Kreislaufwirtschaft

Chemische Produktion: Wege aus der Sackgasse der Linearität

In der Chemiebranche macht sich mittlerweile die Erkenntnis breit, dass sie zukünftig geschlossene Stoffkreisläufe brauchen wird, wenn sie weiter Gewinne machen will. Doch der Weg dahin ist noch ziemlich weit. Deshalb wird es ohne langfristig angelegte und klare gesetzgeberische Vorgaben nicht gehen. Von Henning Wilts aus der politischen ökologie 171.

26.01.2023

Chemische Produktion: Wege aus der Sackgasse der Linearität | Chemie Nachhaltige Chemie Kreislaufwirtschaft Rohstoffe

Auf die Herstellung chemischer Grundstoffe entfallen in Deutschland etwa 37 Millionen Tonnen CO2-Equivalente, das sind rund 19 Prozent der Treibhausgasemissionen der deutschen Industrie. (1) Völlig unbestritten sind die dort produzierten Stoffe von zentraler Bedeutung für weite Bereiche unseres Lebens, auch die allermeisten Umwelttechnologien wären ohne chemische Erzeugnisse kaum darstellbar. Und trotzdem ist die Chemiebranche von einer linearen Struktur des Produzierens und Nutzens geprägt, die mit den Zielen einer ressourcenleichten und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft kaum in Einklang zu bringen ist: Der Verband der chemischen Industrie (VCI) selbst konstatiert, dass die Fokussierung auf fossile Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas so keine Zukunft haben kann.

Notwendig ist zum einen die Umstellung auf nicht fossile Rohstoffe, zum anderen aber auch eine fundamentale Veränderung der Geschäftsmodelle. Denn die chemische Industrie von heute maximiert Umsatz und Gewinn durch eine kontinuierliche Steigerung der auf den Markt gebrachten Mengen. Die Frage der Recyclingfähigkeit nach der Nutzungsphase spielt für die allermeisten Unternehmen der Chemiebranche praktisch keine Rolle; entsprechende Rücknahmesysteme existieren kaum, innovativere Konzepte wie das Chemikalienleasing kommen seit Jahren kaum über ein Nischendasein hinaus.

Die chemische Industrie hat sich – wie andere Grundstoffindustrie auch – aufgrund ihrer Positionierung ganz vorne in der Wertschöpfungskette bislang kaum mit Konzepten der Kreislaufwirtschaft (»Circular Economy«) beschäftigt. Die gesetzlich fixierten Ziele zur Klimaneutralität auf der einen Seite, insbesondere aber die intensive öffentliche Diskussion über die lineare Nutzung von Kunststoffen als einem Schlüsselprodukt der Chemiebranche haben jedoch viele Unternehmen und Verbände dazu gebracht, sich intensiver mit der Thematik zu beschäftigen.

Auch wenn die Chancen geschlossener Stoffkreisläufe in Zeiten explodierender Energie- und Gaspreise von immer mehr Unternehmen erkannt werden, zeichnet sich die Chemiebranche doch durch ein hohes Beharrungsvermögen aus. So sind beispielsweise die mit großem Aufwand und intensiver medialer Begleitung vereinbarten Selbstverpflichtungen zur Nutzung von Kunststoffen bei genauerer Betrachtung entweder erschreckend wenig ambitioniert – nach Berechnungen der Beratungsfirma Systemiq führen sie etwa im Kunststoffverpackungsbereich zu einer Reduktion von gerade mal sieben Prozent bis zum Jahr 2040, während gleichzeitig ein Anstieg der Mengen um 148 Prozent erwartet wird (2) – oder sie drohen die gesetzten Ziele wie bei der »Alliance to End Plastic Waste« nach Einschätzung von NGOs dramatisch zu verfehlen.

Kreislaufwirtschaft als Transformationsherausforderung

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die notwendige Transformation zur Kreislaufwirtschaft also als zentral politische Gestaltungsaufgabe, die ohne klare gesetzgeberische Vorgaben vor allem nicht in der notwendigen Geschwindigkeit stattfinden würde. Die Chemiebranche selber steckt in einem Dilemma: Sie ist sich der Endlichkeit ihres derzeitigen Geschäftsmodells zunehmend bewusst, aber aktuell zeigt es sich noch als so hoch profitabel, dass eine Neuausrichtung auf zirkuläre Wertschöpfung auch den eigenen Shareholdern gegenüber nur schwer vermittelbar wäre.

Diese Perspektive mag kurzsichtig sein, sie ist aber trotzdem nachvollziehbar. Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft wird Milliardeninvestitionen erfordern und sollte daher aus Effizienzgründen in die langfristigen Investitionsplanungen der Unternehmen integriert werden. Dafür notwendig wären aber klare politische Vorgaben, wohin sich die Branche langfristig entwickeln soll und welche umweltpolitischen Ziele dann erreicht werden sollen. Langfristig in diesem Zusammenhang würde deutlich eher 2050 als 2030 bedeuten, da entsprechende Investitionen in Prozesse, Anlagen und Technologien tatsächlich auf Jahrzehnte hin geplant werden.

Die entsprechenden politischen Impulse dazu kommen aktuell insbesondere von der Europäischen Kommission, für die das Thema Kreislaufwirtschaft tatsächlich zu den strategischen Prioritäten im Rahmen ihres »Green Deals« gehört. Aus Sicht der Kommission ist die Frage einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft nicht nur aus umwelt- und klimapolitischer Sicht relevant. Sie agiert aus der klaren Überzeugung heraus, dass Europa als Industriestandort in Zukunft im globalen Wettbewerb nur dann eine Chance haben wird, wenn in geschlossenen Stoffkreisläufen gedacht wird – zum einen weil Europa ein für viele Schlüsseltechnologien rohstoffarmer Kontinent ist und damit abhängig von Rohstoffimporten, zum anderen weil das vergleichsweise simple Modell des Produzierens-Nutzens-Entsorgens sehr bald in anderen Teilen der Welt kopiert und kostengünstiger umgesetzt werden könnte.

Der extrem ambitionierte europäische Aktionsplan Kreislaufwirtschaft entspricht demnach auch dem Untertitel des Aktionsplans: »für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa«. Die Kunststoffbranche als einer der zentralen Anwendungsbereiche der chemischen Industrie wird dort als eine der sieben Schlüssel-Wertschöpfungsketten benannt, auf die sich die vielfältigen Umsetzungsaktivitäten fokussieren.

Ansätze für die zirkuläre Chemie

Es braucht also – auch von der Industrie zunehmend unbestritten – langfristige Leitplanken für die chemische Industrie, um diese zu zwingen, sich im ausreichenden Maße um ihr langfristiges Überleben zu kümmern. Auch aus der Perspektive des Umweltschutzes wäre niemanden geholfen, wenn die chemische Industrie beispielsweise nach China und Südostasien abwandern und sich damit zunehmend einer möglichen umweltpolitischen Regulierung entziehen würde. Es stellt sich damit aber natürlich die Frage, in welcher Detailtiefe die Politik in die chemische Industrie eingreifen sollte.

Sehr konkret wird diese Frage am Beispiel der Kunststoffverpackungen. Sie werden aktuell aus einer Vielzahl unterschiedlicher Kunststoffe hergestellt, die teilweise in hauchdünnen Folien verklebt werden: Der Deckel einer handelsüblichen Käseverpackung kann aus mehr als zehn unterschiedlichen Folien bestehen, sodass der Aufwand, diese für ein hochwertiges Recycling wieder zu trennen, höher sein kann als die Herstellung aus neuem Kunststoff. Selbst aus Perspektive des Klima- und Ressourcenschutzes gehören viele Kunststoffverpackungen also eher verbrannt. Analysen im Auftrag der Industrie beziffern den Anteil solcher schlicht nicht für das Recycling geeigneter Verpackungen auf immer noch zwanzig Prozent. (3)

Kuchendiagramm über Hürden bei der Recyclebarkeit von Plastik: Fehlender Recyclingpfad 42%, Fehlende Sortierfähigkeit 4%, Recyclingunverträglichkeit 33%, Non-Kunststoff-Recyclingpfade 10%, Nicht recyclingfähige Komponenten 11%

Abb. 1: Warum 20% der Kunststoffverpackungen in Deutschland nicht recyclefähig sind. Quelle: Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung

Eine Option wäre es daher, die Produktvielfalt per Gesetz auf solche Kunststoffsorten und -kombinationen zu begrenzen, die tatsächlich im Kreislauf geführt werden können. Damit wüssten die Recycling-Unternehmen auch deutlich besser, auf welche Abfälle sie sich in Zukunft einstellen müssten und könnten in entsprechende Technologien und Anlagen investieren.

In einigen Bereichen verfolgt die Europäische Kommission tatsächlich einen solchen Ansatz. So soll es beispielsweise im Rahmen der um Kreislaufwirtschaftsaspekte ergänzten Ökodesign-Richtlinie möglich sein, (analog zur klassischen Glühlampe) Produkte auf dem EU-Markt zu verbieten, die zu nicht recyclingfähigem Abfall führen. Auch das Verbot einzelner Einwegkunststoffprodukte mit besonders hohem Vermüllungspotenzial geht in eine solche Richtung.

Angesichts der oben beschriebenen notwendigen Langfristorientierung für die chemische Industrie stellt sich aber die Frage, welche zusätzlichen Rahmenbedingungen notwendig wären, damit man nicht nur die Symptome adressiert (wie z. B. das Verbot von Plastikstrohhalmen oder Plastiktüten, die jetzt häufig durch andere Einweg- Alternativen ersetzt werden), sondern Investitionen in eine Richtung lenkt, die Klimaneutralität und eine deutliche absolute Reduktion des Ressourcenverbrauchs ermöglichen würde.

Mit Blick auf solche übergeordneten Ziele wird dann sehr schnell klar, dass Detailregulierungen wie Recyclingquoten für Verpackungsabfälle, die auf dem Output basieren, oder ökologisch nach der Recyclingfähigkeit differenzierte Lizenzentgelte für Verpackungen ihre tatsächliche Lenkungswirkung nur in Kombination mit einer klar formulierten Vision für die Zukunft entwickeln können. Andernfalls wird die Industrie viel Energie investieren, solche Detailregelungen zu umgehen oder zu unterlaufen, anstatt wirklich in die Zukunft zu investieren.

Systemische Perspektive im Blick behalten

Der Verband Plastics Europe hat sich dieser Frage gestellt und in Zusammenarbeit mit externen Expert*innen ein Konzept einer Kreislaufwirtschaft PLUS entwickelt, das von einem Bild des Ziels ausgehend versucht, eine Kombination von Ansätzen zu beschreiben, die für dessen Erreichung notwendig wären. (4) Ein Verband, dessen Mitglieder ihren Gewinn aus dem Verkauf primärer Kunststoffe erwirtschaften, positioniert sich also sehr klar dafür, dass es in Zukunft geschlossene Stoffkreisläufe brauchen wird. Eine solche Perspektive bietet auch einen Ausweg aus ideologischen Debatten um Themen wie das chemische Recycling: Nicht länger die Frage »Ist das gut oder schlecht?«, sondern klare Anforderungen, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit solche Technologien zu einem definierten Ziel beitragen.

Wichtig ist dabei auch die notwendige systemische Perspektive: Die Vermeidung von Kunststoffabfällen muss dabei auch in Zukunft Priorität haben, technische Lösungen allein werden der Dimension der Herausforderung nicht gerecht werden. Das Aufkommen an Kunststoffverpackungsabfällen in Deutschland hat sich in den letzten zwanzig Jahren pro Kopf mehr als verdoppelt – eine solche Entwicklung kann nicht nachhaltig sein und wird sich auch nicht durch die technische Optimierung einzelner Verpackungen bewältigen lassen.

Quellen

(1) www.klimaschutz-industrie.de/themen/grundstoffchemische-industrie/

(2) www.systemiq.earth/wp-content/uploads/2020/07/BreakingThePlasticWave_MainReport.pdf

(3) https://kunststoffverpackungen.de/wp-content/uploads/2022/02/GVM-Recyclingfaehige-Kunststoffverpackungen-2022-online.pdf

(4) https://plasticseurope.org/de/knowledge-hub/kreislaufwirtschaftplus-handlungsempfehlungen-fur-eine-nationale-kreislaufwirtschaftsstrategie/

Dieser Beitrag stammt aus 

Impulse für eine nachhaltige Stoffpolitik

Mitherausgegeben vom wissenschaftlichen Beirat des BUND

Chemische Stoffe sind unsere ständigen Begleiter, weil sie in fast allem enthalten sind, was wir anziehen, essen oder täglich benutzen.   

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