Umweltgeschichte von 1933 bis 1945

Wie grün waren die Nazis?

Der Naturschutz in Deutschland hat eine bewegte Vergangenheit – vor allem, wenn man sich die Zeit von 1939 bis 1945 ansieht. Wo sich Möglichkeiten boten, kannten die Naturschützer*innen im Nationalsozialismus wenig Skrupel. Andererseits hatte die Bewegung kaum altgediente Nazis in ihren Reihen und tat sich oft schwer, Gehör zu finden. Ein Versuch, Klarheit in ein kompliziertes Beziehungsgeflecht zu bringen. Von Frank Uekötter aus der politischen ökologie 131.

03.08.2022

Wie grün waren die Nazis? | Umweltbewegung Nationalsozialismus Umweltgeschichte Geschichte

Wer die schriftlichen Hinterlassenschaften der NS-Zeit durchstöbert, stößt auch beim Naturschutz über kurz oder lang auf üble Zitate. Da ist dann zum Beispiel zu lesen, dass man »im Interesse der Wiederverwurzelung unseres Volkes, der Abwehr des bolschewistischen Geistes, die heute noch naturhaft gebliebenen Landschaften erhalten« möge. (1) Ein dem deutschen Bauern und Soldaten gewidmetes Lehrbuch feiert »die nordische Landschaftssehnsucht« und stellt sie der parasitären Einstellung der Menschen Osteuropas gegenüber: »Der ostische Mensch hat es nie verstanden, die Güter der Schöpfung fortzuentwickeln.« (2) Und manchmal ist gar die Rede von »einer monomanischen Entartung und materialistischen Übersteigerung des Geschäftssinnes«, die möglicherweise »auf eine Infektion mit jüdischem Giftstoff zurückzuführen« sei. (3)

Eine Zeit lang bestanden Beiträge zur Umweltgeschichte des NS-Staats vor allem aus solchen Zitaten, die mit empörtem Unterton, aber ohne tiefer gehende Analyse referiert wurden. Inzwischen ist die Forschung weiter. Das bloße Entsetzen erklärtschließlich noch nicht, was hinter den Zitaten steckte. Waren die Naturschützer fanatisch überzeugte Nazis – oder gnadenlose Opportunisten, die sich den neuen Machthabern anbiederten? Und geht es um mehr als ein paar fehlgeleitete Individuen? Gab es im NS-Staat ein ernsthaftes Bemühen um den Schutz der Umwelt oder gar eine »grüne Partei«, wie die Historikerin Anna Bramwell in den 1980er-Jahren behauptete? (4)

Um zumindest dies vorwegzunehmen: Eine »grüne Fraktion« gab es im Nationalsozialismus nicht, und Bramwells Buch entpuppte sich rasch als kalkulierte Provokation auf dünner Quellengrundlage. Wenn sich überhaupt ein durchgängiges Merkmal für den Umgang mit Umweltproblemen im NS-Staat erkennen lässt, dann war es ein konsequenter Opportunismus: Entscheidungen ergaben sich vor allem spontan, je nach Interessen- und Akteurskonstellation und (seltener) ideologischem Flair.

So ziehen sich dramatische Kurswechsel durch die Umweltgeschichte der NS-Zeit. Dauerwald, Tierschutz, Begleitplanung beim Autobahnbau – es gibt kaum ein Thema, bei dem sich über die zwölf Jahre hinweg so etwas wie eine durchgängige Linie erkennen lässt. Es ging bei Natur und Umwelt eben nicht um nationalsozialistische Schlüsselthemen wie Aufrüstung und Judenhass, wo die Ansichten unverrückbar waren. Bei der natürlichen Umwelt gab es ein breites Spektrum unterschiedlicher Gruppierungen mit wechselnden Bündnissen und Konjunkturen.

Die biologisch-dynamische Landwirtschaftslehre wurde zum Beispiel in zwölf turbulenten Jahren gleichermaßen Opfer von Verboten, Hobby von Nazigrößen, Experimentierfeld der Autarkiepolitik und Komplizin des Genozids. Selbst bei der ideologischen Aufladung gab es unterschiedliche Optionen und erst recht keinen unmittelbaren Zwang. Soweit bekannt geriet kein einziger Naturschützer in Schwierigkeiten, weil er auf eine nationalsozialistisch eingefärbte Rhetorik verzichtete.

Keine Einbahnstraße in den NS-Staat

Versuchen wir, das Gewirr der Ereignisstränge aufzulösen. (5) Die deutsche Natur- und Heimatschutzbewegung entstammte einem Milieu, das gleich in mehrfacher Beziehung ideologisch anfällig war. Konservatismus, Niedergangsängste und ein strammer Nationalismus waren in solchen Kreisen allemal salonfähig – aber das bedeutete noch längst keine Einbahnstraße in den NS-Staat.

Es ist nach Auschwitz schwierig geworden, den zwanglosen Umgang nachzuvollziehen, den das wilhelminische Bildungsbürgertum mit antidemokratischen und antisemitischen Strömungen pflegte. Missmutig registrierte beispielsweise Ernst Rudorff, der als einer der Begründer des deutschen Natur- und Heimatschutzes gilt, im Aufruf zur Gründung des Bundes Heimatschutz den Namen des jüdischen Bankiers Alexander Meyer-Cohn, obwohl dieser als Direktor eines Trachtenmuseums unterschrieb (und dass er auch keine Frauen als Unterzeichner wollte, machte die Sache nicht wirklich besser). Gewiss kein sympathisches Verhalten – aber von ideologischem Fanatismus oder gar Pogromstimmung war derlei doch weit entfernt.

Neben den ideologischen Bezügen gab es die praktische Politik: Die Naturschützer und andere Aktive hofften auf einen neuen Aufschwung ihrer Arbeit und eine entsprechend tatkräftige Unterstützung durch den Staat. Die Aufbruchstimmung der Zeit um 1900 war nach Kriegs- und Nachkriegsnöten verflogen, und die Weimarer Republik war für die meisten ökologischen Bewegungen eine Zeit ohne große Erfolge; da lag die Hoffnung nahe, dass die Karten nach 1933 neu gemischt würden. Zudem hatten die Naturschützer Forderungen, die der demokratische Rechtsstaat nicht erfüllen konnte, so etwa die Möglichkeit der Enteignung naturschutzwürdiger Flächen. Hatte die NSDAP in ihrem Parteiprogramm von 1920 nicht ausdrücklich erklärt, Gemeinnutz gehe vor Eigennutz?

Nach der Machtergreifung 1933 plagte die Naturschützer jedoch zunächst ein sehr viel handfesteres Problem: Man hatte praktisch keine Beziehungen zu den neuen Herrschern. Es gab in der nationalsozialistischen Bewegung kein Äquivalent zu den sozialdemokratischen Naturfreunden, und umgekehrt hatte die Naturschutzbewegung kaum altgediente Nazis in ihren Reihen. Leute wie der Biologe und Naturschützer Walther Schoenichen, die nach der Machtergreifung hurtig in die Partei eintraten, beeindruckten die »alten Kämpfer« denkbar wenig. Das waren die »Märzgefallenen«, deren taktische Motive offenkundig waren.

All das lief in den ersten Monaten der NS-Herrschaft auf eine große Unsicherheit hinaus. Niemand konnte wissen, was die neuen Machthaber für die eigenen Anliegen bedeuten würden, ja selbst Regeln für das erwünschte Verhalten im totalitären Staat waren nur in groben Umrissen erkennbar. Klar war allenfalls, dass ein passives Warten auf Signale von oben wenig Erfolg versprach. Der Nationalsozialismus belohnte vor allem Männer der Tat. »Dem Führer zuarbeiten« nannte das Ian Kershaw in seiner monumentalen Hitler-Biografie. (6) Die ungeheure Dynamik des NS- Regimes hing stark an den Initiativen von Personen, die nicht lange auf Kommandos und Richtlinien warteten, sondern forsch vorangingen und dann schauten, wie das eigene Handeln an höherer Stelle bewertet wurde. Etliche dieser Initiativen versandeten folgenlos, andere zündeten. Vorher wissen konnte man das in den seltensten Fällen.

Das machte den Naturschützern durchaus Hoffnung. Aber zugleich standen sie damit auf einer abschüssigen Ebene. Der Nationalsozialismus honorierte Annäherungen und Affinitäten. Aber wie weit sollte man gehen? Sollte man eigene Anliegen zum Beispiel ideologisch aufhübschen oder reichte der Charme der Sache? Auch die besonderen Opportunitätsstrukturen des NS-Staats gaben Grund zum Nachdenken. Sollte man sich zum Beispiel für Pflegearbeiten in Naturschutzgebieten um KZ-Häftlinge bemühen? Für das Konzentrationslager Flossenbürg ist ein solcher Versuch dokumentiert. Ein moralischer Tiefpunkt war der Versuch, Reichsführer-SS Heinrich Himmler 1943 zur Parteinahme im Kampf um die Wutachschlucht im Südschwarzwald zu bewegen. Wo sich im NS-Staat attraktive Möglichkeiten boten, kannten die Naturschützer erschreckend wenig Skrupel.

Segen von ganz oben

Der größte Erfolg der NS-Zeit, das Reichsnaturschutzgesetz von 1935, war bezeichnenderweise ein Zufallsprodukt. Das Gesetz fiel den Naturschützern quasi in den Schoß, als Hermann Göring sich in stockende verwaltungsinterne Debatten einschaltete und das Gesetz im Hauruckverfahren durchs nationalsozialistische Kabinett brachte. In einem mythenumrankten Telefongespräch mit dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust sicherte sich Göring die Zuständigkeit für den Naturschutz, und die Tat war für die Aktiven nicht weniger wichtig als das Ergebnis: Endlich genoss das so lange marginalisierte Anliegen den Segen von ganz oben. »Nun hat der Reichsforstmeister Göring auch den Naturschutz in seine starke Hand genommen und unseren Bestrebungen das reichsgesetzliche Rückgrat gegeben«, jubelte der Bund Naturschutz in Bayern in einem Rundschreiben an Gruppenführer und Vertrauensmänner. (7)

In Wirklichkeit blieb die Unterstützung durch Göring nach 1935 die Ausnahme. Göring scheint am Naturschutz vor allem zweierlei interessiert zu haben: zum einen ein weiterer Titel – derlei sammelte er bekanntlich wie andere Briefmarken –, zum anderen die Förderung der Schorfheide bei Berlin, in der er seinen quasifeudalen Landsitz Carinhall unterhielt. Görings Regiment in der Schorfheide kostete Geld, und da bot der Naturschutz Möglichkeiten, etwa über eine speziell eingerichtete Stiftung Schorfheide.

Nach 1945 bleibt die Naturschutzvergangenheit tabu

Auch wenn sich die große Politik anderen Themen zuwandte, blieb das Reichsnaturschutzgesetz doch ein beeindruckendes Werk – vielleicht das beste Naturschutzgesetz seiner Zeit. In zahllosen lokalen Konflikten bemühten sich die Naturschützer, die neuen Optionen auszureizen, nicht selten unter Drohung mit der neuen Enteignungsoption. Auf die stockende Arbeit in den Weimarer Jahren folgte ein fieberhafter Boom im NS-Staat, der bei den Aktiven einen tiefen Eindruck hinterließ. Das nationalsozialistische Deutschland war das einzige Land Europas, das in den 1930er-Jahren einen Aufschwung der Naturschutzarbeit erlebte.

All das sorgte für ein dichtes Geflecht von Komplizenschaften, das nach dem Ende des NS-Regimes zum Problem wurde. 1947 veröffentlichte die bayerische Naturschützerin Edith Ebers einen Essay über »neue Aufgaben der Naturschutzbewegung«, der zum kritischen Nachdenken aufrief: »Der katastrophale Zusammenbruch, den unser staatliches und volkliches Dasein erlitten hat, läßt erahnen, dass auch hier, in unserer Naturbeziehung, irgend etwas nicht mehr in Ordnung war«, erklärte Ebers in einem der anrührendsten Dokumente der deutschen Naturschutzgeschichte. (8) Im restaurativen Klima der Nachkriegsjahre blieb derlei freilich die Ausnahme.

Der Naturschutz hielt sich lieber an Hans Klose, seit 1938 Leiter der Reichsstelle für Naturschutz, der die verbliebenen Mitstreiter im Sommer 1945 mit den folgenden martialischen Sätzen um sich scharte: »Nur der ist heute in unseren Reihen tragbar, der fanatisch gewillt ist, sich mit aller Kraft für die heute mehr denn je bedrohte, gleichzeitig aber im Werte mehr denn je gestiegene Heimatnatur und Heimatlandschaft einzusetzen.« (9) Für eine Naturschutzszene, die nur zu gut wusste, dass sie sich in der Kollaboration mit dem NS-Regime die Finger verbrannt hatte, war das die ideale Devise: Reihen schließen, entschlossene Arbeit, Konzentration auf das Hier und Jetzt. Die eigentlich fällige Debatte über die eigene Vergangenheit blieb deshalb schon im Ansatz stecken.

Wachsam bleiben

So blieben ideologische und personelle Kontinuitäten, die zunächst nur langsam und ohne öffentliches Aufsehen aussortiert wurden. Die schleichende Demokratisierung des populären Wettbewerbs »Unser Dorf soll schöner werden«, der zunächst tief in Traditionen einer nationalsozialistischen »Volkspflege« gründete, war dafür ein anschauliches Beispiel. (10) Zum Skandal wurden die Bezüge erst, als der Generationenwechsel längst im Gange war. An der Universität Hannover wurde die NS-Vergangenheit des 1958 emeritierten Hochschullehrers Heinrich Wiepking Ende der 1960er-Jahre zu einem populären Thema der Studentenbewegung.

Bei Wiepking, der an der Landschaftsplanung für die eroberten Ostgebiete mitgewirkt hatte, fiel ein Verdammungsurteil tatsächlich leicht; aber eine solche Eindeutigkeit besaß das Thema nur selten. Erst nach und nach begann die historische Forschung, ein nuanciertes Bild des naturschützerischen Alltags zu zeichnen, das meiste entzog sich einer einfachen moralischen Bewertung. Andererseits konnte man sich auch bei jenen, die halbwegs anständig durch die NS-Zeit gekommen waren, nicht wirklich sicher sein. Vielleicht hatte es ganz einfach an einer der einschlägigen Versuchungen gefehlt?

Das macht es auch schwierig, die Frage nach den Konsequenzen für die gegenwärtige Umweltbewegung zu beantworten. Es gibt keine einfache Lehre aus der NS-Zeit, die sich für alle Zeiten ins Poesiealbum der Umweltbewegung kleben ließe. Das Thema bleibt ein kompliziertes: Es geht um ideologische Affinitäten und dubiose Bündnispartner, um Zwänge totalitärer Gesellschaften und die Bereitschaft zur Selbstmobilisierung. Die braune Gefahr hatte mehr als eine Form und mehr als einen Ort, andenen sie sich manifestierte. Das ist wohl auch der Grund, warum sie für die heutige Umweltszene so beunruhigend ist. Gegen polyvalente, also in mehrfache Richtungen wirksame Bedrohungen gibt es eben keine Patentrezepte. Man wird wohl einfach wachsam bleiben müssen.

Anmerkungen

(1) Staatsarchiv Würzburg Landratsamt Bad Kissingen Nr. 1237: „Was muß der Gendarmeriebeamte vom Naturschutz wissen?“ Vortrag bei der Bezirksversammlung der Gendarmerie in Garmisch-Partenkirchen am 7.11.1938 von Hans Kobler beim Bund Naturschutz in Bayern e.V. München, S. 4.
(2) Wiepking-Jürgensmann, Heinrich Friedrich (1942): Die Landschaftsfibel. Berlin, S. 24 f.
(3) Schoenichen, Walther: Biologie der Landschaft. Neudamm/Berlin 1939, S. 76.
(4) Bramwell, Anna (1985): Blood and Soil. Walther Darré and Hitler’s Green Party. Abbotsbrook.
(5) Für den Versuch einer umfassenden Gesamtdarstellung vgl. Uekötter, Frank (2006): The Green and the Brown. A History of Conservation in Nazi Germany. Cambridge/New York.
(6) Kershaw, Ian (1998): Hitler 1889-1936. Stuttgart.
(7) Staatsarchiv Würzburg Landratsamt Bad Kissingen Nr. 1237: Bund Naturschutz in Bayern an die Gruppenführer und Vertrauensmänner vom 28.8.1935.
(8) Ebers, Edith (1947): Neue Aufgaben der Naturschutzbewegung. München, S. 3.
(9) Westfälisches Archivamt Münster Bestand 717 Akte „Reichsstelle (Bundesstelle) für Naturschutz (und Landschaftspflege)“. Der Direktor der Reichsstelle für Naturschutz, Denkblätter der Reichsstelle für Naturschutz über die künftige Wahrnehmung von Naturschutz und Landschaftspflege, 26. Juni 1945, S. 4.
(10) Strube, Sebastian (2013): Euer Dorf soll schöner werden. Ländlicher Wandel, staatliche Planung und Demokratisierung in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen

Dieser Beitrag stammt aus 

Braune Umweltschützer auf Stimmenfang

Sie marschieren auf Demonstrationen gegen Gentechnik mit, verteilen Flugblätter gegen geplante Schweinemastbetriebe oder publizieren im NPD-nahen Magazin »Umwelt & Aktiv«: Rechtskonservativ bis ...   

Der Autor 

Frank Uekötter ist Professor für geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in England. In der Tradition er deutschen Zeitgeschichtsforschung ist er ein Grenzgänger zwischen Geschichtswissenschaft und ...

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