Alternative Schlachtmethoden

Stressfrei bis zum Schluss

Für das Tierwohl ist eine vegane Ernährung des Menschen eindeutig die beste Option. Wenn es dennoch einmal Fleisch sein soll, gilt es, den Tieren die Schlachtung möglichst stressfrei zu gestalten. Auch die Fleischqualität ist höher, wenn das Tier weitgehend angstfrei die letzten Momente erlebt. Gabriel Werchez Peral hat sich für die Ökologie & Landbau vor einem Jahr umgehört, welche Alternativen es beim Schlachten jenseits der Massenabfertigung gibt. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir seinen Text hier noch einmal.

10.07.2020

Stressfrei bis zum Schluss | Tierwohl Landwirtschaft

Werden Tiere möglichst schonend und stressfrei geschlachtet, entspricht dies nicht nur den Werten des Tierschutzes. Vielmehr wirkt sich dies auch positiv auf die Fleischqualität aus. Kriterien wie Zartheit, Fleischfarbe und Wasserhaltevermögen werden dadurch maßgeblich beeinflusst. Dabei ist eine angemessene Behandlung der Tiere beim Schlachten von Beginn an ausschlaggebend, also bereits ab der Trennung von der Herde. Und schließlich muss diese bis zum Schluss fortgeführt werden, also beim Verladen, Transport, Entladen, beim Zutrieb zum Betäubungsverfahren sowie bei der Betäubung und der Tötung selbst. Kommt es bei Tieren auf ihrem letzten Gang zu Stress, ist eine verminderte Schlachtkörper- und Fleischqualität die Folge. Da gerade ökologisch wirtschaftende Tierhalter ihr Vieh oft in kleineren, ökozertifizierten Betrieben schlachten lassen und das Tierwohl auch aufgrund der Verbandsrichtlinien hier auf den verschiedenen Produktionsstufen einen hohen Stellenwert hat, sind stressfreie Schlachtungsmethoden im Ökolandbau interessante Alternativen.

Grasen bis zum Schuss

Der Oberallgäuer Biobauer Herbert Siegel betreibt Mutterkuhhaltung. Bis vor einigen Jahren fuhr er seine Tiere zum Schlachthof, jedoch stets mit einem unguten Gefühl. »Als ich einmal einen eigentlich lammfrommen Stier einzeln zum Schlachter gebracht habe, hat der bei der Ankunft gezittert, war nass geschwitzt und hat mich im Viehwagen angegriffen«, so Siegel. Das war für ihn das Schlüsselerlebnis, um über andere Schlachtungsmethoden nachzudenken. Sein Bekannter, der Württemberger Bauer Ernst Hermann Maier, tüftelte schon seit 1995 an seiner Mobilen Schlachtbox (MSB). Die Tiere werden nicht lebend zum Metzger transportiert, sondern in gewohnter Umgebung betäubt und getötet. Bei ganzjährig frei lebenden Rindern ist seit 2011 ein Kugelschuss erlaubt. Dieser Weideschuss stellt eine genehmigungspflichtige Ausnahmeregelung vom EU-Recht dar.

Nach dem Schuss wird das Tier mit einer Winde in die Schlachtbox gehoben. Anschließend werden mit einem Stechmesser die beiden Halsschlagadern geöffnet, sodass das Tier ausblutet und stirbt. Es wird dann in der geschlossenen Box zur stationären Schlachtstätte transportiert. Die Beförderung zum Schlachthof darf maximal eine Stunde dauern. Wenn das Tier mit Weideschuss betäubt wird, sind darüber hinaus ein Sachkundenachweis nach Tierschutz- und Waffenrecht erforderlich. Zwischen Schuss und Stich in die Halsschlagader dürfen nicht mehr als 60 Sekunden vergehen, so die Vorgabe. Nach zähem Ringen mit den örtlichen Behörden bekam Biolandwirt Siegel jedenfalls die amtliche Genehmigung für das Weideschussverfahren. Nun müssen ein Tierarzt, ein Jäger und ein Metzger bei jeder Schlachtung anwesend sein. Aber lohnt sich das für den Landwirt? »Das habe ich noch nie ausgerechnet, weil es mich nicht interessiert. Ich will es einfach für meine Tiere und das ist das, was sich für uns rentiert«, sagt Siegel.

Kurze Wege, langes Tierwohl

Unweit des Firmenhauptsitzes der im Baugewerbe tätigen Lindner Group liegt der Land.Luft Hof im niederbayerischen Leberfing mit einer Nutzfläche von rund 45 Hektar. Seine Motivation, auf der Weide zu schlachten, beschreibt Firmengründer Hans Lindner folgendermaßen: »Von Anfang an bewegte mich der Gedanke, ob man Tiere auf der Weide schlachten und ihnen so den Transport und die Wartezeit in den Schlachthöfen ersparen kann.« Der von ihm aufgebaute Biobetrieb züchtet alte bedrohte Nutztierrassen, betreibt ganzjährige Freilandhaltung, schlachtet direkt auf der Weide, verarbeitet das Fleisch in der betriebseigenen Metzgerei vor Ort und verkauft die Produkte im Hofladen und im Online- Shop. Auf den Nutzflächen leben 530 Schweine, 83 Rinder, 41 Bergschafe und 220 Hühner. Die Schlachtung erfolgt in einem mobilen Schlachtanhänger. Dieser Anhänger steht beinahe bei jeder Witterung auf der Weide, sodass sich die Tiere an dessen Anblick gewöhnen.

Da bislang kaum Erfahrungen mit der mobilen Schlachtung beim Schwein vorliegen, wurde auf dem Hof ein Tierwohlprojekt durch Professor Manfred Gareis und den Lehrstuhl für Lebensmittelsicherheit der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse sind in der Dissertation von Hanna Wullinger-Reber dokumentiert. Untersucht wurden 66 Mastschweine aus ganzjähriger Freilandhaltung an insgesamt elf Schlachttagen. Tierwohl- und Tierschutzprobleme, wie Technopathien und Verletzungen durch Kannibalismus, wurden bei den Land.Luft-Schweinen nicht festgestellt. Aufgrund der nachgewiesenen Menge von Laktat im Blut und von Cortisol im Speichel konnte eine nahezu stressfreie Schlachtung der Schweine belegt werden. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind geschultes Personal, eine frühzeitige Gewöhnung der Schweine an den Schlachtanhänger und dass die Tiere kurz vor der Betäubung nicht getrennt werden.

Schlachten auf Rädern

Matthias Kürten aus Wipperfürth ist mobiler Metzger im Bergischen Land. Mit seinem biozertifizierten Unternehmen schlachtet und verarbeitet er beinahe alle gängigen Tierarten. Lediglich die Schlachtung von Pferden führt er nicht durch. »Pferde sind für mich Haustiere«, sagt Kürten. Damit die Tiere möglichst stressfrei sterben, kommt er zum Schlachten zu ihnen in den Stall. Dort betäubt er Rinder per Bolzenschuss, Schweine mit der elektrischen Betäubung. Als er vor 17 Jahren den Betrieb gründete und seinen ersten Laster kaufte, stattete er dessen Innenraum als Schlachtraum mit Kran, Brühwanne und allem anderen aus. Den zugehörigen Anhänger funktionierte er zum Zerlegewagen um und installierte dort alle notwendigen Geräte wie Fleischwolf, Stopf- und Verpackungsmaschine. Nach dem Ausnehmen werden die Tierhälften in den mitgebrachten Kühlwagen geladen. Dann folgt die amtliche Fleischbeschau und nach der entsprechenden Reifungszeit kehrt Kürten mit dem Metzgereianhänger zurück zur Verarbeitung des Tiers. Auf eines besteht er: »Der Kunde muss dabei mithelfen, alleine ist das in so kurzer Zeit nicht zu schaffen.« 80 Prozent der Kunden seien kleinere Betriebe, die ihre Tiere artgerecht halten. Wenn die Schweine bis zum Bauch im Mist stehen, kommt Kürten nicht wieder. Er ist der einzige mobile Metzger in Deutschland, der die EU-Zulassung hat und dessen Produkte deshalb auch verkauft werden dürfen.

Teilmobil als Alternative

Unter dem Namen »Operationelle Gruppe Extrawurst« setzt sich eine Gruppe aus Landwirten, Metzgern, Forschung, Verbänden und Verwaltung für die stressfreie Schlachtung von Rindern, Schafen und Ziegen ein. Sie haben dazu das Projekt der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP) gestartet. Um den Rindern Lebendtiertransporte zu ersparen, kommt der Schlachter mit einer teilmobilen Schlachteinheit auf den Hof. Dort wird das Rind fixiert und mit einem Bolzenschussgerät betäubt und dann – betäubt, aber noch lebend – mit einer Seilwinde in den Anhänger gezogen. Der Schlachter setzt darin den tödlichen Schnitt. Juristisch sei das möglich, weil man den Anhänger als Teil des Schlachtbetriebs interpretiere, sagt Ingo Franz vom Regierungspräsidium Kassel. Da die Schlachtung von Tieren grundsätzlich nur in einem EU-zugelassenen Betrieb möglich ist, muss auch der mobile Schlachtraum von der zuständigen Behörde als Teil des stationären Betriebs für diesen Zweck zugelassen werden. Das Rind muss dann zur Verarbeitung innerhalb einer Stunde in den Schlachthof gebracht werden. Im Werra-Meißner- und im Wetteraukreis gab es bereits die ersten Schlachtungen mit dem neuen Verfahren. Finanziert wird das Projekt »Extrawurst« von der EU und dem Land Hessen mit 170 000 Euro. Ziel sind Leitlinien und Schulungsunterlagen für Schlachtunternehmer und Landwirte, um bundesweit eine rechtssichere Einführung der teilmobilen Schlachtung zu ermöglichen.

Viele kleinere Schlachthöfe legen besonderen Wert auf eine stressarme Schlachtung. Einer davon ist der Schlachthof des Naturverbunds in Wachtendonk nahe Kleve in Nordrhein-Westfalen. Im ökologisch zertifizierten Familienbetrieb werden rund 500 Schweine und 40 Rinder pro Woche geschlachtet. Dabei gelten verschiedene Gütekriterien. Jeder Landwirt liefert seine Tiere eigenverantwortlich an, die Transportdauer darf maximal zwei Stunden betragen. Vertraglich festgelegte Transportbedingungen werden von geschulten Mitarbeitern des Schlachthofs kontrolliert, die einen festen Lohn erhalten, und nicht – wie sonst oft üblich – nach Akkord bezahlt werden. Nach Anlieferung haben Schweine mindestens sechs Stunden Zeit für die Eingewöhnung, um die Stresshormone zu reduzieren. Im Wartestall befinden sie sich in der gewohnten Mastgruppe. Beim Zutrieb zur Betäubung werden nur Treibbretter eingesetzt. Sollten sie auf dem Weg stehen bleiben, werden sie auf den letzten zwei Metern automatisch auf einem Rollband gefahren.

Unterschiedliche Techniken zur stressfreien Schlachtung werden im Ökolandbau erprobt. Hier sind auch aufgrund der geringen Schlachtzahlen und der diversen Haltungsformen verschiedene Nischentechniken gefragt, die dem Wunsch nach möglichst wenig Stress auf dem letzten Gang gerecht werden. Für das massenhafte Schlachten sind diese Lösungen bisher freilich weniger geeignet. Doch solange in der Branche Klasse statt Masse ein Qualitätskriterium ist, werden stressfreie Schlachtungsmethoden weiterentwickelt und verbessert werden.

Dieser Beitrag stammt aus 

Würde bis zuletzt?

Schlachten ist so alt wie die Menschheit. Doch erst die neuere Zeit hat das industrialisierte massenhafte Töten von Tieren hervorgebracht. Dabei geraten Missstände immer wieder in die Schlagzeilen.   

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