Klimagerechtigkeit

Schwarze Feminismen und Klimakrise: Leitfaden für die Transformation

Mehrfach diskriminierte Menschen werden in der Klimadebatte meist nicht gehört. Denn die Klimabewegung kämpft für Klimaschutz, aber nicht unbedingt für Klimagerechtigkeit. Das ist ein Fehler, denn ohne das Wissen der Marginalisierten, wird der herbeigesehnte Wandel nicht kommen. Von Sheena Anderson aus der politischen ökologie 172.

02.05.2023

Schwarze Feminismen und Klimakrise: Leitfaden für die Transformation | Klimagerechtigkeit Feminismus Schwarze Feminismen

Die Klimakrise – dieses Wort begleitet seit einigen Jahren unseren Alltag. Dieses Wort, das in Politik und Medien, am Weihnachtstisch beim Familienstreit zwischen Gans und veganem Pudding, bei Klimastreiks und an der U-Bahn-Haltestelle irgendwie immer präsent zu sein scheint. Oder es zumindest sein könnte. Die meisten wissen, dass wir ihr nicht entkommen, dass sie nichts Gutes bedeutet, dass sie uns alle betrifft und eigentlich alle was dagegen tun müssen. Die einen fliegen weniger, die anderen sparen Plastik, wieder andere ernähren sich vegan, alles lobenswerte individuelle Entscheidungen – die aber genau das sind: individuelle Entscheidungen, die es nicht vermögen, das kapitalistische, rassistische und zutiefst ungerechte System, das die Klimakrise überhaupt erst ermöglicht, langfristig zu bekämpfen und abzuschaffen.

Doch welche Gruppe kann es sich leisten, weniger zu fliegen (weil sie schon überall war) oder sich vegan und bio zu ernähren (bei 5,99 € pro Fleischersatzprodukt)? Ich habe da ein Bild vor Augen: weiß, elitär, akademisch. Natürlich ist dem nicht gänzlich so und die Darstellung ist übertrieben – dennoch prägt sie das Bild von einer Klimabewegung, die eben einen Kampf gegen die Klimakrise führt, aber nicht unbedingt für Klimagerechtigkeit. Es ist ein Bild von jungen weißen Menschen, gebildet, interessiert, sie gehen freitags auf die Straße und interessieren sich für das Klima.

Doch führt dieses unvollständige Bild am Ende nicht dazu, dass wir bestimmte Menschen und damit auch bestimmte Perspektiven überhaupt nicht sehen, nicht wahrnehmen, nicht berücksichtigen? Und eigentlich meine ich hier nicht »wir«, sondern eben diese Gruppe: weiß, elitär, akademisch, klimabewusst. Am Ende schränkt uns das immens ein und nimmt uns realistische Lösungsmöglichkeiten, weil diese gar nicht erst gehört werden. Es führt zu Kurzsichtigkeit in einer Krise, die schon so lange dauert und bereits so lang anhaltende und – wichtig – irreparable Folgen hat.

Mein Bild vom Kampf gegen die Klimakrise sieht anders aus. Es sind die vielen Menschen, die am meisten von der Krise betroffen sind, bereits im Hier und Jetzt leiden und sogar sterben, obwohl sie am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben: Schwarze, Indigene und Menschen of Color, Menschen im sogenannten Globalen Süden, Kinder, Frauen, Menschen mit Behinderung. Und doch sind sie es, die den Kampf gegen die Klimakrise anführen und tagtäglich für eine bessere Welt für uns alle kämpfen. Sie verknüpfen diesen Kampf oft mit dem um Rechte, um Anerkennung, um Land, um Reparationen, gegen Rassismus und Ausgrenzung. Kämpfe, bei denen es um so viel mehr geht. Viele mehrfach marginalisierte Menschen, also Menschen, die unter mehreren Unterdrückungsmechanismen leiden (z. B. Schwarze Frauen: Patriarchat und Rassismus), führen diese Kämpfe nicht, weil sie sich besonders viel aufhalsen wollen – sondern weil niemand anderes diese Kämpfe für uns führt. Aber zurück zum Klima.

Mehrfachdiskriminierungen anerkennen und gemeinsam bekämpfen

Politiker*innen werden nicht müde, bei etlichen Klimakonferenzen und Treffen zu betonen, dass genau jetzt der entscheidende Zeitpunkt sei, etwas zu verändern, etwas anders zu machen, um die Klimakrise effektiv und nachhaltig anzugehen. Ich glaube, wir haben diesen Punkt längst verpasst, dennoch habe ich Hoffnung. Sie beruht auf dem Wissen, auf den Kämpfen, auf dem Leben Schwarzer Feminist*innen. Als Menschheit muss uns bewusst werden, dass sich die Systeme, wie wir sie kennen, ändern müssen. Nicht nur das. Wir müssen völlig neue Systeme erfinden und wagen, Ungerechtigkeiten an ihrer Ursache anzugehen. Ein bisschen nachhaltiger und grüner, aber ansonsten weiter so – das wird nicht funktionieren. Schwarze Feminismen können uns dabei lehren, wie Transformation aussehen kann, wie wir aufeinander, auf die Umwelt und das Klima Acht geben, und wie wir Klimagerechtigkeit erreichen.

Ohne die Stimmen von Schwarzen, Indigenen, Menschen of Color, aber auch queerer und behinderter Aktivist*innen zu hören, ohne die Verknüpfung mehrerer Unterdrückungsmechanismen gemeinsam und zeitgleich zu bekämpfen, läuft Klimaaktivismus Gefahr, ein Greenwashing weißer Vorherrschaft (white supremacy) zu sein. (1) Emily Atkin fasst das so zusammen: »das Ziel [heißt] Systemwandel, Klimagerechtigkeit kann als eine der Strategien verstanden werden und intersektionaler Feminismus liefert die Perspektive zur Umsetzung. Schwarze Frauen, ihre Erfahrungen, Kämpfe und ihr Wissen sind dabei unerlässlich – denn ohne Schwarze Frauen, ohne Schwarze Feminismen fehlt Intersektionalität die Basis.« (2)

Eine Möglichkeit, dies zu vermeiden, ist, von den Erfahrungen, den Kämpfen und dem Wissen Schwarzer Feminismen zu lernen. Durch die Entstehungsgeschichte und die Ursprünge intersektionaler Theorie sowie die Erkenntnis, welche Rolle Intersektionalität für die Klimakrise bedeutet, sind intersektional-feministische Ansätze, basierend auf dem Wissen Schwarzer Feminist*innen, geradezu prädestiniert, um zur Lösung der Klimakrise beizutragen.

Das in Berlin ansässige Center for Intersectional Justice (CIJ) definiert Intersektionalität so:

»Intersektionalität betrachtet die Wechselbeziehung verschiedener sozialer Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Rasse, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, Fähigkeit, Religion und andere Identitätsachsen auf mehreren und gleichzeitig wirksamen Ebenen. Diese Kategorien sind eingebettet in eine soziale Hierarchie, die durch die drei globalen Herrschaftssysteme Rassismus/Kolonialismus, Kapitalismus und Patriarchat sowie deren Nebenprodukte Klassismus, Homo- und Transphobie, Cis- und Heterosexismus, Behindertenfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus, Anti-Roma-, Anti-Schwarz-, Anti-Asien- und Anti-Muslim-Rassismus definiert wird. Die daraus resultierende Mehrfachdiskriminierung führt zu systemischer Ungerechtigkeit und sozialer Ungleichheit.« (3)

Zentrale Elemente in intersektionalen Diskursen sind unter anderem die enge Verknüpfung mit Schwarzen Feminismen, (Un-)Sichtbarkeit und das sogenannte Silencing (zum Schweigen bringen), Macht und Wissensproduktion, Rasse (»race«) sowie Weißsein und Farbenblindheit. Es sind exakt diese Elemente, die auch die Klimabewegung informieren und sie auf ihrem Weg zur (stärkeren) Implementierung intersektional-feministischer Perspektiven anleiten können. (4)

Konsequent Machtkritik üben und ausbeuterische Strukturen abbauen

Wenn wir uns genauer anschauen, was Klimagerechtigkeit bedeutet, wird sehr schnell klar, wie dringend nötig eben eine Transformation ist, die inklusiv, intersektional, dekolonial und radikal ist. Gewiss, es gibt unterschiedliche Auffassungen und Definitionen von Klimagerechtigkeit. Um der großen Herausforderung, die die Klimakrise birgt, gerecht zu werden, bedarf es einer intersektional-feministischen Definition, die sich bemüht, miteinander verknüpfte Phänomene in den Blick zu nehmen und das Leben auf diesem gefährdeten Planeten sicherzustellen.

Für mich bedeutet Klimagerechtigkeit daher ein gerechtes und faires Zusammenleben in Einklang mit der Umwelt, sie umfasst ökonomische, gesundheitliche, antirassistische, Umwelt- und Geschlechtergerechtigkeit und Verantwortung, die Bewusstsein und Reparationen von jenen fordert, die für die Klimakrise verantwortlich sind, indem sie konsequent Machtkritik übt und ausbeuterische Strukturen abbaut.

Eine junge schwarze Frau spricht in ein Mikrofon und streckt ihre Faust in die Höhe. Im Hintergrund sieht man Protestplakate.

Den Ursprung für mein Verständnis von Klimagerechtigkeit liefert die Umweltgerechtigkeitsbewegung Anfang der 1980er-Jahre in den USA – eine Bewegung die von Schwarzen Amerikaner*innen, Indigenen, Asiat*innen und pazifischen Inselbewohner* innen sowie Lateinamerikaner*innen (»Latinos«) angeführt wurde. Sie protestierten friedlich – aber leider erfolglos – gegen die Lagerung kontaminierten und giftigen Mülls in Warren County (und anderen Orten), die mehrheitlich von Schwarzen Menschen bewohnt wurden. Zur gleichen Zeit ergaben erste Studien von Schwarzen Wissenschaftler*innen, dass drei Viertel aller giftigen Mülldeponien in Gegenden gebaut werden oder aktiv sind, in denen vor allem Schwarze, arme und Latino-Gemeinschaften lebten. (5)

Obwohl die Bewegung in ihrem ersten Anliegen nicht erfolgreich war, hatte sie nachhaltigen und bis heute anhaltenden Einfluss auf den Umweltaktivismus in den USA. Sie prägte maßgeblich den Begriff Umweltrassismus und den Kampf für umfassende Gerechtigkeit – während weiße Umweltgruppen ihre Solidarität versagten und »nur« für die Umwelt, nicht aber für Gerechtigkeit kämpften.

Intersektionalität, resultierend aus den Kämpfen Schwarzer Feminist*innen, ist es, die hier wieder zum Tragen kommt, die deutlich macht, dass es nicht »nur« um die Umwelt, nicht »nur« um das Klima geht. Es geht ums Überleben, um den Zusammenhalt in Gesellschaften, die zu oft auf Machtmissbrauch, weiße Vorherrschaft, Ausbeutung und einem Gegen- statt einem Miteinander beruhen. Ein intersektionaler Blick erlaubt uns eine ehrliche Analyse des Status quo, die wir benötigen, um zur herbeigesehnten Transformation zu kommen.

Keine einfachen Lösungen mehr für komplexe Fragen

Dieses zugegebenermaßen breite Verständnis von Klimagerechtigkeit erlaubt es unterschiedlichen, oft getrennt voneinander agierenden Bewegungen, sich unter diesem Begriff zusammenzufinden und für umfänglichen Systemwandel einzustehen. Genau das benötigt eine ernst zu nehmende Transformation. Wenn wir die Klimakrise als soziale Krise verstehen, dann wird ein Nacheinander nicht funktionieren.

Wir müssen aufhören, Menschen glauben zu lassen, dass wir uns zunächst um ein Problem (z. B. Armut) und dann um das nächste Problem (z. B. die Klimakrise) und das nächste Problem (z. B. Geschlechterungerechtigkeit) kümmern werden. Die großen Herausforderungen unserer Zeit, sind unverkennbar miteinander verknüpft. Um dieser Verknüpfung gerecht zu werden, müssen wir sie auch auf eine inklusive, intersektionale Weise angehen. Wir müssen der Komplexität der Sache gerecht werden. Keine einfachen Lösungen für schwierige Fragen, das funktioniert einfach nicht.

Die Klimakrise hat die Welt bereits verändert (extreme Dürren, Hitze und Waldbrände, Naturkatastrophen, klimabedingte Flucht und Migration, die Liste ließe sich noch lange fortführen) und sie wird das weiter tun. Eine Transformation braucht es, um diesen Veränderungen etwas entgegenzusetzen, um ihnen gerecht zu werden. Doch sind wir bereit dafür? Was muss sich in Bezug auf Wissenschaft und Politik ändern?

Wir brauchen eine Wissenschaft, die konsequent die Lebensrealitäten von Menschen einbezieht und auch alternative Formen von Wissen (Indigenes Wissen, intergenerationales Wissen, Kommunale Pflege, Storytelling etc.) anerkennt. Wir brauchen eine ehrliche und repräsentative Vertretung der Menschen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind. Wir brauchen eine Politik, die nicht im Interesse von Lobbyist*innen, Firmen und Staaten handelt, sondern das Wohl von Menschen und dieses Planeten priorisiert. Wir brauchen einen radikalen Wandel unserer Lebensweise(n) und Systeme. Partizipation, die Bühne teilen, Menschen aus dem sogenannten Globale Süden einbeziehen – schön und gut, aber was es viel mehr braucht, ist echten politischen Willen (zur Erinnerung: Deutschland schafft es noch nicht mal, ein Tempolimit einzuführen).

Pappschild, auf dem "Climate justice now" steht

Ohne Gerechtigkeit keine Transformation

Die Frage aller Fragen muss dabei lauten: Für was argumentieren und kämpfen wir eigentlich? Meine Antwort darauf lautet: für ein gerechtes und faires Zusammenleben in Einklang mit der Umwelt – was nur durch radikalen Systemwandel erreicht werden kann. Klimagerechtigkeit durch einen gerechten und inklusiven Transformationskurs können wir nicht mit Lösungen erreichen, die aus dem gleichen System resultieren, das die Klima- und Umweltkrise überhaupt verursacht hat. Radikaler Systemwandel erfordert radikale Ehrlichkeit. Wir müssen uns endlich an die schweren, systemverändernden und unangenehmen Fragen rantrauen.

Keine Frage, das ist nicht leicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass Gesellschaften daran auch wachsen und sich zum Positiven verändern können – vor allem für die am meisten marginalisierten Menschen, für die, die unentwegt kämpfen und alternative Lösungen finden, für die, die die Gemeinschaft und das Zusammenleben vor Profitmaximierung und Individualismus stellen. Schwarze Frauen sind nur eine der Gruppen, die das unentwegt tun, und Schwarze Feminismen können ein Leitfaden für uns alle auf dem Weg zu dieser gerechten und fairen Welt sein. Wir müssen nur endlich damit beginnen, die vielen Ideen und Lösungsvorschläge in die Tat umzusetzen.

Quellen

(1) www.mcgilltribune.com/climate-justice-is-racial-justice/
(2) Atkin, E. (2020): The climate movement‘s silence: On insidious anti-blackness in climate activism, and the rise of Climate Chads. In: Heated (1.6.2020).
(3) www.intersectionaljustice.org/what-is-intersectionality
(4) Anderson, S. (2021): Eine intersectional-feministische Perspektive auf die Klimabewegung: Zur Anerkennung und Wertschätzung (marginalisierter) Stimmen von Black, Indigenous und Women of Color. In: Femina Politica (Hrsg.): Schwarze Feminismen/Black Feminisms. Tübingen, S. 64-78.
(5) www.nrdc.org/stories/environmental-justice-movement

 

Zur Autorin

Sheena Anderson ist Politikwissenschaftlerin und Schwarze Feministin. Seit 2020 arbeitet sie beim Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) in Berlin. Sie ist Aktivistin im Black Earth Kollektiv.

Dieser Beitrag stammt aus 

Nur durch Geschlechtergerechtigkeit

Mitherausgegeben von der Fachgesellschaft Geschlechterstudien und dem Umweltbundesamt

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