Warum die Einfuhr von Soja aus Brasilien gestoppt werden muss
Brasiliens Regenwald ist massiv bedroht: Jedes Jahr verschwinden gigantische Flächen dieses wichtigen Ökosystems. Einer, den dieses Problem umtreibt, ist Antônio Inácio Andrioli. Er ist Professor für Agrarökologie und Mitbegründer eine brasilianischen Universität. Im Interview mit der Zeitschrift Ökologie & Landbau erklärt er, wie er die Lage des brasilianischen Urwalds einschätzt und welchen Beitrag die deutsche Politik leisten könnte, um ihn zu schützen.
03.11.2021
Herr Andrioli, wie ist aktuell die ökologische Situation in Brasilien?
Antônio Inácio Andrioli: Katastrophal! Es geht derzeit leider nur noch um die Wirtschaft. Die Umwelt wird als Hindernis für das Wirtschaftswachstum wahrgenommen. Es findet ein absichtlicher Abbau der Umweltbehörden statt und die Regierung setzt auf die Ausbeutung der Natur.
Wie hoch ist der bereits abgeholzte beziehungsweise abgebrannte Anteil des tropischen Regenwalds?
Inzwischen sind zwischen 19 und 20 Prozent des brasilianischen Regenwalds zerstört. In den letzten zwölf Monaten ist die Entwaldung massiv vorangeschritten. 10.129 Quadratkilometer! Diese Zahlen stammen vom brasilianischen Weltraumforschungsinstitut INPE, das für die Beobachtung und Kontrolle der Rodungen zuständig ist. Bis Ende 2021 überschreitet das Ausmaß der Zerstörungen 20 Prozent im Amazonasgebiet. Bei 25 Prozent kollabiert das System. Wenn ich optimistisch bin, gebe ich uns noch zehn Jahre.
Welche landwirtschaftlichen Kulturen verdrängen den Regenwald in Brasilien?
Als sogenanntes herrenloses Land gehört die Region größtenteils dem Staat. Die Regierung von Jair Bolsonaro erlaubt dort – auf einer Fläche so groß wie Spanien – Abholzung und Brandrodung in gigantischem Ausmaß. Großkonzerne, Minenbesitzer und Holzfirmen beuten das Land aus. Auf den Holzeinschlag folgt zuerst die Viehzucht, dann Zuckerrohr, dann Soja.
Wie viel Soja wird derzeit in Brasilien auf welcher Fläche angebaut?
Soja wird auf 38 Millionen Hektar angebaut, einer Fläche, die größer ist als Deutschland! Das macht derzeit 134 Millionen Tonnen Sojabohnen jährlich aus, wovon 90 Prozent der Produktion von Futtermitteln und Biodiesel dienen. 84 Millionen Tonnen Soja werden exportiert. Vor fünf Jahren waren es noch 114 Millionen Tonnen auf 34 Millionen Hektar. Die Ausweitung der Soja- produktion für den Export – hauptsächlich nach China und Europa – stellt die Existenz der Kleinbäuerinnen und -bauern und Indigenen infrage, die zunehmend verarmen, verhungern und von ihrem Land vertrieben werden. Soja wurde zum Hauptexportprodukt Brasiliens, seine Produktion stieg auf 57 Prozent der brasilianischen Ackerfläche, während die Produktion von Grundnahrungsmitteln wie zum Beispiel Reis von 28 Prozent auf sieben Prozent reduziert wurde.
Welche Rolle spielt der Ökolandbau in Brasilien? Wird dort überhaupt Biosoja angebaut?
Geschätzt sind das nicht mehr als fünf Prozent der gesamten Sojaproduktion. Der Rest, also 95 Prozent, ist genmanipuliertes Soja. Es gibt leider keine Studien zum Verhältnis von Biosoja und Entwaldung. Aber das Potenzial, mehr Biosoja anzubauen, wäre vorhanden.
Was fordern Sie von der deutschen Politik, um die Urwaldrodungen zu unterbinden?
Zuerst das Mercosur-Abkommen stoppen. Dann Tierprodukte kennzeichnen, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. Pestizidrückstände bei der Einfuhr von Soja müssen strenger und transparenter kontrolliert werden. Kein Soja aus Brasilien importieren, solange es Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen fördert. Anstatt die brasilianische Regierung mit Geldern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) – angeblich zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft – zu unterstützen, könnte der Aufbau eines Kompetenzzentrums für Landwirt*innen mit Schwerpunkt auf Agrarökologie gefördert werden, wenn die Nachhaltigkeitsziele und die Agenda 2030 tatsächlich ernst genommen werden sollen.
Interview: Wolfgang Neuerburg und Susanne Salzgeber für die Zeitschrift Ökologie & Landbau.