Umweltpolitik

Bundestagswahl 2021: Volkes Stimme für’s Klima nutzen

Wie wird die Bundestagswahl 2021 zur Klimawahl? Christoph Bautz, Gründer und Vorstand von Campact, erklärt in der politischen ökologie vier wichtige Ansätze, um Klimaschutz im Wahlkampf zum Schwerpunktthema zu machen.

28.05.2021

Bundestagswahl 2021: Volkes Stimme für’s Klima nutzen | Bundestagswahl Klimawandel Klimakrise Klimaschutz Deutschland Umweltpolitik

Am 26. September ist Bundestagswahl. Sie ist die Wahl, die entscheidend für das Klima ist. Denn sie ist die letzte, die Deutschland zumindest noch in die Nähe eines 1,5-Grad-kompatiblen Pfad führen kann, auf dem wir zwischen 2035 und 2040 Klimaneutralität erreichen.

Die Transformationstiefe und -schnelligkeit, die dafür notwendig ist, wäre beträchtlich. [1] Aber sie könnte mit einem hoffnungsvollen, gesellschaftlichen Aufbruch nach der Corona-Pandemie verbunden sein. Von Deutschland würde die Botschaft ausgehen: Wir bauen unsere Gesellschaft tiefgreifend um, Sektor für Sektor. Und wir begreifen das als Chance, um die Gesellschaft moderner und gerechter zu gestalten. Gelingt dies, könnte die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt zum internationalen Vorbild werden, dem viele folgen. So wie es schon einmal vor 20 Jahren mit dem von Rot-Grün auf den Weg gebrachten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gelang.

Hierfür braucht es eine Klimawahl, die aufbaut auf dem, was in den vergangenen Jahren an Klimabewegung entstanden ist. Keine soziale Protestbewegung in der neueren Geschichte Deutschlands hat eine solche Dynamik erfahren. Fridays for Future und Ende Gelände, die Auseinandersetzung um den Hambacher Wald – die Bewegung katapultierte die Klimakrise innerhalb weniger Monate zum wichtigsten gesellschaftlichen Thema in der öffentlichen Wahrnehmung.

Was bedeutet Klimawahl?

Erstens muss Klimaschutz wählbar sein – und sich in den Wahlprogrammen aller großen Parteien weit ambitionierter als bisher niederschlagen. Schon jetzt hat sich das Ambitionsniveau massiv verschoben, mit dem Klimaschutz in den Parteien verhandelt wird. Die Entwürfe für ein Wahlprogramm von SPD [2] und Grünen [3] spiegeln diese Veränderung bereits wider.

Gleichzeitig ist klar: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien vertritt ein Klimaprogramm, das die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gewährleisten würde. Damit Wähler*innen also überhaupt die Option haben, für konsequenten Klimaschutz stimmen zu können, müssen wir dafür sorgen, dass sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen noch ambitionierter positionieren.

Zweitens muss Klimaschutz im Wahlkampf eine derart tragende Rolle spielen, dass möglichst viele Menschen ihre Wahlentscheidung primär von der Positionierung in der Klimafrage abhängig machen. Vorbild hierfür ist die Europawahl vom Mai 2019. Nach Umfragen lag Umwelt- und Klimaschutz bei den wahlentscheidenden Themen mit 48 Prozent auf Platz eins, eine Steigerung von 28 Prozentpunkten gegenüber der Wahl von 2014. Mit greifbarem Ergebnis: Dass derzeit in Brüssel um eine Erhöhung des CO2-Reduktionsziels für 2030 von derzeit 40 auf 55 bis 60 Prozent gerungen wird, ist einzig der Dominanz des Klimathemas bei der Wahl zu verdanken.

Drittens wird eine Klimapolitik, die in ihrer Konsequenz den klimaphysikalischen Notwendigkeiten entspricht, ohne starke Grüne in Regierungsverantwortung kaum möglich sein. Nur wenn diese sich in einer robusten Verhandlungsposition befinden und möglichst sogar zwischen mehreren Koalitionsoptionen wählen können, werden sie Klimaschutz gegenüber den Blockierenden in SPD, FDP und CDU/CSU durchsetzen können.

Mehr lesen: Auf unserer Themenseite Umweltpolitik empfehlen wir Beiträge, Bücher und Zeitschriften.

Gleichzeitig muss die Klimabewegung gegenüber den Grünen bissig bleiben. Grüne als Teil einer Regierung – das ist wohl eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung für konsequenten Klimaschutz. Von der Verabschiedung des Wahlprogramms über die Koalitionsverhandlungen bis zur Überführung des Vereinbarten in konkrete Gesetze wird die Zivilgesellschaft Politik treiben müssen – ohne dabei zu überziehen.

Klimaschutz als Schwerpunktthema im Wahlkampf

Eine Klimawahl entstehen zu lassen – das ist sehr herausfordernd. Große gesellschaftliche Themen unterliegen Wellen und Konjunkturen in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Schon ohne die Corona-Pandemie wäre es schwierig geworden, die starke Präsenz der Klimakrise in der Debatte im Jahr 2019 bis ins Wahljahr zu halten. Mit der gegenwärtigen Dominanz des Corona-Themas ist dies noch ungleich schwieriger geworden.

Immerhin: Auch wenn durch die Pandemie die Zeiten vorbei sind, als 60 Prozent der Menschen in Umfragen Klimaschutz als das wichtigste Thema nannten, bleibt es das Thema, das den Wähler*innen am zweit- oder drittwichtigsten ist. [4] Das zeigten zuletzt die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und die Landtagswahlen in Baden-Württemberg.

Vier Ansätze können dazu beitragen, Klimaschutz im Wahlkampf zum Schwerpunktthema zu machen.

1. Die richtigen Narrative zählen

Überzeugende und breit anschlussfähige Botschaften, mitreißende Erzählung mit visionärem Charakter, Narrative, die Menschen dort abholen, wo sie stehen – das ist zentral, um die Gesellschaft in ihrer Breite anzusprechen. Hierzu müssen wir besser verstehen, was Menschen aus progressiven Milieus und Wechselwähler*innen anspricht und welche Botschaften bei ihnen am meisten punkten: Wie sehr muss die Kommunikation die Gefahren der Klimakrise betonen, wie sehr eher Botschaften der Hoffnungen? Wie nah sollten die Botschaften an den Lebensrealitäten der Menschen anknüpfen und wie machen sie Lust auf Veränderung? Wie lassen sich gute Antworten auf die sozialen Folgen formulieren – damit nicht nur ein grün arriviertes Bildungsbürgertum sich davon angesprochen fühlt, sondern auch sozial Benachteiligte in der Gesellschaft? Das sind Fragen, auf die wir gute Antworten geben müssen.

Entscheidend ist zudem, dass die Narrative an die Debatten um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona- Pandemie anknüpfen und die sozialen Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen mitdenken. Viele Menschen sehnen sich in diesen Krisenzeiten nach Sicherheit und Halt, nicht nach Veränderung und Experimenten. Dies muss ein Klima-Narrativ berücksichtigen und für alle Menschen Wege aus der Krise beschreiben. [5]

2. Alle müssen mitmachen können

»Ich wähle Zukunft – und mache die Wahl zur Klimawahl!« Für dieses Versprechen wollen wir mehr als eine Million Menschen begeistern. Ein solches Versprechen, neudeutsch Pledge genannt, soll mehr Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit ausdrücken als eine schnell geklickte Petitionsunterschrift. Er soll aber trotzdem so niederschwellig und einfach einlösbar sein, dass mehr als eine Million Menschen mit einsteigen. Und die Botschaft an die Politik aussenden: Wir meinen das ernst mit der Klimawahl!

Mehr lesen: Klima-Pledge bei Campact »

Zentrales Element des Pledges ist, dass die Unterzeichner*innen versprechen, auch aktiv daran mitzuwirken, aus der Wahl eine Klimawahl zu machen. Bei den Optionen zum Aktivwerden soll für jede*n etwas dabei sein. Kleine Schritte, die gut gangbar sind, aber groß und mächtig werden, wenn Hunderttausende sie gleichzeitig gehen. Etwa indem sie ihre Unterstützung für den Pledge bei Social Media oder im öffentlichen Raum sichtbar machen und die Kandidat*innen der Parteien im eigenen Wahlkreis mit konkreten Forderungen konfrontieren. Oder indem sie Menschen in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis überzeugen, diesmal Klimaschutz zu wählen und an den Großmobilisierungen von Fridays For Future teilnehmen.

Der Pledge entwickelt sich derzeit zu einer zentralen Dachkampagne der Klimabewegung, unter der sehr viele Akteurinnen und Akteure ihre Aktivitäten zur Wahl bündeln und gegenseitig verstärken. Nicht die eigene Marke zählt, sondern das gemeinsame Ganze.

3. Auf die Straße kommt es an

Menschen zu Hunderttausenden auf die Straße bringen – für Bewegungen ist das immer noch das wirkungsvollste Instrument, um ein Thema in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu schieben. Großmobilisierungen werden gern von Leitmedien, aber auch in sozialen Medien, aufgegriffen und können gesellschaftliche Debatten anfachen.

Unter Corona-Bedingungen sind Großmobilisierungen schwieriger und wesentlich aufwendiger in der Organisation. Zielführend ist hier ein dezentraler Ansatz, der lange Reisen vermeidet und vor Ort weit mehr Menschen die Teilnahme ermöglicht als bei wenigen, zentralen Großereignissen. Neben der Mobilisierung vieler Menschen in der Fläche ist es auch wichtig, bewusst symbolische Orte in Wahlkampfzeiten zu bespielen. »Orte der Zerstörung«, an denen sich ein gesellschaftlicher Konflikt symbolisch verdichtet und wie in einem Brennglas sichtbar wird. Was für die Anti-Atom-Bewegung einst Whyl und Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben waren, sind für die Klimabewegung der Hambacher und der Dannenröder Wald geworden.

4. Dynamiken im Netz erzeugen

»Die Zerstörung der CDU.« – mit diesem Video gelang es dem Influencer Rezo die letzten Tage des Wahlkampfs zur Europawahl durcheinanderzuwirbeln und zusammen mit den Protesten von Fridays for Future das Thema Klimaschutz zum entscheidenden Thema der Wahl zu machen. Dabei haben Rezo und die Protestbewegung weniger die Einstellung der Menschen zum Thema verändert, sondern die Präferenzen der Wähler*innen verschoben, welches Thema gerade wie wichtig ist.

Soziale Medien und Influencer*innen haben thematische Trends in Wahlkampfzeiten weiter dynamisiert und flexibilisiert. Damit nehmen sie den etablierten Massenmedien ihre ausschließliche »Agenda-Setting-Power«. Plötzlich und unerwartet werden Themen nach oben gespült und kontrovers diskutiert. Welche Viralität und Durchschlagskraft sie entfalten, hängt davon ab, ob große Akteurinnen und Akteure oder Knotenpunkte im Netz sie verstärken. Darauf sollte die Klimabewegung gut vorbereitet sein, um schnell und flexibel reagieren zu können.

Großes Potenzial bieten die sozialen Medien und ihre Plattformen auch, um neue Zielgruppen anzusprechen. Insbesondere jungen Menschen und Erstwähler*innen kommt hier eine große Bedeutung zu. Sie werden durch den Wahlkampf politisch geprägt. Durch Fridays for Future werden sie bereits in einem Umfang erreicht, wie es der Umweltbewegung jahrzehntelang nicht mehr gelungen war.

Wenn es der Klimabewegung gelingt, diese vier Ansätze produktiv miteinander zu verschränken, kann daraus eine Klimawahl erwachsen. Mit ihr entsteht erst die Legitimierung für eine sozialökologische Transformation. Und die wird es brauchen: Denn die gesellschaftlichen Gegen- und Beharrungskräfte sind massiv. Eine Klimawahl kann ihren Einfluss hingegen erheblich schwächen. Und den Aufbruch in ein Transformationsjahrzehnt einleiten.


Anmerkungen

1 Prognos/Öko-Institut/WuppertalInstitut (2020): Klimaneutrales Deutschland. Studie im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrs- wende und Stiftung Klimaneutralität.

2 SPD-Parteivorstand (2021): Zukunftsmissionen für unser Land.

3 Grüner Bundesvorstand (2021): Deutschland. Alles ist drin.

4 Eichhorn, J./ Nicke, S./Molthof, L. (2020): Ein- satz gegen den Klimawandel. Ein Erfolgskonzept für das gesamte politische Spektrum, Open Society Foundations, S.17.

5 Campact untersucht mit einem Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Sozialforschung wie Fokus-Gruppen, Kommunikations-Testing und Umfragen, wie das progressive Milieu die politische Lage und die Bedeutung der Wahl interpretiert. Die Ergebnisse sollen im Juni vorliegen.

Der Artikel erscheint Anfang Juli in der politischen ökologie 164-165.

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