Die Ursachen für das Insektensterben
Der Mensch gestaltet die Natur seit Jahrzehnten nach seinen eigenen zweckdienlichen Bedürfnissen um, vor allem für die Landwirtschaft – und verursacht dabei das Insektensterben. Andreas Segerer und Eva Rosenkranz erklären die Problematik hinter den vielfältigen menschlichen Aktivitäten, die den Insekten ihren Lebensraum nehmen – in Deutschland und weltweit.
05.10.2020
Bauernverbände bestreiten bis heute entgegen aller wissenschaftlichen Expertise eine Mitverantwortung am Insektensterben – unter Verweis auf dessen multifaktoriellen Charakter. Doch allein der Augenschein genügt, um diese Auffassung zu widerlegen: Mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands ist landwirtschaftliche Nutzfläche. Deshalb ist es ganz selbstverständlich, dass Veränderungen, die dort stattfinden, einen substanziellen Einfluss auf Pflanzen- und Tierwelt haben. Insekten brauchen blütenreiche, vielfältig strukturierte Fluren, intakte Ufer und Wälder, chemisch unbelastete Natur.
Solche Landschaften findet man heute nur noch selten. Im Jahr 2017 veröffentlichte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) eine neue Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen. Das erschreckende Ergebnis: Für knapp zwei Drittel der insgesamt 863 in Deutschland erfassten Biotoptypen ist die Gefährdungslage angespannt.[1] Die Biotoptypen der Flur ragen mit 79 Prozent dabei weit heraus. Nach Aussage der Präsidentin des BfN, Prof.Dr. Beate Jessel, spiegeln sich die Folgen dieser Entwicklung auch im dramatischen Rückgang von Lebewesen der Agrarlandschaft wider. Die Natur wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch menschliche Aktivitäten in einem nie da gewesenen Ausmaß unter zweckdienlichen, ökonomischen Aspekten umgestaltet. Lebensräume und Artenvielfalt gingen dadurch verloren.
Nutzungsaufgabe und Sukzession
Allein durch Nutzungsaufgabe, also durch Nichtstun, ändert sich der Charakter von Biotopen. Insbesondere das Offenland ist davon betroffen. Die Reduzierung extensiver Beweidung etwa führt zur allmählichen Rückverwandlung offener Flächen in Wald. Durch gezielte Maßnahmen der Landschaftspflege wird heute versucht, frühere Nutzung zu simulieren, mit unterschiedlichem Erfolg.
Flurbereinigung
… ist Teil eines sogenannten Bodenordnungsverfahrens, das in Deutschland vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren die Landschaft drastisch veränderte – unter dem Vorzeichen, eine Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbedingungen zu bringen. Landschaft wurde ausgeräumt, von als überflüssig oder hinderlich angesehenen Details bereinigt: Hecken, Bäume und Büsche wurden abgeholzt, Bachläufe begradigt, Feldwege betoniert – die Liste ist lang. Die historisch gewachsene kleinteilige, strukturreiche Kulturlandschaft verwandelte sich teilweise in riesige monotone, mit Winkelmaß und Zirkel neu gestaltete Flächen, auf denen Intensivlandwirtschaft betrieben wird und die nur noch wenig Lebensraum für Kleintiere bietet. Heute wird zwar versucht, auch Aspekte des Umwelt- und Naturschutzes zu integrieren (zum Beispiel durch vorgeschriebene Ausgleichsmaßnahmen) – aber das Kind ist schon vor Jahrzehnten in den Brunnen gefallen.
Monokulturen
In der industriell betriebenen Landwirtschaft beherrschen heute auf weiten Flächen Monokulturen das Bild: Hier wird über Jahre hinweg unter Einsatz von viel Chemie ein- und dieselbe Nutzpflanze angebaut. Das leistet unter anderem der Bodenerosion und einer massiven Verarmung der Ackerbegleitflora und -fauna Vorschub. Außerdem ist die Bodenfruchtbarkeit bedroht, die nicht beliebig durch immer mehr Dünger wieder aufgebaut werden kann. Seit der Energiewende haben bei uns monotone Maisäcker noch weiter zugenommen. In den Tropen werden ursprüngliche Regenwälder vernichtet und durch Palmölplantagen ersetzt.
Konventioneller Waldbau
Auch in der Forstwirtschaft setzte man zumindest in der Vergangenheit oft auf Monokulturen, zum Beispiel mit der schnellwüchsigen Fichte. Dank des Klimawandels – die Fichte kann ausgeprägte Trockenperioden nur schwer überstehen – ist zwischenzeitlich ein Umdenken festzustellen. Allerdings droht hierbei schon neue Gefahr, denn nun sollen verstärkt robuste, fremdländische Arten wie die Roteiche angepflanzt werden. Diese kann aber von den meisten einheimischen Insektenarten nicht als Nahrungsquelle genutzt werden, dafür steigt das Risiko der Einschleppung gebietsfremder Arten. Dazu gibt es auch schon einen Präzedenzfall: Der nordamerikanische Roteichen-Zwergwickler Bucculatrixainsliella, ein Kleinschmetterling, breitet sich bereits in Deutschland aus.
Tipp: Was nötig ist, um den Wald gegen den Klimawandel zu wappnen, erfahren Sie im Beitrag »Wald schützen: 10 wichtige Maßnahmen gegen die Klimakrise«
Mähen auf Teufel komm raus
Früher wurde Grünland selten, allenfalls ein- bis zweimal pro Jahr gemäht. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft hat sich das drastisch geändert: Man mäht gedüngte Wiesen heute bis zu sechsmal pro Jahr, unter Einsatz hocheffektiver Maschinen. Moderne Mähwerke sind wahre Todesfallen; kommt ein sogenannter Aufbereiter zum Einsatz, sterben rund 60 Prozent aller auf den Pflanzen sitzenden Insekten.[2] Vielfach wird innerhalb weniger Stunden eine riesige Fläche gemäht und gleich für das Silo (oder, immer öfter zu beobachten, für die Biogasanlagen) abgeräumt. Insekten, die das Mähen überlebt haben, finden oft keine Ausweichflächen mehr. Außerdem verschwinden bei zu häufiger Mahd empfindliche Pflanzen – und mit ihnen jene Insekten, die von ihnen leben. Häufig gemähte Biotope veröden rasch zu »grünen Wüsten«.[3]
[1] www.bfn.de/themen/rote-liste/rl-biotoptypen.html
[2] Ursprüngliche Quelle: BR24 online Nachrichten, www.br.de/nachrichten/warum-sterben-beim-wiesen-maehen-die-bienen-100.html (nicht mehr abrufbar)
[3] Gossner et al. (2017): Nature 540: 266-269.