Billig ist teuer: Das Ringen um den wahren Preis
Wie verzerren versteckte soziale und ökologische Kosten die Marktpreise und was kann die Politik dagegen unternehmen? Das erklärt Frank Herrmann in diesem Auszug aus seinem Buch »Der Mächtigen Zähmung. Warum Konzerne klare Spielregeln brauchen«.
04.05.2022
Billige Avocados aus Peru, günstige Elektronikware aus China oder Fashion-Schnäppchen aus Bangladesch: Verbraucherinnen und Verbraucher werden hierzulande seit Jahrzehnten mit Tiefstpreisen verwöhnt. Doch kaum einer fragt, wie der Preis einer Ware zustande kommt und welche sozialen und ökologischen Folgekosten das Produkt bei Herstellung, Veredlung, Transport und Verteilung verursacht.
Diese Kosten wälzen Unternehmen nur allzu gerne auf die Allgemeinheit und auf künftige Generationen ab. Es käme sie teuer zu stehen, müssten Landwirte für die Verunreinigung des Trinkwassers aufkommen, Reedereien für die Verschmutzung der Meere zahlen oder Lebensmittelhersteller für Schäden am Ökosystem und an Menschen durch Pestizide geradestehen.
Studien beziffern versteckte Kosten
Alleine die in Deutschland Jahr für Jahr durch Klimawandel, Überdüngung, Waldsterben, Luftverschmutzung oder Plastikmüll verursachten Schäden beziffert eine Studie des aus zahlreichen Forschungseinrichtungen zusammengesetzten Ariadne-Konsortiums auf 455 bis 671 Milliarden Euro – das entspricht zwischen 13 und 19 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts! [1] Laut Greenpeace verursacht alleine der Konsum von Rind- und Schweinefleisch in Deutschland pro Jahr externe Kosten von 5,91 Milliarden Euro. [2]
Auch der hohe Konsum von Milchprodukten trägt zu den versteckten Umweltkosten bei, die von der Allgemeinheit getragen werden. Die Schäden etwa durch den dadurch verursachten Ausstoß an Treibhausgasen und den Verlust an Artenvielfalt beziffert das Recherchenetzwerk Correctiv auf jährlich sieben bis elf Milliarden Euro. [3] Global betrachtet, kommt die UN-Welternährungsorganisation FAO in ihren Berechnungen der ökologischen Folgekosten der Landwirtschaft auf etwa 2,1 Billionen US-Dollar, denen weitere rund 2,7 Billionen US-Dollar für soziale Folgekosten hinzukommen, etwa für die medizinische Behandlung von Menschen, die sich mit Pestiziden vergiftet haben. [4]
Ein echter Marktpreis würde solche Kosten in die Produktkalkulation einbeziehen – in Einklang mit dem polluter pays principle der Vereinten Nation, dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip. Von wahren Preisen für unsere Produkte sind wir allerdings weit entfernt. Stattdessen lagern Unternehmen soziale und ökologische Kosten aus, vor allem in Länder des Globalen Südens, in denen man beim Thema Umwelt und Arbeitsrechte oft nicht so genau hinschaut. Da es gewinnsteigernd für Unternehmen ist, wenn andere für die Auswirkungen der eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten zahlen, entspricht es schlicht der kapitalistischen Logik, davon auch zu profitieren. Das allerdings funktioniert nur, solange Politik und Öffentlichkeit es zulassen.
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Auf den Verbraucher ist in diesem Zusammenhang wenig Verlass, denn zwischen Wollen und Tun klafft eine riesige Lücke. So gaben zwar drei von vier Deutschen in einer McKinsey-Umfrage an, beim Einkaufen auf nachhaltige Produktion zu achten. Aber meist entscheidet dann doch der Preis. Immerhin zwei Drittel der Befragten würden mehr nachhaltige Produkte kaufen, wenn sie günstiger wären – unterliegen damit aber einem Denkfehler [5]: Nachhaltig produzierte Waren sind nicht zu teuer, sondern konventionell erzeugte zu billig!
True Cost Accounting ermittelt wahre Kosten
Diese Erkenntnis spiegelt sich im sogenannten True Cost Accounting wider, mit dem sich die wahren Kosten unseres Konsums berechnen lassen. [6] Forscher der Universität Augsburg errechneten für Nahrungsmittel tierischen Ursprungs die größten Abweichungen zwischen dem Verbraucherpreis und dem wahren Preis. [7] Konventionell erzeugte Fleisch- und Wurstwaren müssten demnach dreimal so viel wie derzeit üblich kosten, Biofleisch immerhin noch doppelt so viel. Während die Preisaufschläge für Milch bei 122 Prozent lagen (für Biomilch noch bei 69 Prozent), lag die Preisdifferenz bei Kartoffeln und Tomaten jeweils nur bei 12 Prozent (bei Bioprodukten noch bei 6 beziehungsweise 5 Prozent).
So viel höher müssten die Kosten für Lebensmittel sein, würden die produktionsbedingten Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft mit eingepreist. © Universität Augsburg |
Um Markt- und Preisverzerrungen durch Produkte zu vermeiden, die Kosten externalisieren, also auf die Allgemeinheit abwälzen, und auch um die Leistungen von Bäuerinnen und Bauern für den Erhalt der natürlichen Umwelt zu honorieren, bedarf es klarer politischer und rechtlicher Vorgaben. »Mit Steuern oder Abgaben auf Fleisch könnten das Verursacherprinzip durchgesetzt und irreführende Preissignale für Verbraucherinnen und Verbraucher korrigiert werden«, heißt es bei Greenpeace. [8]
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Umsetzen ließe sich eine solche Vollkostenrechnung zum Beispiel mit einer CO2-Abgabe und differenzierten Mehrwertsteuersätzen. Noch immer wird etwa Hafermilch mit 19 Prozent, Fleisch hingegen mit 7 Prozent besteuert. Aber auch Abgaben auf Stickstoffdünger oder Pestizide könnten dabei helfen, Wirtschaft und Konsum nachhaltiger zu gestalten.
Große Unternehmen der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette sollten verpflichtet werden, Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsauswirkungen zu bilanzieren. Wer einen Beitrag zum Erhalt der Umwelt leistet, sollte entsprechend belohnt werden, beispielsweise in Form von Subventionen oder Steuererleichterungen.
Anmerkungen
1 Vgl. o. V. (2021): Forscher beziffern Umweltschäden auf 670 Milliarden Euro, in: Spiegel Online, 01.06.2021 [www.spiegel.de/wirtschaft/service/nachhaltigkeit-forscher-beziffern-umweltschaeden-in-deutschland-auf-670-milliarden-euro-a-4521d7ef-8375-4b2d-a6f5-80057fed55c8].
2 Vgl. Greenpeace Deutschland (2020): Der teure Preis des Billigfleischs. Wer Fleisch konsumiert, zahlt nur einen Bruchteilder wahren Kosten – zu Lasten von Umwelt und Klima, S. 7 [www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/s03201_landwirtschaft_studie_wahre_kosten_fleisch_2020.pdf].
3 Vgl. Joeres, Annika et al. (2021): Die Milch-Lobby, in: Correctiv, 27.09.2021 [www.correctiv.org/top-stories/2021/09/21/die-milchlobby-wie-unsere-milch-klima-und-umwelt-schadet].
4 Vgl. GLS Bank (2019): Folgekosten: Richtig rechnen [blog.gls.de/bankspiegel/folgekosten-richtig-rechnen].
5 Vgl. McKinsey & Company (2021): Corona-Pandemie verstärkt den Trend zu nachhaltigem Konsum [www.mckinsey.com/de/news/presse/2021-05-17-pm-nachhaltiger-konsum].
6 Vgl. Engelsman, Volkert/Geier, Bernward (Hrsg.) (2018): Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen, oekom verlag.
7 Vgl. Universität Augsburg (o. J.): Die wahren Kosten von Lebensmitteln [www.uni-augsburg.de/de/campusleben/neuigkeiten/2020/09/04/2735].
8 Vgl. Greenpeace Deutschland (2020): Greenpeace-Studie: Fleischkonsum in Deutschland verursacht externe Kosten von fast 6 Milliarden Euro [presseportal.greenpeace.de/204420-greenpeace-studie-fleischkonsum-in-deutschland-verursacht-externe-kosten-von-fast-6-mrd-euro].