Stickstoff und Phosphor

Vom Acker zur Toilette und wieder zurück: Die Revolution der Nährstoffrückgewinnung

Vom Klo bis zum Acker: Annette Jensen beleuchtet in ihrem Beitrag aus der politischen ökologie 177 die kritische Rolle von Stickstoff und Phosphor in unseren Ökosystemen und wie moderne Sanitärlösungen die Rückführung dieser essenziellen Elemente in den Naturkreislauf ermöglichen könnten.

06.05.2024

Vom Acker zur Toilette und wieder zurück: Die Revolution der Nährstoffrückgewinnung | Abwasserentsorgung Stickstoffdüngung Rohstoffknappheit Gewässerschutz

Das Problem hat Dimensionen wie der Klimawandel – aber kaum jemand spricht darüber: Die Stickstoff- und Phosphorkreisläufe sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Wissenschaft sieht die planetaren Belastungsgrenzen hier so weit überschritten wie bei der Erderhitzung. (1) Bedroht sind nicht weniger als die Nahrungsgrundlagen der Menschheit. Trotzdem liegt das Thema im toten Winkel. Vielleicht, weil es um das geht, was wir auf dem »stillen Örtchen« entsorgen.

Unsere Ausscheidungen enthalten jedoch überlebenswichtige Substanzen, die jede Pflanze und jedes Tier benötigt. Stickstoff ist unabdingbar, um Eiweiß, Hormone und Enzyme zu bilden. Ohne Phosphor gäbe es weder Samen noch Knochen; auch die Weitergabe von Erbinformationen hängt davon ab. WCs und Kanalisation aber haben die Stoffkreisläufe von düngen, ernten, essen und ausscheiden unterbrochen. Möglich wurde das nur, weil Chemiefabriken die Landwirtschaft mit Kunstdünger beliefern. Höchste Zeit, die Zusammenhänge zu beleuchten– und bereits entwickelte Alternativen.

»Unsere Ausscheidungen enthalten überlebenswichtige Substanzen, die jede Pflanze und jedes Tier benötigt.«

Egal ob Salat, Brokkoli, Steak oder Schokoladenpudding aus der Tüte: So gut wie jedes Lebensmittel enthält Stickstoff und Phosphor. Nach der Passage durch unsere Körper landen diese Nährstoffe im Klo und mischen sich in der Kanalisation mit Industrieabwässern, Mikroplastik aus Reifenabrieb und anderem Dreck. Nach vielen Kilometern durch die teuerste Infrastruktur in deutschem Boden erreichen sie eine Kläranlage. Hier versuchen die Betreiber, die vielen Stoffe wieder aus dem Wasser herauszuholen, um es anschließend gefahrlos in Flüsse einleiten zu können.

Stickstoff und Phosphor verursachen dabei den größten Aufwand. In der biologischen Klärstufe eliminieren Bakterien in einer Art Whirlpool die beiden Nährstoffe. Das verbraucht immens viel Strom und führt im Endeffekt dazu, dass der Stickstoff in die Luft entweicht und der Phosphor mithilfe von Metallspänen in den Klärschlamm verfrachtet wird. Weil der Modder allerdings auch Schwermetalle und Mikroplastik enthält, darf er kaum noch auf ein Feld, sondern wird zum Großteil verbrannt. Die Nährstoffe, die mit den Ernten vom Land in die Stadt gekommen sind, kehren also nicht mehr dorthin zurück.

Möglich wurde ein solcher Umgang mit unseren Hinterlassenschaften nur, weil Fabriken seit Jahrzehnten Kunstdünger herstellen. Doch die Produktion von Stickstoff ist extrem energieintensiv und hat zusammen mit der Massentierhaltung dazu geführt, dass es heute doppelt so viel Stickstoff gibt wie vor hundert Jahren. Wiesen, Wälder und Flüsse sind überdüngt, viele Tier- und Pflanzenarten deswegen bereits ausgestorben. Auch Grundwasserbrunnen mussten geschlossen werden.

Dagegen hat die EU Phosphor inzwischen auf die Liste der kritischen Rohstoffe gesetzt, weil sie extreme Versorgungsengpässe befürchtet. China und die USA horten den Stoff. Ein Großteil der bergbaulich gewonnenen Mineralien, die auf deutschen Feldern landen, stammen aus der von Marokko besetzten Westsahara. Damit verbunden sind Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden.

Um Abhängigkeiten vom Weltmarkt zu reduzieren, müssen deutsche Kläranlagen bald Phosphor zurückgewinnen. Der Konzern Remondis hat sich dafür in die Pole-Position manövriert und preist Monoverbrennung von Klärschlamm als Lösung an. Das Verfahren benötigt viel Energie und Chemikalien, belastet das Klima und wird die Abwassergebühren weiter in die Höhe treiben.

Trinkwasser zum Transport von Fäkalien

Darüber hinaus gibt es ein weiteres drängendes Problem. Täglich rauschen pro menschlichen Po etwa 35 Liter unseres wichtigsten Lebensmittels – Trinkwasser – durch die Kloschüssel. Gegen den Durst und zum Kochen benötigt ein Mensch dagegen nur etwa zwei Liter. Auch in Deutschland sind die Zeiten vorbei, in denen man sich keine Gedanken über die Wasserversorgung machen musste. Durch die vier Dürresommer seit 2018 sind bereits 500.000 Hektar Wald abgestorben. Vor allem im Osten des Landes sinken vielerorts die Grundwasserspiegel und die Probleme der landwirtschaftlichen Betriebe nehmen zu.

Anstatt jedoch zu überlegen, wie wir Wassersparen oder mehrfach nutzen könnten, prüfen Verwaltungen gegenwärtig, Berlin künftig mit entsalztem Wasser aus der Ostsee zu versorgen oder die Elbe dafür anzuzapfen. Wieder soll eine teure und sehr energiefressende Technik die Lösung bringen. Das WC infrage zu stellen, erscheint undenkbar: Schließlich hat es den Nimbus, eine der herausragenden Errungenschaften der Moderne zu sein.

»Klimaerwärmung, Wasserprobleme, die gestörten Stickstoff- und Phosphorkreisläufe und Artensterben sind eng miteinander verbunden und schaukeln sich gegenseitig hoch.«

Auf Dauer aber kann es so nicht weitergehen. Wir haben mit Wasserklosett, Kanalisation und Kunstdünger einen Pfad eingeschlagen, der ein immer größeres Knäuel von Problemen erzeugt. Humusgehalt und die Vielfalt der Mikroorganismen in den Böden schwinden und damit auch ihre natürliche Fruchtbarkeit und Wasserhaltefähigkeit– und dass in Zeiten, in denen durch den Klimawandel Dürren und Überschwemmungen zunehmen. Damit auf den Feldern weiter etwas wächst, kommt Kunstdünger zum Einsatz. Sowohl die Produktion von Stickstoff als auch seine Elimination in Kläranlagen benötigt extrem viel Strom. Darüberhinaus schädigen Medikamentenreste aus dem Abwasser Ökosysteme weltweit. Zudem ist Mikroplastik über die Nahrungskette längst wieder bei uns angekommen. Die Liste ließe sich fortsetzen, denn Klimaerwärmung, Wasserprobleme, die gestörten Stickstoff- und Phosphorkreisläufe und Artensterben sind eng miteinander verbunden und schaukeln sich gegenseitig hoch.

Die gute Nachricht: Auch Lösungen können sich gegenseitig verstärken, wenn sie sich nicht auf einen Punkt konzentrieren, sondern die Sache systemisch angehen. Und tatsächlich sind längst Menschen am Werk, die an einer kombinierten Sanitär- und Nährstoffwende arbeiten. Noch befindet sich die Bewegung unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.

Vielfältige Lösungen in der Mache

Pionier*innen bauen Trockentrennklos, betreiben sie auf Festivals und im öffentlichen Raum, andere forschen zur Vererdung von Fäkalien und deren Düngekraft. Sie tüfteln an vernetzten Lösungen, formulieren Gesetzesvorschläge und entwickeln Systeme, die auch in großen Wohnanlagen und Siedlungen funktionieren. Das gerade erschienene Buch »Holy Shit – der Wert unserer Hinterlassenschaften« (Die Verfasserin des Artikels ist Autorin des Buches, Anm. d. Red.) fasst nicht nur die aktuellen Probleme zusammen, sondern stellt auch zahlreiche Menschen, Projekte und Betriebe vor, die an den grundlegenden Veränderungen arbeiten.

Parallelen zur Anfangszeit der Erneuerbaren-Energien-Bewegung vor über 30 Jahren sind augenfällig: Genau wie Sonne und Wind sind auch Urin und Kot dezentral und kostenlos verfügbar. Es gilt sie einzusammeln, hygienisch aufzubereiten und zurück in den Kreislauf zubringen. Die Abwasseringenieurin Tove Larsen errechnete schon vor Jahrzehnten, dass Kläranlagen zwei Drittel kleiner ausfallen könnten, wenn der Urin gleich in der Toilette ausgeschleust würde. Schließlich sind es unsere flüssigen Ausscheidungen, die den Großteil des Stickstoffs und Phosphors in die Kanalisation eintragen. Der Gedanke, dass sich daraus auch ein guter Dünger herstellen lässt, kam ihr erst durch Gespräche mit anderen Fachleuten.

Seit über 25 Jahren forscht das in der Schweiz für Wasser und Abwasser zuständige Institut Eawag nun schon an Urinseparierung und -aufbereitung. Inzwischen hat die renommierte Sanitärfirma Laufen eine Toilettenschüssel auf den Markt gebracht, die äußerlich kaum von einem WC zu unterscheiden ist. Sie leitet den Urin vorne mithilfe des sogenannten Teekanneneffekts unverdünnt ab.

»Genau wie Sonne und Wind sind auch Urin und Kot dezentral und kostenlos verfügbar.«

Im Keller der Eawag stellt eine kleine Firma daraus den Urindünger Aurin her. Ein Membranfilter sorgt dafür, dass Medikamentenreste eliminiert werden– eine Technik, die demnächst auch in Kläranlagen zum Einsatz kommen soll, wegen der dort anfallenden Wassermengenaber riesiege Dimensionen haben muss und entsprechend teuer ist. In der Schweiz darf Aurin verkauft werden, hierzulande bisher hingegen nicht: Menschliche Ausscheidungen stehen im deutschen Düngerrecht noch nicht auf der Liste der erlaubten Ausgangsstoffe.

Ziel der Eawag ist es, Lösungen im großen Maßstab zu entwickeln. Die notwendigenTechniken existieren, einige neue Siedlungen werden bereits damit ausgestattet. Gegenwärtigläuft ein Forschungsprojekt mit der indischen Metropole Bangalore, wo es bereits einen lebhaften Handel mit recyceltem Wasser gibt.

Im brandenburgischen Eberswalde verarbeitet Florian Augustin mit seiner Firma Finizioden Kot von Festivalbesucher*innen zu humusreicher Erde. Zunächst werden die Exkremente in einem Stahlcontainer bei 75 Grad Clesius eine Woche lang durch natürliche Prozesse hygienisiert, anschließend acht Wochen lang zusammen mit Stroh und anderen Zuschlagstoffen kompostiert. Im Rahmen eines Forschungsprojekts landet das Substrat anschließend auf einem Getreideacker. Alles spricht dafür, dass sich der ausgelaugte Boden in Kombination mit Urindünger auf diese Weise regenerieren lässt.

Am Forschungsprojekt beteiligt ist auch Ariane Krause, die in Tansania den Nährstoffkreislauf zwischen Essen, Ausscheiden und Düngen vollständig schließen konnte. Sie nutzte alle Pflanzen- und Küchenabfälle sowie die in einem Ofen hygienisierten menschlichen Exkremente, verarbeitet sie zum Teil zu Biokohle und konnte die Ernte im ersten Jahr vervierfachen. Das System schließt die Stickstoff und Phosphorkreisläufe, belebt den Boden und ist in der Lage, die Erträge dauerhaft hoch zu halten.

Sanitär- und Nährstoffwende gehören zusammen

Noch aber stabilisieren die gegenwärtigen Infrastrukturen, wirtschaftlichen Interessen, Studien- und Ausbildungsgänge, Gesetze und Kontrollinstanzen das Hergebrachte. Sie wirken gemeinsam wie ein Fundament aus Beton für den einmal eingeschlagenen Entwicklungspfad, der mit der Zeit immer breiter geworden ist.

Ohne Zweifel wird eine Sanitär- und Nährstoffwende noch schwieriger als der Umbau im Energiebereich, weil auch noch das gesellschaftliche Tabu zu überwinden ist. Doch längerfristig führt kein Weg daran vorbei. Schließlich geht es um nichts weniger als der Erhalt der menschlichen Nahrungsgrundlagen.Deshalb müssen wir als Erstes anfangen zu reden – über Urin und Scheiße.(3)

Zur Autorin

Annette Jensen studierte Politikwissenschaften und Germanistik. Sie ist Journalistin, Autorin des Buchs »Holy Shit« und eine der Sprecher*innen des Ernährungsrates Berlin.

Dieser Beitrag stammt aus 

Wie Mensch und Ökosysteme gesunden

Mitherausgegeben von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

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