Weniger bauen, mehr wohnen
Städte wachsen rasant, überall entstehen neue Wohnkomplexe, Hochhäuser und Industrieparks. Dass das drastische Auswirkungen auf die Umwelt hat, ist längst bekannt – dennoch wird immer weiter gebaut. Dabei ist eigentlich genügend Wohnraum vorhanden, wir müssten ihn nur besser nutzen, sagt Daniel Fuhrhop. Im Interview mit Online-Redakteurin Sonja Bonneß erklärt er, warum ein Baustopp das Klima schützen würde und wie die Coronakrise zu nachhaltigerem Wohnen führen kann.
22.04.2020
Sonja Bonneß: Derzeit wird viel darüber diskutiert, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Coronakrise haben wird. Auf dem Wohnungsmarkt sind ja zwei Entwicklungen denkbar: Zum einen stellt die Krise Modelle wie Airbnb in Frage, da aufgrund der Mobilitätseinschränkung wenig Bedarf für Kurzzeitvermietungen besteht. Zum anderen könnte es attraktiver werden, als Einzelne*r noch mehr Wohnraum für sich zu beanspruchen, da der private gegenüber dem öffentlichen Raum noch wichtiger geworden ist. Was denken Sie, der sich kritisch mit dem Thema Wohnraum auseinandergesetzt hat, darüber?
Daniel Fuhrhop: Endlich merken manche, dass eine Vermietung über Airbnb & Co. keine normale Nutzung von Wohnungen ist, sondern eher gewerbliches Handeln mit entsprechenden Risiken. Die Städte wehren sich schon länger gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Ferienwohnungen, nun hilft ihnen die Coronakrise hoffentlich dadurch, dass mehr Wohnungen zukünftig wieder als Wohnungen genutzt werden.
Die Rückbesinnung auf den privaten Raum in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen stellt kein großes Problem für nachhaltigen Umgang mit Wohnen dar, denn die überwiegende Mehrheit der Wohnungen wurde bisher eher zu wenig genutzt als zuviel – man denke an Millionen von Einfamilienhäusern, die zu Einpersonenhäusern wurden. Dort leben meist ältere Menschen, deren Kinder ausgezogen sind, und ihnen gilt es zu helfen: Wohnwünsche-Agenturen können zu Umbau, Umzug und Untermiete beraten. Solche Agenturen sind Teil des Wandels von einer auf Bauwut ausgerichteten Bauwirtschaft hin zu einer nachhaltigen UmBauwirtschaft.
Der Begriff der »Flugscham« hat das Fliegen in der öffentlichen Debatte als Klimakiller gebrandmarkt. Analog zur »Flugscham« fordern Sie eine »Bauscham« – Wie hängen denn Bauwut und Klimakrise zusammen?
Zwanzig bis dreißig Prozent der Treibhausgase werden durch Bauen und Gebäude verursacht, das beginnt bei der Herstellung der Baustoffe, etwa der Zementproduktion, es reicht über den Bauprozess bis zum Heizen. Darum sollten wir nicht stolz darauf sein, gebaut zu haben, sondern eine Bauscham verspüren. Am wenigsten Heizenergie verbrauchen Räume, die gar nicht erst gebaut wurden.
Auch die Baubranche lockt mit Innovationen: Niedrigenergiehäuser, Effizienzhäuser, Passivhäuser, Ökohäuser – das klingt nach neuen nachhaltigen Varianten des Wohnens. Kann Bauen nicht auch umweltfreundlich sein?
Wenn überhaupt gebaut wird, dann »besseres Bauen« mit nachwachsenden Materialien wie Holz und mit wenig Bedarf an Heizenergie. Doch auch der Bau eines vermeintlichen Ökohauses verbraucht Energie: Bei moderner Technik erfordert das Bauen, also die Erstellung des Gebäudes, mehr Energie als der Betrieb eines Hauses (vor allem seine Heizung) über fünfzig und mehr Jahre, die es steht. Das ökologischste Haus ist eines, das nicht neu gebaut wurde, sondern schon steht.
Es gibt zahlreiche Bewegungen wie zum Beispiel die Postwachstumsökonomie, die sich damit beschäftigen, wie unser Leben abseits von Wachstumszwang und Größenwahn aussehen könnten. Wie passt ihre Forderung nach einem »Bauverbot« dazu? Wie stellen Sie sich die Gesellschaft der Zukunft vor?
Wenn Städte nicht mehr wachsen, wird nicht mehr gebaut – sowohl am Stadtrand als auch in den Stadtvierteln, wo Kleingärten und Parks durch sogenannte Nachverdichtung bedroht werden. Insofern ist ein Baustopp die anschaulichste Form der Postwachstumsökonomie. Um Wohnraum für alle zu schaffen, reicht es aus, wenn wir mithilfe vieler Werkzeuge Altbauten umnutzen und neu beleben. Dadurch rücken Menschen näher zusammen, nach dem Motto »weniger bauen, mehr wohnen«.