Wie falsches Wassermanagement zur Dürre beiträgt
Rückhalt statt Abfluss: Wir müssen Flüsse und Bäche dringend renaturieren, um einen klimaresilienten Wasserlandschafts-Haushalt zu erreichen, meint Dietrich Borchardt. Er ist Hydrobiologe und leitender Wasserforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UfZ) in Magdeburg. Ute Scheub und Stefan Schwarzer haben für ihr Buch »Aufbäumen gegen die Dürre« mit ihm gesprochen.
23.06.2023
Herr Borchardt, wie haben sich die Niederschläge verändert?
Sehr stark. Der Klimawandel zeigt sich durch Starkniederschläge, Niederschlagdefizite und Verbundereignisse, wie Hitzewellen gepaart mit Dürren. Wir sehen außerdem eine saisonale Verschiebung bei ungefähr gleich bleibenden Niederschlagsmengen: Das Frühjahr wird niederschlagsärmer. Wir haben Beobachtungsgebiete mit Messtechnik ausgestattet, um die Dynamiken zu erfassen und Modelle zu bilden wie den Dürremonitor, den das UfZ betreibt.
Ein Regentropfen wäre vor 150 Jahren auf Vegetation gefallen. Ist das jetzt anders?
Urbane Gebiete, Agrarflächen und Wald sind unterschiedlich betroffen. In Städten gibt es viel Abfluss, auf dem Land neben Abfluss hohe Verdunstung. Aber die natürliche Funktion des Landes als Wasserspeicher geht zunehmend verloren.
Wir haben über die Jahrhunderte einen schleichenden Abfluss erzeugt, die Grundwasserspiegel deutlich abgesenkt, zurückzuführen vor allem auf die Bewirtschaftung der Äcker und des Grünlands. Deshalb wird der Wasserrückhalt immer wichtiger. Verdunstung, Versickerung und Abfluss – das muss in diesen Bestandteilen und in seiner Summe etwa dem entsprechen, was ohne menschliche Landnutzung stattfinden würde. Das wäre das Ziel eines klimaresilienten naturnahen Wasserlandschafts-Haushalts.
Aus den Kontinenten sollen 7 Prozent des Oberflächenwassers abfließen, stimmt das?
Ja, das kommt schon hin. An dieser Forschung wird gerade intensiv gearbeitet. Wir schauen: Wie viel von der agrarischen Dürre hat sich von 2018 bis heute durch die Entwässerung der Landschaft verstärkt? Wie viel wäre vermeidbar, wenn wir dieses Wasser in der Fläche speichern würden? Das sind ungefähr 50 Prozent.
Die Hälfte der Dürre wäre durch besseren Umgang mit Wasser vermeidbar?
Auf diese Zahl kommt man durch Rückschlüsse aus dem Abfluss. Heute gibt es viele neu trockengefallene Gewässer. Die sind ein Indikator für das Ausmaß. Etwa 90 Prozent der kleinen Gewässer und Bäche sind in schlechtem ökologischen Zustand, davon ein Großteil abflussbedingt. Den anderen Anteil machen Nitrat aus Gülle und Dünger, Phosphor aus Abwasser, Pestizide und der Gewässerausbau aus.
Gibt es weitere Rückkopplungen dieser Art?
Rückkopplungen sind schwer zu erfassen. Ein Indikator ist die direkte Verbindung zwischen Gewässern und Grundwasser in Agrargebieten, die manchmal nur noch wenige Monate andauert und dann abreißt. In einem intakten Wasserhaushalt sollte beides das ganze Jahr verbunden sein. Gewässer und Böden erwärmen sich sehr viel stärker, wenn die Kühlung durch Grundwasser fehlt. Das hat riesige Konsequenzen.
Wir untersuchen das gerade für größere Landschaften Thüringens. Wir stellen dabei über Isotope fest, wie alt das Wasser ist, das Pflanzen verdunsten. Agrarflächen würden ideal bewirtschaftet, wenn die Pflanzen nur »junges« Wasser nutzen, das dort seit ein paar Wochen oder Monaten ist. Aber im jetzigen Wasserstress versuchen Pflanzen an Wasser zu kommen, das sich dort seit 5 bis 10 Jahren befindet, also aus zurückliegenden Feuchtjahren stammt. Wenn das zu tief liegt, schaffen sie es nicht mehr. Die Folgen sieht man nicht nur in den Industriewäldern Brandenburgs, die im Sommer 2022 brannten, sondern auch zunehmend in naturnahen Wäldern.
Wo der Boden offenliegt, geht er verloren – und es wird immer trockener.
Die Hälfte der Niederschläge entsteht über Land. Könnte man durch mehr Begrünung in NRW mehr Niederschlag in Brandenburg schaffen?
Ja, regionale Wasserkreisläufe spielen eine enorme Rolle. Aber in Brandenburg werden wir nie auf den bundesdeutschen Schnitt von 800 Milliliter pro Quadratmeter kommen. Wenn wir Glück haben, sind es 500. Aber die kommen natürlich auch nur hier an, wenn sie weiter westlich »produziert« werden können.
Was heißt das für den Boden?
Es hat sich darin eine Dürre aufgebaut, die 2017 begann und in der Summe viele Jahre betragen wird. Wir definieren Dürre als Abweichung vom langjährigen Feuchteregime. 2021 war zwar ein normales Niederschlagsjahr, aber die Wasserspeicher in der Tiefe wurden dadurch nicht gefüllt.
Das Defizit zeigt sich jetzt in flacheren Bodenhorizonten. Im Schnitt ist in vielen Regionen Mitteldeutschlands der Grundwasserstand flächendeckend um mehr als einen halben Meter gesunken. Das ist eine enorme Wassermenge.
Allerdings kennen wir nicht das Volumen des gesamten Grundwasserkörpers. Das wollen wir jetzt zusammen mit Kollegen anderer Forschungszentren mithilfe von Satelliten und Gravimetern bestimmen. Damit kann man Veränderungen des Erdschwerefelds erkennen und zurückrechnen, wie groß die Verschiebungen im Wasserhaushalt sind.
Angeblich hat Deutschland in den letzten 20 Jahren Wasser im Volumen des gesamten Bodensees verloren.
Das kann ich nicht bestätigen. Aber Verluste gibt es definitiv. Dennoch stehen wir mit der bundesdeutschen Wasserbilanz im Vergleich zu anderen Ländern immer noch gut da: Wir nutzen durchschnittlich nur circa 16 Prozent des jährlich verfügbaren Wassers, in Trockenzeiten etwa 20 Prozent. Das ist noch immer moderat und wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.
Wie wird das berechnet?
Das Umweltbundesamt erstellt seinen Wassernutzungs-Index als Bilanz aus Niederschlag plus Zuflüssen, etwa über die internationalen Flüsse Elbe und Rhein, minus Abflüsse. Wasserstress beginnt laut einer Definition in der internationalen Wasserkonvention der UNO, wenn mehr als 20 Prozent des erneuerbaren Wasserangebots genutzt werden.
Allerdings wird in der Kalkulation nicht die abnehmende Wasserspeicherung in Böden und Grundwasser berücksichtigt. Der größte Posten hierzulande ist die Nutzung von Flüssen für Kraftwerks-Kühlwasser. Kühlwasser heizt die Flüsse auf. Im Hitzesommer 2018 reichte die Kühlkapazität mancher Flüsse dafür nicht mehr aus.
Großkonzerne wie BASF und RWE sind die größten Wasserverbraucher ...
Ich sehe darin kein Problem, solange ausreichend Wasser für alle menschlichen Nutzungen und den Naturhaushalt in der Region vorhanden ist – so wie der Rhein – und gereinigt zurückgeleitet wird.
Auch bei der Autofabrik Tesla im trockenen Brandenburg nicht?
Da bin ich entspannt. Wasser wird nicht verbraucht, sondern gebraucht. Die Prozesse müssen natürlich sauber organisiert werden. Intel will jetzt die größte Chip-Fabrik Europas bei Magdeburg bauen und 80 bis 90 Milliarden Euro investieren. Intel hat europaweit rund 80 Standorte verglichen und entschied sich auch wegen des Zugangs zur Elbe für Magdeburg. Hier wird eine elf Kilometer lange Leitung gebaut. Wenn es so viel verbraucht wie Tesla, sind das 30.000 Liter am Tag. Das führt die Elbe selbst bei Niedrigwasser pro Sekunde.
Aber man muss bei Tesla und Intel auf gutes Recycling und Wasser-Effizienz drängen. BMW und Audi sind hier führend, sie nutzen jeden Tropfen mehrfach durch interne Wiederaufbereitung. Es wäre möglich, dass das Intel-Wasser sogar sauberer in die Elbe zurückgeht, als es vorher war.
Aber Grundwasser kommt nicht zurück.
Richtig. In Deutschland läuft die Wasserversorgung in der Regel über die rund 4.500 kommunalen Versorger. Viele stützen sich aber nur auf eine einzige Quelle, etwa Grundwasser. Das kann knapp werden. In den letzten 30 Jahren wurden viele kleine kommunale Versorger in Agrargebieten wegen erhöhter Nitratbelastung geschlossen, weil die Aufbereitung zu teuer geworden wäre. Die wenigsten haben Verbundsysteme mit anderen Quellen, aber darin liegt die Zukunft.
Die Wasserversorgung im Gebiet Ostharz-Elbaue läuft beispielsweise über einen solchen Verbund: über eine Talsperre, mehrere Grundwasserleiter und Uferfiltrate der Elbe. Das wird dynamisch gemischt. Eine weitere Option wird in flussnahen Regionen die künstliche Grundwasseranreicherung werden, wie es sie am Rhein beispielsweise schon gibt.
Gab es vor 2017 auch schon einen Trend zu sinkenden Wasserbeständen?
Unser Dürremonitor berücksichtigt Niederschlagsdaten ab 1952. Es gab immer wieder einzelne Dürrejahre, etwa 1954. Aber das Defizit wurde meist im nächsten Jahr ausgeglichen. Auch 40 Grad wurden schon mal gemessen, aber nicht so geballt. Das ist neu.
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Wie wird der Dürremonitor modelliert?
Das ist ein Wasserbilanz-Modell, in das viele Daten einfließen. Wir zeigen nur die Bodenfeuchte, weil das ein valider wichtiger Indikator ist, aber wir arbeiten an weiteren Indikatoren für Abflüsse, Verdunstung, Grundwasser-Neubildung und Wasserqualität.
Abnehmender Humusgehalt spielt auch eine Rolle? Humus speichert ja viel Wasser.
Natürlich.
Was kann man gegen die Probleme tun?
Die Entwässerungspraxis muss grundsätzlich überdacht werden. In unseren Landschaften wurden unglaublich viel Drainagen vergraben. In der DDR gab es ein regelrechtes Stauhaltungs-Regime, inklusive Staumeister, die per Hand arbeiteten. Nach der Wende wurde alles aufgegeben, weil es kostet. Wir brauchen da neue Gesetze. Und Verantwortliche, die vorangehen.
Landrat Patrick Puhlmann in Stendal setzt die Drainage ein, nicht um zu entwässern, sondern um zu bewässern! Das Wasser läuft bei hohem Wasserstand in die Landschaft und später kontrolliert zurück. Das ist sehr klug, denn im Winter läuft viel schnell weg. Und danach haben wir zu niedrige Pegel.
Wasserspeicher in der Landschaft sind sehr wichtig. Und die begradigten Flüsse und Bäche müssen wieder renaturiert werden, um die Geschwindigkeit des Abflusses zu verringern. Wenn wir die Länge aller deutschen Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet von mehr als 10 Quadratkilometern zusammenrechnen, ergibt das etwa 150.000 Kilometer, also viermal um die Erde. Dieses auf Rückhalt ausgelegte natürliche Adernetz ist durch starke menschliche Eingriffe zu einem Abfluss-System geworden. Dies wieder teilweise rückgängig zu machen, hätte einen großen Effekt.
Was bedeutet das für die Landwirtschaft?
Gewässernahe Bereiche und Feuchtgebiete sollten gezielt als Speicher genutzt werden. Landwirte könnten sie dann immer noch extensiv als Grünland nutzen. Aber das sollte honoriert werden, etwa über veränderte EU-Agrarsubventionen. Landwirte könnten mit einem betrieblichen Anteil Wasserwirte werden mit entsprechend gesichertem Einkommen!
Mir ist völlig unverständlich, warum die EU immer noch 300 Euro pro Hektar ohne Gegenleistung zahlt. Der von Ihnen in diesem Zusammenhang benutzte Begriff »Klimalandschaften« gefällt mir sehr.