Special
Leseprobe
Zum Buch »Alles eine Frage der Zeit« von Harald Lesch, Karlheinz A. Geißler und Jonas Geißler präsentieren wir Ihnen hier das Vorwort von Harald Lesch als Leseprobe. Alternativ können Sie die volle Leseprobe auch als PDF herunterladen (Download, PDF, 481 KB).
Wir wünschen viel Lesevergnügen!
Vorwort: Zeit wird’s!
In diesem Buch geht es um nachhaltige und damit zukunftsfähige Formen des Lebens auf dem Planeten Erde. Es ist zum Glück nicht das erste Buch zu diesem Thema: Zuhauf gibt es Sachbücher, Ratgeber, Blogs und Kongresse, die nach Lebens- und Wirtschaftsformen suchen, die den Planeten nicht zerstören. Was muss eigentlich zur Dringlichkeit des Schutzes der Umwelt noch gesagt werden, das Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, die mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen, nicht bereits wüssten und das nicht all überall thematisiert und diskutiert wird?
Wir wollen dem Streben nach einer zukunftsfähigen Welt ein wichtiges und zugleich oft übersehenes Teil hinzufügen – es ist die »ZEIT«.
Ohne auch von Zeit zu reden kann man nicht wirklich über Nachhaltigkeit sprechen. Bereits die erste bekannte Definition von Nachhaltigkeit, zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Hans Carl von Carlowitz, einem sächsischen Oberberghauptmann, niedergeschrieben, betont die zeitliche Komponente. Mit Blick auf eine drohende Holzkrise ermahnte Carlowitz, es solle nur so viel Wald geschlagen werden, wie auch wieder nachwächst. Auch heute noch definieren wir Nachhaltigkeit als ein Tun, bei dem nur so viele Ressourcen beansprucht werden, wie im Verbrauchszeitraum auch wieder nachwachsen oder regenerieren können. Sichergestellt werden soll damit eine zukünftige Nutzung dieser Ressourcen. Ob etwas nachhaltig ist oder nicht, entscheidet sich also erst durch die Berücksichtigung der Zeitlichkeit, wie etwa der Regenerationszyklen der Ökosysteme oder der Veränderungsverläufe in der Um- und Mitwelt.
Ohne Zeit keine Nachhaltigkeit – und doch wird die Zeit, wenn wir über unseren Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise sprechen, häufig auf die drohende Zukunft reduziert –, »damit zukünftige Generationen nicht für unser ausbeuterisches Tun büßen müssen«. Das ist zweifelsohne richtig und wichtig, aber der zeitliche Blick in die Vergangenheit oder die Zukunft greifen zu kurz. Statt ihn auf dieses memento futuri zu beschränken, sollten wir uns anschauen, wie eng unser Umgang mit Zeit mit der herrschenden Verschleißkultur zusammenhängt.
Das Thema »Zeit« ist daher für Lösungen im Umgang mit unseren ökosozialen Problemen unverzichtbar, auch weil es für deren Entstehung eine bedeutsame Ursache ist. Unsere Entkopplung von der Natur – die Annahme, dass wir über sie verfügen können – ist die Folge eines kulturellen Zeitverständnisses, das mit der mechanischen Uhr Verbreitung fand.
Unsere Wissenschaftskultur verleitet uns dazu, die der „Uhr zugrunde liegenden Messvorgänge als universell gültige Maße anzusehen – Zeit ist, was die Zeiger der Uhr signalisieren, überall und immer gleich. Was die Uhr anzeigt, ist aber keineswegs »die Wahrheit« über die Zeit. Tatsächlich gibt es unendlich viele Zeitqualitäten, Zeitmuster und Eigenzeiten. Uhrzeit ist gerade, die Zeiten der Natur sind krumm. Selbst die Physik ist sich nicht so einig über die Zeit, wie dies unterstellt wird.
Dass wir diese Vielfalt der Zeiten nicht mehr sehen und leben und die Monokultur der Uhrzeit zu einem Gesetz machen, erklärt auch die kognitive Dissonanz, die unser Dasein bestimmt: Einerseits besitzen wir das wissenschaftlich gut fundierte und gesellschaftlich breit geteilte Wissen, dass unser gegenwärtiger Lebensstil bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung sicher in Katastrophen ungeahnten Ausmaßes führen wird. Andererseits folgt unser tagtägliches Handeln weithin ganz anderen Prioritäten.
Wenn wir die Natur schützen wollen, müssen wir ihr zunächst ihre eigenen Zeiten wieder zugestehen. Und das gilt nicht nur für unsere Umwelt, sondern auch für uns selbst als Wesen der Natur, deren Körper nach eigenen Rhythmen funktionieren. Voraussetzung für den Zugang zu den rechten Zeitmaßen ist die Befreiung unseres Zeithandelns aus der Umklammerung der »Zeit ist Geld«-Diktate. Zeitwohlstand, elementarer Baustein eines guten Lebens, ist nur auf diesem Wege realistisch.
Mit diesem Buch laden wir Sie auf eine Reise in die Geschichte unseres Umgangs mit Zeit ein. Diese zeigt, wie drastisch sich unser Leben mit der mechanischen Uhr geändert hat und wie eng die Uhrenlogik mit den rapide zunehmenden ökologischen Krisen zusammenhängt. Die Reise geht auch in die Gegenwart, in der die Menschen durch Zeitverdichtung immer mehr in ein und derselben Zeiteinheit zu erledigen versuchen und dadurch den Ressourcenverbrauch weiter anheizen. Wir wagen einen Blick in die Physik, jene Disziplin, die den Menschen die Zeit erklären soll, selbst aber kein eindeutiges Bild von dieser faszinierenden Dimension hat. Wir betrachten den bunten Strauß an Zeitvielfalt, den die menschliche und nicht menschliche Natur zu bieten hat, von Schnelligkeit bis Langsamkeit, von Wiederholung übers Warten bis zur Pause. Und schließlich zeigen wir Wege in eine nachhaltige Zeitkultur auf, in der das Diktat der Verrechnung von Zeit in Geld überwunden ist und wir nicht länger uns und unsere Umwelt verschleißen.
Sie sehen: Nichts hat keine Zeit, alles aber hat seine Zeit!
Verändern wir unser Verhältnis und Verständnis zur Zeit, dann fördern wir die Zukunftsfähigkeit unserer Lebensformen. Es wird wirklich Zeit!
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Warum die »Zeit ist Geld«-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt