Die Weltbiodiversitätskonferenz in Kunming: Das große Schachern
Auf der COP15 zum Schutz der biologischen Vielfalt streiten Nationen über die Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen. Doch gleichzeitig stecken sie jedes Jahr Milliardensummen in umweltschädliche Subventionen – ein Widerspruch, der echte Erfolge verhindert. Von Sebastian Tilch aus der politischen ökologie 168.
21.04.2022
Erst kürzlich machte ein Zusammenschluss privater amerikanischer Stiftungen, darunter der Bezos Earth Fund, mit einer Fünf-Milliarden-Dollar-Spende auf sich aufmerksam. Damit wolle man mithelfen, 30 Prozent der Erdoberfläche bis 2030 unter Naturschutz zu stellen. Dies ist eines von insgesamt 21 Zielen zum Schutz der biologischen Vielfalt, die in diesem Jahr von den Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) verhandelt werden sollen.
Schon jetzt ist über diese Konferenz im chinesischen Kunming zu lesen, dass die Debatten sich vornehmlich ums Geld drehen werden. Und auch von Regierungsseite wird ordentlich mit Geldbündeln gewinkt. Schon bei der Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021 kündigten die Industriestaaten an, ab 2023 durchschnittlich hundert Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz in die ärmeren Weltregionen fließen zu lassen und damit unter anderem auch naturnahe Lösungen („Nature-based Solutions“) fördern zu wollen.
Die schwarz-rote Bundesregierung hatte angekündigt, ihre Ausgaben für den Klimaschutz bis 2025 von vier auf sechs Milliarden Euro jährlich zu erhöhen, unter anderem auch für Renaturierungsmaßnahmen. Außerdem stellt Deutschland seit 2013 jährlich 500 Millionen Euro zur Erhaltung der Biodiversität in ärmeren Ländern zur Verfügung. Allerdings reichen die bisherigen Zusagen noch lange nicht, auch trotz großzügiger privater Spenden. So sieht der aktuelle Entwurf der CBD eine Aufstockung der Finanzmittel aus allen Quellen auf mindestens 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr vor. [1] – Woher soll das Geld kommen?
Umweltschädliche Subventionen
Tatsache ist: Geld ist da – und wird auch munter ausgegeben. Nur oft auch für Aktivitäten, die den erklärten Naturschutzzielen diametral entgegenstehen. Deutschland förderte seine Privatwirtschaft 2020 mit 14,4 Milliarden Euro durch Finanzhilfen und Steuererleichterungen. Laut Subventionsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) weisen 58 Prozent davon einen positiven Bezug zu den Umwelt- und Klimaschutzzielen auf. [2] Demnach wirken rund sechs Milliarden Euro dieser staatlichen Beihilfen zumindest nicht umweltfreundlich.
Tatsächlich beträgt die Summe umweltschädlicher Subventionen eher über das Zehnfache, wie ein aktueller Bericht des Umweltbundesamtes (UBA) zeigt. [3] Denn der Subventionsbegriff, den das BMWi nutzt, ließe viele weitere Praktiken finanzieller Unterstützung außer Acht. So brächte die Ausnahme von Kerosin von der Energiesteuer dem Staat jährlich Einnahmeverluste von zwölf Milliarden Euro.
Ganze 65,4 Milliarden Euro flossen laut UBA 2018 in Aktivitäten, die sich negativ auf Umweltgüter, Klima, Luft, Boden, Wasser, Artenvielfalt und Landschaft sowie auf menschliche Gesundheit und Rohstoffverbrauch auswirken. Seit 2008 erfasst Deutschland diese schädlichen Subventionen – ein erster wesentlicher Schritt zur Erfüllung des sogenannten AICHI-Ziels Nr. 3 von 2010. [4] Darin hatten sich die 196 CBD-Mitgliedstaaten bis 2020 die Abschaffung ihrer schädlichen Subventionen und den Aufbau neuer finanzieller Anreize zur Sicherung der biologischen Vielfalt vorgenommen – erfolglos.
Lediglich 59 Prozent der Staaten übernahmen das Ziel überhaupt in ihre nationale Biodiversitätsstrategie. Nur 20 Prozent der Länder schafften negative Anreize ab. Während laut CBD geschätzte 80 bis 90 Milliarden US-Dollar Subventionen der Biodiversität zugutekommen, werden weltweit schädliche Praktiken mit 500 Milliarden US-Dollar gefördert. In Brasilien wurden 2015 sogar hundertmal mehr Steuergelder in die Abholzung des Regenwaldes investiert als in seine Erhaltung und Wiederherstellung.
Die wichtigsten Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt und Landschaftsqualität hierzulande sind laut Bundesamt für Naturschutz die intensive landwirtschaftliche Nutzung, die Zerschneidung und Zersiedelung der Landschaft, die Versiegelung von Flächen sowie großräumige Stoffeinträge. [5] Ein anderes Beispiel für kontraproduktive Subventionen ist auch die sogenannte Pendlerpauschale, die wohl auch mit der neuen Ampelkoalition bestehen bleiben wird. Eigentlich will der Staat mit jährlich rund 5,1 Milliarden Euro Arbeitnehmer*innen finanziell entlasten, die nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen können. Tatsächlich fördert er auf diese Weise aber, dass vermehrt Menschen in den ländlichen Raum ziehen. Das steigert das Verkehrsaufkommen, den Bau von Autobahnen, Straßen und Siedlungen. Kritiker*innen sprechen daher von einer „Zersiedelungspauschale“.
Weit entfernt vom 30-Hektar-Ziel
Eigentlich hatte man sich in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel gesetzt, bis 2020 die zusätzliche Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar pro Tag (ha/Tag) zu reduzieren. Im Jahr 2018 lag der Wert aber noch bei 58 ha/Tag; inzwischen wurde das 30-Hektar-Ziel auf 2030 verschoben.
Dabei wäre das Ziel durchaus zu erreichen gewesen, wenn die Anreize anders gesetzt worden wären, meint Stefan Siedentop, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Professor an der TU Dortmund. Besser als die Pendlerpauschale wäre aus seiner Sicht eine einkommensabhängige Unterstützung von Pendler*innen, etwa mit Einnahmen aus der künftigen CO2-Bepreisung, sowie der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel in bevölkerungsreicheren ländlichen Gebieten.
Ein wesentlicher Schritt sei aber auch, die viel gepredigte Verdichtung der Innenstädte politisch umzusetzen. „In den meisten Städten gibt es eine Vielzahl an Baulücken und Brachflächen, die von den Eigentümern aber häufig nicht veräußert oder bebaut werden, meist, weil die Grundstückspreise weiter steigen. Hier müsste der Druck erhöht werden.“ Potenzial dazu sieht Siedentop etwa in der Einführung einer Bodenwertsteuer bei Nichtnutzung, oder von sogenannten Innenentwicklungsgebieten, in denen die Kommunen Eigentümer*innen zum Verkauf oder zur Entwicklung ihrer Flächen verpflichten könnten.
Viel Luft nach oben
Auch in die Landwirtschaft fließt viel Fördergeld, ohne die dringend notwendige Umsteuerung hin zur nachhaltigen Bewirtschaftung voranzubringen. Der größte Teil davon kommt dabei von der EU. Das Ergebnis der erst kürzlich abgeschlossenen Neuregelung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ist ernüchternd. In den kommenden sieben Jahren werden allein an die deutschen Landwirt*innen Direktzahlungen (1. Säule) von jährlich 4,9 Milliarden Euro fließen – als sogenannte Basissicherung. Zwar werden jetzt bis zu 25 Prozent der Direktzahlungen an Umweltleistungen (Eco-Schemes genannt) geknüpft. Praktisch können hierfür in vielen Ländern aber auch Maßnahmen angerechnet werden, die zweifelhaften ökologischen Wert haben. Auch die sogenannte Konditionalität, die höhere Umwelt-, Klima- und Tierschutzauflagen an die Bezüge der Direktzahlungen knüpfen soll, kann jeder Mitgliedstaat selbst bestimmen.
Fachleute erwarten daher nur wenige Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit (vgl. S. Busse ff.). „Auch, wenn sie wenig umweltschutzförderlich sind: Als »umweltschädliche Subventionen« kann man die Direktzahlungen nicht grundsätzlich bezeichnen, denn sie fördern nicht direkt umweltschädigende Maßnahmen“, meint Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock. Bis auf die sogenannten gekoppelten Zahlungen: Etwa 15 Prozent der Direktzahlungen werden innerhalb der EU-Staaten als Zahlungen im Rahmen von ressourcenintensiven Verfahren im Ackerbau und in der Tierhaltung gezahlt, die sich als nachteilig für Natur und Klima herausgestellt haben.
Der Bund verteilt allerdings durchaus umweltschädliche finanzielle Anreize unter den Landwirt*innen, etwa mit einer Steuerentlastung von 21,48 Cent pro Liter für sogenannten Agrardiesel. 2018 kostete das den Fiskus 467 Millionen Euro. Die gleiche Summe ergab die KFZ-Steuerbefreiung für Fahrzeuge landwirtschaftlicher Betriebe.
Dass in Deutschland die Tierhaltung so floriert, kommt auch nicht von ungefähr. So werden Lebensmittel tierischen Ursprungs nicht mit dem üblichen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent belegt, sondern lediglich mit sieben Prozent. 2013 ließ sich der Bund dies 5,2 Milliarden Euro kosten. Dabei ist die Tierproduktion für über 60 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich und fördert den Biodiversitätsverlust etwa durch vermehrten Maisanbau, erhöhte Nährstoffeinträge in Binnengewässer und Meere, und das vor allem auch in anderen Weltregionen, aus denen Futtermittel importiert werden.
Dass der Abbau schädlicher Agrarsubventionen tatsächlich wirkt, zeigt das UBA am Beispiel Neuseelands. Dessen Regierung hatte in den 1980er-Jahren seine Agrarsubventionen radikal gekürzt, wodurch sich die negativen Umweltauswirkungen insbesondere auf die Flächennutzung und den Düngemitteleinsatz deutlich verringerten. „Das Ende für Steuervergünstigungen für Pkw- und Agrardiesel, private Nutzung fossiler Dienstwagen und landwirtschaftliche Fahrzeuge sowie bei der Entfernungspauschale brächte der öffentlichen Hand Mehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich“, schreibt das UBA in seinem Bericht.
„Solange die Regierungen auf der einen Seite weltweit 500 Milliarden US-Dollar in die Förderung schädlicher Aktivitäten stecken, werden die Summen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt wenig Erfolg bringen“, sagt Yves Zinngrebe, Agrarbiologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Immerhin habe die CBD sich inzwischen dazu durchgerungen, in Ziel 18 des Entwurfs für den neuen globalen Zielkatalog eine konkrete Zahl zu nennen: Biodiversitätsschädliche Anreize sollen bis 2030 um mindestens 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr reduziert werden.
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„Wenn das wirklich so beschlossen werden sollte, muss dieses Ziel in ebenso konkreter Weise auf die nationalen Ebenen runtergebrochen werden“, meint Zinngrebe. Der Forscher berät die Bundesregierung aktuell bei der Neugestaltung der Nationalen Biodiversitätsstrategie. In der alten Fassung von 2007 hatte man sich zwar auch schon den „weiteren Abbau kontraproduktiver Subventionen (zum Beispiel Entfernungspauschale)“ vorgenommen, aber keine messbaren Ziele gesetzt. Das müsse jetzt geschehen, auf allen politischen Ebenen.
Klar ist: Der Abbau umweltschädlicher Subventionen dürfte wesentliche Umweltschäden verhindern und gleichzeitig enorme Summen freigeben, die eine nachhaltige Wirtschaft und effektiven Biodiversitätsschutz ermöglichten. So wäre man auch nicht auf Spenden von superreichen Unternehmern angewiesen, deren Vermögen in der Regel nicht durch nachhaltige Wirtschaftsweise zustande kommen.
Anmerkungen
1 www.cbd.int/doc/c/abb5/591f/2e46096d3f0330b08ce87a45/wg2020-03-03-en.pdf
2 Subventionsbericht: www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/28-subventionsbericht.html
3 www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/umweltschaedliche-subventionen-fast-die-haelfte
4 de.wikipedia.org/wiki/Aichi-Ziele
5 www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/indikatorenbericht_2019_bf.pdf