Agroforst: Das wiederentdeckte Anbausystem
In Anbetracht des Klimawandels wird die in Vergessenheit geratene Agroforstwirtschaft in Europa wieder interessant. Sie bietet große Potenziale für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Landbewirtschaftung, denn sie sichert die Flächenproduktivität, kann Erträge stabilisieren und verbessert die Klimaresilienz von Agrarlandschaften. Von Julia Günzel und Eddy Pälicke aus der Ökologie & Landbau.
16.07.2022
Von Agroforstwirtschaft spricht man, wenn Gehölze, also Bäume und Sträucher, auf Acker- oder Grünland angepflanzt und genutzt werden. Dabei unterscheidet man zwischen silvoarablen Systemen, in denen Gehölze und Ackerland kombiniert werden, und silvopastoralen Systemen mit einer Kombination von Tierhaltung beziehungsweise Grünland mit der Nutzung von Gehölzen. Auch die Kombination von allen drei Komponenten ist möglich, bekannt als agrosilvopastorale Systeme.
Die Agroforstwirtschaft ist im Grunde eine sehr alte Form der Landnutzung, die bereits im Mittelalter angewendet wurde. Zu den bekannteren traditionellen Formen gehören beispielsweise Streuobstwiesen oder die sogenannten Knicks als Heckenlandschaften in Norddeutschland. Mit der Einführung der Fruchtfolge im Mittelalter setzte eine Reduzierung des Gehölzbestands auf Feldern ein.
Im Zuge der rapiden Modernisierung der Landwirtschaft verschwanden Gehölze zusehends von den Ackerflächen, um Platz für den Einsatz großer Landmaschinen zu schaffen. Die strikte Trennung von Land- und Forstwirtschaft verstärkte diese Entwicklung noch und führte auch zu einem Ende der Tierhaltung in Wäldern. Streuobstwiesen mit Hochstämmen als eine ebenfalls traditionelle Form der Agroforstwirtschaft wurden ab den 1950er-Jahren zunehmend durch moderne Obstplantagen mit Halb- und Niederstämmen ersetzt.
Anders als in Europa und Nordamerika wurde die Agroforstwirtschaft in anderen Regionen der Welt nicht so stark verdrängt. In vielen Ländern der Tropen und Subtropen, wo die Landwirtschaft zu großen Teilen von vielen kleinen Familienunternehmen betrieben wird, sind Agroforstsysteme noch sehr üblich. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die Kaffee- oder Kakaoproduktion, denn Kaffeesträucher wie auch Kakaobäume sind eigentlich Schattenpflanzen, die eine gewisse Überschirmung benötigen.
Anfang der 1980er-Jahre wurde der Begriff »Agroforstwirtschaft« vor allem durch P. K. Ramachandran Nair auf Basis von Erfahrungen und vorherigen Arbeiten des in den Tropen und Subtropen arbeitenden World Agroforestry Centres (ICRAF) in der Wissenschaft etabliert. Während die Agroforstwirtschaft dort aktiv weiterbetrieben und befördert wird, zeigt sich in Europa und speziell Deutschland erst seit wenigen Jahren ein Trend hin zur stärkeren Nutzung von Agroforstsystemen.
Vorteile und Gestaltungsmöglichkeiten
Zu den Auslösern für diesen Trend zählen vor allem die verstärkten Auswirkungen des Klimawandels, durch die Landwirt*innen vor immer größere Herausforderungen gestellt werden. Hier zeigen sich die vielen Vorteile, die Agroforstwirtschaft mit sich bringt: Gehölzstreifen schützen Ackerkulturen vor starken Windereignissen und reduzieren so den Bodenabtrag und das Erosionsrisiko, ebenso können sie das Mikroklima verbessern und Einträge in das Grundwasser und in Oberflächengewässer vermindern.
Weitere Vorteile sind eine Erhöhung der Struktur- und Artenvielfalt in der Landschaft, die unter anderem Rückzugsräume für Wildtiere schafft, sowie eine damit verbundene Aufwertung des Landschaftsbilds. Werden agroforstliche Produkte wie Früchte oder das Holz der Bäume und Sträucher in regionale Wertschöpfungsketten eingebunden, entstehen außerdem vielfältigere Produktpaletten und zusätzliche Einkommenseffekte für die Bewirtschafter*innen.
Mit Agroforstsystemen lassen sich also mehrere Anforderungen an die Landschaftsnutzung gleichzeitig erfüllen. Je nachdem, welche Zielsetzung im Vordergrund steht, bietet die Agroforstwirtschaft eine große Gestaltungsvielfalt: Streifige Anlagen wie Alley Cropping oder das Keyline Design für Wasserrückhalt in der Landschaft ermöglichen die Bewirtschaftung der Flächen zwischen den Gehölzstreifen mit Maschinen, aber auch die Pflanzung von Einzelbäumen und komplexe Systeme wie Waldgärten sind möglich.
Mit dem wachsenden Interesse an der Agroforstwirtschaft und der erfolgreichen Umsetzung mehrerer Forschungsprojekte zum Thema werden Agroforstsysteme im Landwirtschaftssektor und in der Agrarpolitik zunehmend als sinnvolle Landnutzungsform für mehr Nachhaltigkeit anerkannt. So wird die Agroforstwirtschaft mit Beginn der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ab 2023 nun auch in Deutschland in die Agrarpolitik integriert: Über die Direktzahlungen-Verordnung in der ersten Säule sowie über die Länderförderung im Rahmen der zweiten Säule der GAP sind Agroforstsysteme als förderfähige Maßnahme vorgesehen. Trotz einiger beschränkender Faktoren wie der Ausschluss einiger Baumarten und bestimmte Abstandsregeln wird die Agroforstwirtschaft damit in Deutschland erstmalig als eine umweltfreundliche und nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung anerkannt.
Gezielte Aus- und Weiterbildung
Um die Agroforstwirtschaft stärker in der Landwirtschaft in Deutschland zu integrieren, braucht es vor allem mehr Landwirtschaftsbetriebe, die diese Art der Landnutzung in der Praxis umsetzen. Gleichzeitig ist es wichtig, mit gezielten Bildungsangeboten landwirtschaftliche Praktiker*innen sowie Berater*innen aus der Agrarbranche als Multiplikatoren mit dem erforderlichen Wissen und den nötigen Kompetenzen auszustatten, um die Agroforstwirtschaft erfolgreich umzusetzen. Daher startet in diesem Jahr die Agroforst-Akademie, mit der erstmals ein umfassendes Weiterbildungsangebot im Bereich der Agroforstwirtschaft geschaffen wurde.
Auch die noch stärkere politische Anerkennung der Agroforstwirtschaft und eine damit zusammenhängende verbesserte Förderstruktur für Landwirtschaftsbetriebe ist nötig. Dies trägt zu einer finanziellen Honorierung der vielen Vorteile dieser nachhaltigen Landnutzungsform bei und ermöglicht erst eine stärkere Nutzung von Agroforstsystemen im Landwirtschaftssektor, die für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Landnutzung essenziell ist.
Agroforst-Beispiele aus der Praxis
Landwirtschaftsbetrieb Domin:
Auf einem 30 Hektar großen Landwirtschaftsbetrieb mit erosionsgefährdeten Flächen in Peickwitz bei Senftenberg in Südbrandenburg wurden Gehölzstreifen mit schnell wachsenden Arten wie Erle, Pappel, Weide und Robinie angelegt, um das Erosionsrisiko zu reduzieren. Zwei weitere Streifen auf einer Weide dienen als Witterungsschutz für eine Mutterkuhherde. 2020 wurde das System um zwei weitere Gehölzstreifen mit verschiedenen Baumarten wie Esskastanie, Feldahorn, Graupappel und Baumhasel sowie den Straucharten Kupferfelsenbirne und Holunder erweitert. Für die kommenden Jahre sind die Anlage einer Streuobstwiese sowie die Pflanzung von Obstbäumen zur Wiederherstellung einer strukturreichen Landschaft geplant.
Mehr Informationen unter landwirt-domin.de.
ZGJ Landwirtschaftsbetrieb:
Auf dem ZGJ Landwirtschaftsbetrieb, ebenfalls in Südbrandenburg gelegen, wurden auf Ackerland sechs vierreihige Pappelstreifen angelegt für die Nutzung im Kurzumtrieb in Kombination mit Feldfutteranbau und mobilen Legehennenställen. Die Anlage wurde im Rahmen des dreijährigen Forschungsprojekts AgroBaLa in Kooperation mit der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und dem Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) auf den Weg gebracht. Ziel ist außerdem, den Anbau von Sonderkulturen wie mehrjährige Kräuter in Kombination mit den Agroforstgehölzen zu erproben.
Mehr Informationen unter lwb-zgj.de
Bannmühle:
Auf dem Betrieb Bannmühle in Rheinland-Pfalz wurde auf einem Weidehang im November 2020 ein Agroforstsystem im Keyline Design angelegt, um den Wasserrückhalt auf der Fläche zu verbessern. Gewählt wurden Maronen beziehungsweise Esskastanien am Ober- und Unterhang, Nussbäume sowie Eichen, Edelkastanien, Eschen, Erlen und Weiden. Ziel ist, dass sich langfristig eine Hecke entwickelt, die das Wasser besser in der Fläche verteilt. Von einigen der Baumarten soll das Laub außerdem als Futter für die auf der Fläche weidenden Rinder dienen.
Mehr Informationen unter bannmuehle.de.
Biolandhof Braun:
Der Biolandhof Braun bei Freising ist ein sehr breit aufgestellter Bioland-Betrieb mit 58 Hektar Ackerfläche, 17 Hektar Dauergrünland und etwas Wald. Von der Betriebsfläche wurden 2009 auf fünf Hektar Agroforststreifen zur Energiegewinnung angelegt. Im Agroforstsystem sowie auf den betriebseigenen Streuobstwiesen werden Milchkühe und Hühner gehalten, die mithilfe von mobilen Ställen rotierend auf die verschiedenen Flächen gebracht werden. Zum Betrieb gehört außerdem eine Käserei, in der die hofeigene Milch verarbeitet wird.
Mehr Informationen unter biolandhofbraun.de.
Hof Hartmann:
Auf dem bei Lüneburg gelegenen Betrieb Hof Hartmann wurde im April 2016 damit begonnen, einen Hühnerwald anzulegen. Dafür wurden 1500 Pappeln und Weiden gepflanzt, die bereits im ersten Jahr eine Höhe von bis zu 3,70 Metern erreichten. Im November 2016 wurde das System dann um Wildobst, Nussbäume und Sträucher erweitert, im Frühjahr 2020 nochmals um vier Hektar. Die Hauptmotivation war die artgerechte Haltung der Hühner und die Verbesserung des Tierwohls. Auch die Steigerung der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft wurde angestrebt.
Mehr Informationen unter hof-hartmann-rettmer.de.