»Wir lassen uns von diesem Prozess nicht einschüchtern«
oekom-Verleger Jacob Radloff publiziert seit über 30 Jahren zu ökologischen und nachhaltigen Themen. Unbequem zu sein gehört dabei stets zum Verlagsprofil. Vor Gericht musste er sich bislang aber noch nie verantworten. Das könnte sich nun ändern: Wie dem oekom-Autor Alexander Schiebel droht auch ihm als Verleger der Prozess. Anlass ist die in Schiebels Buch »Das Wunder von Mals« geübte Kritik am massiven Pestizideinsatz in den Südtiroler Obstplantagen. Wie das Buch entstand und wie er auf die beginnenden Prozesse schaut, erzählt der Verleger im Interview mit Online-Redakteurin Janine Gaumer.
07.09.2020
Janine Gaumer: Wie ist das Buch mit Alexander Schiebel zum »Wunder von Mals« damals entstanden?
Jacob Radloff: Alexander Schiebel besuchte uns im Verlag und erzählte von der Südtiroler Gemeinde Mals. In dem 5000-Seelen-Dorf haben ein Dutzend engagierter Bürger 2014 in einer Volksabstimmung 76 Prozent der Malser und Malserinnen dafür gewonnen, zukünftig den Pestizideinsatz in der Gemeinde zu verbieten. Schiebel wollte diese mutigen Südtiroler*innen und deren Kampf gegen eine übermächtige Allianz aus Bauernbund, Landesregierung und Agrarindustrie in einem Film portraitieren und die Erfahrungen in einem Buch aufzeichnen. Wir waren sofort begeistert von dieser Idee. Uns war klar: diese Geschichte muss erzählt werden!
Was war das Besondere an diesem Projekt?
Bei ökologischen Themen wird ja oft mit abstrakten Daten operiert, Zusammenhänge werden analysiert, Auswirkungen diskutiert – all das hat scheinbar mit unserem alltäglichen Leben nur wenig zu tun. Es berührt die Menschen kaum. In Mals aber haben Menschen wie Du und ich Gesicht gezeigt: Sie hatten durch persönliche Betroffenheit die Gefahren beim Pestizideinsatz erkannt und haben mit ihren Möglichkeiten vor Ort kreativ etwas gegen diese Umweltgefahr unternommen. Eine wunderbare Geschichte von Mut und Engagement, die gleichzeitig anschaulich werden lässt, vor welchen Herausforderungen wir heute stehen! Und was reizt mich als Verleger mehr, als wenn ökologische Themen in einer sinnstiftenden Geschichte erzählt werden können? Mehr als 12.000 verkaufte Bücher zeigen, dass diese Einschätzung von vielen Leserinnen und Lesern geteilt wird.
Mit der Veröffentlichung war die Geschichte aber nun nicht zu Ende. Wie haben Sie das erste Mal von der Klage gegen das Buch erfahren?
Es klingt verrückt, aber wir haben tatsächlich zunächst nur durch die Südtiroler Presse davon erfahren – Ende September 2017. Dort stand, dass Landesrat Arnold Schuler eine Klage gegen Alexander Schiebel und mich als Verleger einreichen will. Ehrlich gesagt: Wir konnten das nicht so recht glauben. Zwar hatten wir mitbekommen, dass schon die Initiatoren der Initiative in Mals und sogar der Bürgermeister mit Klagen überzogen wurden. Doch dass der Landesrat auch gegen Publizisten, die über Mals berichten, mit juristischen Mitteln vorgehen würde, war für uns nicht vorstellbar.
Erst im Februar 2020 erhielt ich dann ein Schreiben des Landgerichtes Bozen, daß gegen mich Anzeige wegen der Straftat der üblen Nachrede eingereicht sei. Nach zweieinhalb Jahren einer scheinbar etwas zähen Beweisaufnahme wissen wir: Der Kläger und die mit Unterschrift angehängten Landwirte meinen es Ernst.
Wenn Sie gewusst hätten, dass nun möglicherweise ein Prozess auf Sie zukommt – hätten Sie das Buch trotzdem veröffentlicht?
Ja, natürlich. Die europaweite Diskussion der vergangenen Jahre um Einsatz und Wirkung von Glyphosat und anderen chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln zeigt doch, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Pestiziden in der Landwirtschaft ist. Das interessiert und bewegt die Menschen! »Das Wunder von Mals« ist übrigens nicht das einzige Buch zu dem Thema, das wir im Programm haben: Auch »Die Pestizidlüge« benennt sehr klar, welche Auswirkungen Pestizide in Lebensmitteln haben können.
Wie sehen Sie dem Prozess gegen ihren Autor Alexander Schiebel und auch der Anhörung um einen möglichen Prozess gegen Sie selbst entgegen?
Hier wird eine politische Frage, nämlich wie Landwirtschaft ohne gravierende Schäden für Mensch und Umwelt gestaltet werden kann, auf die juristische Ebene verlagert. Eigentlich müsste diese Auseinandersetzung aber in der Öffentlichkeit geführt und in einem demokratischen Prozess entschieden werden. Die Malser*innen haben schließlich auch auf politischem Wege – über eine Volksabstimmung – dafür plädiert, dass sie pestizidfrei leben wollen. Wie wir mit diesen, uns alle betreffenden Fragen umgehen, ist also keine Frage für Strafprozesse, sondern der politischen Willensbildung und der demokratischen Auseinandersetzung.
Und was sagen Sie zum Vorwurf der »üblen Nachrede«?
Unser Autor argumentiert bisweilen zwar pointiert und meinungsstark, aber bezieht sich bei seiner Kritik am Pestizideinsatz immer auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist auf unserer Seite. Weder Alexander Schiebel noch wir als Verlag lassen uns von dieser Anklage einschüchtern. Im Gegenteil: Ich bin voll Vertrauen in die italienische Justiz, dass sie hier ein Urteil fällt, dass die kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen in der Öffentlichkeit am Ende stärkt.
Was bedeutet es, dass Sie als Verleger angezeigt wurden? Welche Implikationen für die Verlagslandschaft bringt das mit sich?
Das ist ein einmaliger Vorgang! Es ist das allererste Mal in unserer mehr als dreißigjährigen Verlagsgeschichte, dass mir so etwas widerfährt – und das bei unzähligen Büchern und Zeitschriften, die bei uns jährlich erscheinen. Für Publizist*innen wäre es sehr gefährlich, wenn sich dieser Weg in Zukunft als Mittel etablieren würde, um mit unliebsamer Kritik umzugehen. Weder die Autor*innen noch unabhängige Verlage wie wir haben die finanziellen Ressourcen für Anwalts- und Prozesskosten, um sich in aufwändigen Verfahren gegen derartige Anschuldigungen zu wehren.
Natürlich besteht die Gefahr, dass – allein aus dem ökonomischen Zwang heraus – schon vorher die Schere im Kopf ansetzt, unbequeme Aussagen vermieden werden und die offene Diskussion darunter leidet. Dass diese Entwicklung nicht nur hypothetisch ist und Mals kein Einzelfall, zeigt eine gerade publizierte Studie der Universität Amsterdam und Greenpeace, die nachweist, dass in ganz Europa Umweltengagierte und kritische Journalist*innen zunehmend von Unternehmen und Politiker*innen mit Klagen eingeschüchtert werden und so das Engagement der Zivilgesellschaft behindert wird.
Was wünschen Sie sich für diese Auseinandersetzung?
Dass die Meinungsfreiheit gestärkt daraus hervorgeht und dass sich nicht – analog zur Monokultur in der Landwirtschaft – in der öffentlichen Auseinandersetzung eine Monokultur der Informationsvermittlung durchsetzt. Am Ende geht es um das gleiche Prinzip: So wie unsere natürliche Welt auf biologische Vielfalt angewiesen ist, können wir die Demokratie nur erhalten und immer wieder neu gewinnen, wenn eine Vielzahl von Menschen ermutigt werden, ihre – bisweilen auch kritischen – Stimmen einzubringen und sich zu engagieren.
In diesem Sinne wünsche ich den Malser*innen und Alexander Schiebel, dass ihre Stimmen gehört werden. Es wäre ein Riesenerfolg, wenn diese Diskussion in Südtirol und ganz Europa dazu beitragen würde, dass in Sachen Pestizideinsatz endlich ein Umdenken einsetzt. Vielleicht haben die Prozesse am Ende ja dann doch ihren Sinn und schaffen Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema.
Wie werden Sie zukünftig mit Buchprojekten umgehen, die ebenfalls politisch brisant sind?
Wir fragen uns immer: Ist das Thema wichtig? Stimmen die Fakten? Beantworten wir beides mit ja, dann machen wir das Buch. Auch wenn es manchen nicht passt.
Mehr zum Prozess erfahren Sie auf unserer Themenseite »Das Wunder von Mals« vor Gericht >>.