Antibiotika in der Massentierhaltung: Was sagt die Statistik (wirklich)?
Massentierhaltung ist ohne Medikamente nicht möglich – aber wieviele Antibiotika kommen in deutschen Ställen eigentlich zum Einsatz? Und wie aussagekräftig sind diese Statistiken? Warum geringere Mengen an Antibiotika nicht unbedingt mehr Tierwohl und nachhaltigere Landwirtschaft bedeuten.
29.04.2021
Warum werden Antibiotika in der Massentierhaltung eingesetzt?
Die industrielle Massentierhaltung zielt darauf ab, möglichst viele Tiere in kurzer Zeit und möglichst billig bis zur Schlachtreife zu mästen. Alles ist auf Effizienz ausgelegt, nicht auf die artgerechte Haltung der Tiere. Antibiotika unterstützen dieses System auf vielfältige Weise:
- Die Zugabe von Antibiotika ins Futter fördert die Futterverwertung; eine schnellere Mast ist möglich, die Tiere erreichen früher ihr Schlachtgewicht.
- Allerdings haben Tiere, die auf Höchstleitung gezüchtet wurden, oft ein schwaches Immunsystem und sind anfälliger für Krankheiten. Die Haltungsbedingungen in der industriellen Landwirtschaft schwächen das Immunsystem der Tiere durch Stress mit Artgenossen bei zu wenig Raum, schlechter Luft, Dreck sowie Mangel an Licht.
- Die Spezialisierung auf eine Art in der Massentierhaltung fördert zusätzlich die Übertragung von Krankheiten. Diese werden mit Antibiotika bekämpft bzw. es werden Antibiotika prophylaktisch verabreicht, um Krankheiten vorzubeugen.
Antibiotika sind in der Masse billig und versprechen Ertragssteigerung für wenig Geld. Nebenwirkungen wie die zunehmende Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen, welche die Gesundheit von Tieren und Menschen gefährden, werden hierbei in Kauf genommen oder einfach ignoriert.
Antibiotika in der Massentierhaltung: Das sagt die Statistik
Seit 2011 werden in Deutschland die Abgabemengen für Antibiotika an Tierärzt*innen von den Pharmaunternehmen und Großhändlern gemeldet. Aus Daten des Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit aus dem Jahr 2020 lässt sich klar ablesen, dass der Einsatz von Antibiotika in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter zurück geht.
Abb. 2: Statistik zum Antibiotikaeinsatz in Deutschland |
Also alles gut? Nicht wirklich. Zum einen ist dieser Antibiotikaeinsatz recht ungleich über Deutschland verteilt, wie die untenstehende Grafik des BVL zeigt. Gerade in Gegenden, die sich durch eine hohe Konzentration von industrieller Massentierhaltung auszeichnen, ist die Menge an verabreichten Antibiotika immer noch sehr hoch.
Abb. 2: Regionale Abgabemengen von Antibiotika in Deutschland 2019 |
Zum anderen sagen diese Zahlen nur wenig über den tatsächlichen Verbrauch aus, da Antibiotika in unterschiedlichen Mengen verabreicht werden. Es gibt Antibiotika, die mit 20 mg/kg Körpergewicht dosiert werden und welche mit einer Dosierung von 400 mg/kg Körpergewicht – ein erheblicher Unterschied. Wenn Züchter oder Mastbetriebe das Antibiotikum wechseln, können sie den Verbrauch leicht senken, ohne die Mittel tatsächlich seltener einzusetzen.
Außerdem spielt auch die Art, wie Antibiotika verabreicht werden, eine Rolle. Tierarzt Rupert Ebner erklärt dazu im oekom-Interview: »Dazu gehen bei oraler Anwendung bis zu 50 Prozent in die Gülle – mit der gleichen Antibiotika-Menge bei parenteraler Anwendung (wörtlich: »am Darm vorbei«, z.B. via Injektion; Anm. d. Red.) können ungleich mehr Tiere behandelt werden.«
Zudem sagen diese abstrakten Zahlen wenig darüber aus, wie häufig und für wie lange Tiere während der Mast mit Antibiotika behandelt werden – genau dies müsste aber erfasst werden, um einen wirklich aussagekräftigen Maßstab für den Antibiotikaeinsatz in Deutschland zu erhalten.
Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung in Deutschland und Europa
Ein Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarländern zeigt ebenfalls: Immer noch werden Antibiotika in Deutschland in vergleichsweise großen Mengen eingesetzt (Quelle: Fleischatlas 2021 der Heinrich-Böll-Stiftung).
Abb. 3: Statistik Antibiotikaverbrauch im europäischen Vergleich |
Mit Ausnahme von Polen setzen unsere Nachbarn im Durchschnitt weniger Antibiotika ein, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren. Wie schaffen sie das?
Einige setzen auf strengere, engmaschigere Kontrollen, damit sich die Bäuer*innen an die Vorgaben halten – so zum Beispiel Dänemark. Auch eine kleinteiligere Tierhaltung macht es möglich, den Antibiotikaeinsatz kontinuierlich zu senken. Die Niederlande bezahlen daher zurzeit in verschiedenen Programmen Landwirt*innen dafür, ihren Tierbestand zu reduzieren oder die Tierhaltung ganz aufzugeben.
Wie kann der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung nachhaltig reduziert werden?
Es zeigt sich, dass die industrielle Tierhaltung und der Einsatz von Antibiotika zwei Seiten der selben Medaille sind. Um den Antibiotikaeinsatz zu senken, braucht es zum einen strengere Kontrollen bei der Einhaltung der bereits bestehenden Gesetze.
Aber das genügt nicht. Die Art und Weise, wie Landwirtschaft und Tierhaltung betreiben werden, muss sich grundlegend ändern: weg von der industriellen Massenproduktion hin zu nachhaltigen, kleinbäuerlichen Strukturen mit Fokus auf Tierwohl und artgerechter Haltung.
Tipp: Mehr lesen Sie im Interview mit Rupert Ebner und Eva Rosenkranz »Antibiotika in der Massentierhaltung: Was jetzt getan werden sollte«
Doch in der Konsequenz muss sich auch an den Lebensmittelpreisen in Deutschland etwas ändern. Denn eine nachhaltige Landwirtschaft ist nur möglich, wenn sie sich wirtschaftlich lohnt, für Produkte faire Preise bezahlt werden und auch Folgekosten für Gesellschaft und Umwelt mit einberechnet werden.
Abb. 4: True-Cost-Rechnung für Lebensmittel |
Wenn man die wahren Kosten für Produktion und Umweltauswirkungen einberechnet, müssten die Preise für viele Waren steigen, errechnete eine Studie zu den wahren Kosten von Lebensmitteln der Universität Augsburg.
Dies würde bedeuten, dass gerade Milch- und Fleischprodukte, deren Herstellung viel Energie benötigt und die Umweltfolgekosten und gesellschaftliche Folgekosten wie Antibiotikaresistenzen verursachen, um ein vielfaches teurer werden würden. Ein positiver Effekt hiervon könnte sein, dass diese Produkte weniger konsumiert werden – und davon würden Tiere und Natur profitieren.