Paludikultur: Moore nutzen und Klima schützen
Werden Moore entwässert und landwirtschaftlich genutzt, gelangen große Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre und verstärken den Klimawandel. Doch Klimaschutz und Landwirtschaft lassen sich vereinen: Mit der sogenannten Paludikultur können nasse oder wiedervernässte Moore bewirtschaftet werden. Von Susanne Abel und Sophie Hirschelmann.
07.09.2021
Moorböden und andere kohlenstoffreiche organische Böden bedecken nur 3,6 Prozent der Fläche Deutschlands (siehe Abb. 1), sie sind aber von großer Bedeutung, vor allem für den Klimaschutz. Nur rund zwei Prozent der Moore sind noch in einem natürlichen nassen Zustand, der Rest ist entwässert.
Das Besondere an Moorböden ist, dass sie große Mengen an Kohlenstoff in ihren Torfen speichern, die über Jahrtausende durch die Ablagerung von Pflanzenresten unter Wasser entstanden sind. Durch die Entwässerung wird der Torf zersetzt, der Boden verliert kontinuierlich an Höhe und CO2 wird frei. Die Treibhausgas (THG)-Emissionen aus den entwässerten Moorböden sind für fünf Prozent der gesamten THG-Emissionen Deutschlands verantwortlich.
Abb. 1: Verbreitung der organischen Böden in Deutschland (nach Tegetmeyer et al., 2020). Organische Böden umfassen im Wesentlichen die Moor- und Anmoorböden. |
Der Großteil der entwässerten Moore wird heute landwirtschaftlich genutzt. Insbesondere als Intensivgrünland und Acker genutzte Moorböden gehen mit THG-Emissionen von 20 bis zu 50 Tonnen CO2-Äquivalenten je Hektar und Jahr einher. Hierbei gilt: je tiefer der Wasserstand, desto höher die THG-Emissionen. Tief entwässertes Grünland stößt dabei ähnlich hohe THG-Emissionen aus wie als Acker genutzter Moorboden (Tiemeyer et al., 2020). Der CO2-Fußabdruck von einem Kilogramm Moormilch ist dadurch mit rund vier Kilogramm ungefähr fünfmal so hoch wie für Milch von Mineralböden mit etwa 0,6 bis 1,5 Kilogramm (Wichmann, 2021).
Extensiv genutztes Grünland ist meistens weniger tief entwässert, wodurch die THG-Emissionen niedriger ausfallen. Auch der Ökolandbau auf Moorböden bildet hier keine Ausnahme. Eine genauere Betrachtung des Greifswald Moor Centrums am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass auch in diesem Bereich große Mengen an CO2 aus Moorböden entweichen.
Wieso ist Moorschutz Klimaschutz?
Durch eine Anhebung der Wasserstände können die THG-Emissionen der entwässerten Moore reduziert werden (Abel et al., 2019). Das aus Klimaschutzsicht bestmögliche Ziel sind flurnahe Wasserstände, um den Torf zu erhalten und die THG-Emissionen vom Standort maximal zu reduzieren (vgl. Tiemeyer et al., 2020). Bereits nasse Moore sollten deshalb auch nass erhalten bleiben.
Wenn flurnahe Wasserstände nicht möglich sind, zum Beispiel aufgrund von Wassermangel, sollte der Wasserstand so hoch wie möglich sein, um so das größtmögliche Einsparpotenzial zu nutzen. Auch der Übergang von tief entwässertem Moor zu schwach torfzehrender Bewirtschaftung bei weiterhin mäßiger Entwässerung kann eine Reduzierung der THG-Emissionen herbeiführen.
Moornutzung nach Wiedervernässung
Auch wenn entwässerte Moorböden in ganz Deutschland lediglich einen geringen Anteil an der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausmachen, so stellt ein Verzicht auf ihre Nutzung für viele dort wirtschaftende Betriebe keine Option dar. Eine weitere Beweidung nach Anhebung der Wasserstände ist nur in Randbereichen oder mit bestimmten Tieren denkbar, beispielsweise mit Wasserbüffeln. Durch die Anpassungen der Wasserstände verringert sich die Aufwuchsqualität im Hinblick auf den Futterwert derartig, dass die sonst übliche Milchviehhaltung bis hin zur Mutterkuhhaltung auf den Flächen nicht mehr möglich ist und infolgedessen nach alternativen Nutzungs- sowie Verwertungsformen gesucht werden muss.
Die produktive Nutzung von nassen Mooren heißt Paludikultur (1) (lat. palus = Sumpf; siehe Abb. 2). Hierbei wird entweder die natürlich aufkommende Biomasse genutzt (Nasswiesen, Nassweiden) oder es werden an hohe Wasserstände angepasste Pflanzenarten angebaut und verwertet. Solch eine Bewirtschaftung bei hohen Wasserständen stellt einen Paradigmenwechsel dar und erfordert neue Konzepte, Nutzpflanzen und Technik sowie eine Anpassung der bisherigen Agrarförderung.
Feuchtgebietspflanzen können bei guter Nährstoffversorgung hochproduktiv sein und haben einzigartige Struktureigenschaften. Viele Arten besitzen ein ausgeprägtes Aerenchym (Luftgewebe), womit Sauerstoff zu den Wurzeln befördert wird. Durch einen natürlichen Verrottungsschutz ist die Biomasse oft schwer abbaubar, wasserabweisend und besitzt eine starke Struktur. Manche dieser Arten reichern Silikate und seltene Erden an, die sich durch »Phytomining« nutzen ließen. Diese Alleinstellungsmerkmale sind der Grund dafür, dass Feuchtgebietspflanzen (z. B. Schilf oder Papyrus) weltweit zu den wichtigsten traditionellen Baurohstoffen zählen.
Abb. 2: Vergleich der landwirtschaftlichen Nutzung auf entwässertem Moor und wiedervernässtem Moor (= Paludikultur). Illustration: Sarah Heuzeroth, entwickelt mit dem Greifswald Moor Centrum. |
Verschiedene Möglichkeiten der Verwertung
Nutzung als Brennstoff
Die energetische Nutzung von Biomasse aus Paludikultur ermöglicht die Nutzung heterogener Bestände halmgutartiger Biomasse wie Schilf, Rohrglanzgras und Seggen. Für eine thermische Nutzung spricht ein hoher Heizwert der Biomasse, verbunden mit der hohen Effizienz bei der Verbrennung sowie das Vorliegen erprobter (Stroh-)Feuerungstechnik. Für die Produkte Wärme (und Strom) bestehen eine Nachfrage und ein Markt. Die thermische Verwertung von Paludikultur-Biomasse ist dort begünstigt, wo bereits Fernwärmenetze vorhanden sind. Ein Beispiel ist das Heizwerk Malchin der Firma Agrotherm GmbH, das seit 2014 Nasswiesen-Biomasse verbrennt und ins Nahwärmenetz Malchin einspeist. (2)
Neben der direkten Verbrennung kann die Biomasse auch zur Erzeugung von Biogas eingesetzt werden. In Nassvergärungsanlagen ist es grundsätzlich möglich, frische Biomasse oder Silage von Feucht- und Nassgrünland (Schilf, Rohrglanzgras, Seggen) als Co-Substrat für die Biogasproduktion zu verwenden. Außerdem können die Anlagen auch auf höhere Anteile von Paludikultur-Biomasse umgestellt werden, um Maissilage zu ersetzen. Die seltener praktizierte Feststofffermentation (Trockenvergärung) eignet sich besser für die überständige halmgutartige Biomasse.
Stoffliche Nutzung
Mit der stofflichen Nutzung von Paludikultur-Biomasse kann in der Regel eine höhere Wertschöpfung erzielt werden als bei der energetischen Nutzung. Kohlenstoff kann zudem langfristig im Produkt festgelegt werden und gelangt nicht in die Atmosphäre, beispielsweise wenn die Biomasse als Baustoff genutzt wird. Optionen für die stoffliche Nutzung sind zum Beispiel Dachreet, Dämmstoffe, Innenausbau, Edelholzproduktion, Biokunststoffe, Papierherstellung und Verpackungen, Biokohle sowie Substratausgangsstoffe für Gartenbau und Blumenerden.
Derzeit befindet sich eine Vielzahl von Produkten und Verwertungsverfahren in der Entwicklung. Auch Produkte aus Schilf und Rohrkolben (Dämm- und Baustoffe) sind vorhanden oder werden entwickelt, können aber teilweise aufgrund fehlender Rohstoffe nicht produziert und somit am Markt etabliert werden.
Torfersatzstoffe und Substrate
Derzeit ist fossiler Torf der wichtigste Ausgangsstoff für die Herstellung von Gartenbausubstraten, was erheblich zur Zerstörung der Moore und zur Belastung des Klimas beiträgt. Alternativ kann auf wiedervernässten Hochmoorflächen angebautes Torfmoos als Ersatzstoff eingesetzt werden.
Torfmoos-Biomasse ähnelt Torf in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften und wurde in Praxisversuchen im Erwerbsgartenbau bereits erfolgreich getestet. Zur Herstellung von Torfmoossubstrat wird frisch aufgewachsene Biomasse oberflächlich abgeschnitten, getrocknet und anschließend gepresst. Dies stellt ein schnelles Nachwachsen des Torfmooses sicher. Auf einer mittlerweile 17 Hektar großen Versuchsfläche im Hankhauser Moor bei Oldenburg wird der Torfmoosanbau seit 2010 erfolgreich getestet. (3)
Mit einer Produktion von Torfmoos-Biomasse auf 40.000 Hektar könnte bei einer konservativ geschätzten Produktion von 75 Kubikmetern pro Hektar und Jahr der Gesamtbedarf in Deutschland von etwa drei Millionen Kubikmetern Weißtorf ersetzt werden. Auch Nasswiesenheu oder Rohrkolben-Biomasse zeigen gute Eigenschaften, um als Torf- oder Kompostersatzstoff eingesetzt zu werden.
Abb. 3: Moorlandschaft bei Goldenstedt in Niedersachsen. |
Moorbiomasse mit Klimabonus
Aktuell ist die Biomasse aus nassen Mooren ein anspruchsvoller Rohstoff, für den die Absatzmärkte noch ausgebaut werden müssen. Vorteil ist, dass sie auf verschiedene Weise zum Klimaschutz beitragen kann:
- durch die Reduktion der TGH-Emissionen im Moor,
- durch den Ersatz fossiler Rohstoffe und
- durch langfristige Festlegung etwa in Baustoffen oder Pflanzenkohle.
Ob als Verpackung, Formteil, Dämmstoff, Torfersatz oder zur Erzeugung von Wärme oder Strom – in jedem Produkt aus Paludibiomasse steckt Klimaschutz. Die Erlöse für die Biomasse bei diesen Verwertungen decken jedoch bisher noch nicht die notwendigen Investitionskosten und den betrieblichen Aufwand einer nassen Moornutzung ab. Eine angemessene Honorierung der Klimaschutzleistung sollte in das Produkt selbst integriert werden und durch die Agrarförderung (z. B. Agrar-, Umwelt- und Klimamaßnahmen) unterstützt werden.
Ein neues Berufsbild eines »Moorklimawirts« beschreibt Landwirt*innen, die Klimaschutzleistungen bei der Bewirtschaftung von Moorböden erbringen und so den Klimaschutz als Betriebszweig integrieren. Beispiele finden sich bereits in allen moorreichen Bundesländern und umfassen Nasswiesenbewirtschaftung und -beweidung. (4)
Paludikultur ist eine Win-win-Lösung und bietet eine nachhaltige Möglichkeit, Moore als Produktionsstandort zu erhalten. In vielen Pilotprojekten werden aktuell Anbau, Management und Verwertung getestet. Hier braucht es mutige Pioniere, die vorangehen. Fördermöglichkeiten für Demonstrationsprojekte gibt es vom Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium.
Quellen:
(1) Siehe t1p.de/paludikultur
(2) Siehe niedermoor-nutzen.de
(3) Siehe torfmooskultivierung.de
(4) Siehe moorklimawirt.de
Liste der zitierten Literatur unter t1p.de/oel199-abel-lit