Transboundary Park zertifiziert. Wo sehen Sie die besondere Stärke eines verlässlichen Partners und den Wert der Kooperation über Grenzen hinweg?

Dr. Leibl: Die Zusammenarbeit mit dem Nationalpark Šumava ist derzeit mehr als erfreulich. Das hat eine fachliche wie auch eine zwischenmenschliche Komponente. Fachlich-inhaltlich wollen wir unsere beiden Parks gleich ausrichten. Mit der Festlegung neuer Natur- und Jagdruhezonen hat Tschechien hier erste markante Zeichen gesetzt. Eine gemeinsame, flächig zusammenhängende Naturzone von gut 25.000 Hektar ist ein ökologischer Mehrwert, der in Mitteleuropa wohl einmalig sein dürfte. Darüber hinaus haben wir ein gemeinsames Biomonitoring und Umweltbildungsaktivitäten auf den Weg gebracht. Beide Parks haben sich in den vergangenen fünf Jahren stark angenähert und viele Gemeinsamkeiten im Parkmanagement und im Naturschutz entwickelt.

Nationalpark: Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre? Welche Ziele wollen Sie persönlich im Nationalpark noch erreichen?

Dr. Leibl: Es wäre schön, wenn die gemeinsame Entwicklung der Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava langfristig Bestand haben könnte. Unser Park entwickelt sich mehr und mehr zu einem Hotspot der Waldartenvielfalt. Viele einst ausgerottete Arten kehren zurück. Dazu zählen auch große Beutegreifer. Ich wünsche mir, dass sich diese dauerhaft in unserem Waldgebirge etablieren können. Persönlich steht die Umsetzung der neuen Wegekonzeption im Falkensteingebiet an erster Stelle meiner Agenda, auch die Fertigstellung der Waldwerkstatt und die Ausstellungserneuerung im Haus zur Wildnis. Die Sanierung des Waldschmidthauses werde ich in meiner Amtszeit wohl nicht mehr hinbekommen.

Dieser Beitrag stammt aus 

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