Die ungleiche Last: Wie Reichtum die Klimakrise verschärft
Die ungleiche Verteilung von Wohlstand und der damit einhergehende übermäßige Ressourcenverbrauch der Reichsten heizen die ökologischen Krisen und sozialen Spannungen unserer Zeit an. Wie gravierend die Lage heute ist, analysieren Jørgen Randers und Till Kellerhoff in diesem Beitrag aus ihrem Buch »Tax the Rich«.
25.03.2024
Wollen wir die rasante Veränderung unserer Welt verstehen, müssen wir auch die tiefe Ungleichheit verstehen – nicht nur die der Verteilung des Wohlstands, sondern auch die der ökologischen Folgen dieses Wohlstands.
Höhere Einkommen und steigender Wohlstand führen zu mehr Konsum und Ressourcenverbrauch. Reiche haben schlicht einen viel größeren CO2-Fußabdruck. Menschen mit mehr Geld leben in größeren Häusern, die mehr Energie verbrauchen, sie fahren größere Autos, die mehr Sprit verbrauchen, sie reisen mehr in der Welt herum und vor allem investieren sie ihr Geld in schmutzige Industrien.
Von den acht Milliarden Menschen auf der Erde sind 800 Millionen, die oberen zehn Prozent, für fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung verursacht gerade einmal zwölf Prozent dieser Emissionen. (1) Ein krasser Gegensatz, der umso deutlicher wird, wenn wir die Wohlstandsleiter noch weiter hinaufblicken. Das reichste Prozent, das sind rund 77 Millionen Menschen, tragen fast 17 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei.
Steigen wir noch ein wenig höher: Die ihrem Nettovermögen nach reichsten 0,1 Prozent der Menschheit, rund 7,7 Millionen Menschen, sind verantwortlich für über sieben Prozent aller CO2-Emissionen – das 70-Fache des weltweiten Durchschnitts.
Ganz oben schließlich verursachen gerade einmal 770.000 Personen, 0,01 Prozent der Weltbevölkerung, fast vier Prozent der weltweiten Emissio nen – mehr als die Industriestaaten Deutschland und Japan zu sammen! (2)
Das ist nicht weiter verwunderlich: Die elf Minuten kurzen Weltraumtrips von Richard Branson oder Jeff Bezos im Juli 2021 zum Beispiel setzten insgesamt etwa 300 Tonnen CO2 in der Atmosphäre frei, ungefähr 75 Tonnen pro Passagier. Ein Mensch, der zur ärmsten Milliarde der Weltbevölkerung gehört, braucht für diese Menge ein ganzes Leben. (3)
Wie der Reichtum selbst konzentriert sich also auch die Verantwortung für die Klimakatastrophe massiv an der Spitze der Pyramide.
Und die Reichsten sind nicht nur für den größten Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich, diese nehmen auch noch rasant weiter zu – während die von Gering und Normalverdienenden verursachten Emissionen in vielen westlichen Ländern sogar zurückgehen. (4) Diesen Luxus gönnen wir uns in einer Zeit, in der die Welt zügig das CO2-Budget verbrennt, das ihr bleibt, wenn wir die Hoffnung nicht aufgeben wollen, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Die globale Temperatur liegt heute schon um mindestens 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau – und die Emissionen nehmen immer weiter zu.
Es ist also überdeutlich, dass die beiden drängendsten Krisen der Menschheit – die ökologische und die soziale – eng miteinander verwoben sind. Die Bewältigung der einen Krise in Angriff zu nehmen, ist unerlässlich, um auch die andere bekämpfen zu können.
Dabei geht es mitnichten darum, die Verantwortung auf die Entscheidungen individueller Verbraucher*innen abzuwälzen. Es geht um die grundlegende Reform eines Systems, das diese extreme Ungleichheit ermöglicht.
Rezept für die Rebellion: Wachsender Luxus für die Wenigen, zunehmende Härten für die Vielen
Prozentzahlen über die Verteilung des Reichtums oder der Emissionsanteile bleiben abstrakt, doch die Folgen der Ungleichheit sind sehr konkret: In vielen Ländern des Westens haben die Armen bis weit in die Mittelschicht nichts vom gesamtwirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahrzehnte gehabt. Die Einkommensschwächsten mussten teilweise sogar sinkende Reallöhne hinnehmen. Die Inflation trägt das Ihre dazu bei, die soziale Teilhabe zu erschweren.
Während sich die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung 52 Prozent des globalen Einkommens gesichert haben, muss sich die ärmste Hälfte der Bevölkerung mit gerade einmal 8,5 Prozent abfinden. (5)
Es ist eine bittere Wahrheit, dass unser Wirtschaftssystem dafür sorgt, dass sich der Reichtum an der Spitze sammelt. Die neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte hat uns einen »Trickledown-Effekt« versprochen – bekommen haben wir den »Trickleup-Effekt«. Oben werden die Kuchenstücke immer größer, unten kämpfen die Menschen um die Brosamen des globalen Wirtschaftswachstums.
Das gilt für die reichen wie für die armen Ländern gleichermaßen. Steuergesetze, die immer mehr Wohlstand unbesteuert lassen, sind eine Ursache, aber keineswegs die einzige. Vorverteilung und Umverteilung spielen eine ebenso wichtige Rolle.
Wirtschaftssysteme und die Akkumulation von Reichtum
Letztlich gibt es zwei Arten, zu Wohlstand zu kommen: Man kann ihn direkt erwerben, also durch Einkommen, oder indirekt, das heißt durch Investitionserträge oder andere Vermögenswerte. Hier spiegelt sich die grundlegende Verteilung des Einkommens zwischen Arbeit und Kapital beziehungsweise zwischen Arbeitnehmer*innen und Kapitalbesitzer*innen.
Volkswirtschaften entwickeln sich häufig dahin, dass Menschen durch Investitionserträge und Bestandsvermögen wie Immobilien mehr erwirtschaften, als sie durch eigene Arbeit oder auch durch Investitionen in die »produzierende« Wirtschaft verdienen können. Diese »Finanzialisierung« der Volkswirtschaft(en) schreitet immer weiter voran. Wer über Vermögenswerte verfügt, investiert in weitere Vermögenswerte, der Reichtum sammelt sich in den Händen der Besitzenden. So entsteht ein Wohlstand, der sich bei jenen konzentriert, die schon vermögend genug sind, um investieren zu können.
Diesen Trend beobachten wir vor allem seit dem Ende des 20. Jahrhunderts. Der Wirtschaftswissenschaftler Branko Milanović weist darauf hin, dass der Anteil des Kapitaleinkommens am Gesamteinkommen konstant zunimmt. Das bedeutet, dass Kapital gegenüber der Arbeit an Bedeutung gewinnt. Und dass die Kapitalist*innen immer größere wirtschaftliche und politische Macht bekommen. In den USA ist dieser Trend besonders ausgeprägt, er zeigt sich aber ebenso in den meisten anderen Ländern mit hohem Einkommen. (6)
Stellen Sie sich einen Häuserblock in einer Großstadt vor: In den Erdgeschossen finden Sie eine Reihe von Einzelhandelsgeschäften, in den Stockwerken darüber sind Wohnungen untergebracht. Einige der Menschen, die Läden besitzen und in den Häusern leben, sind auch Eigentümer*innen ihrer jeweiligen Immobilie, andere zahlen Miete. Nun beginnen Investor*innen, Wohnungen und Geschäfte in dem Häuserblock aufzukaufen; der Wert der Gebäude steigt. Am Ende können es sich immer weniger Menschen leisten, in dem Häuserblock eine Einheit selbst zu erwerben. Und während die Gebäude für immer höhere Preise gehandelt werden, steigen auch die Mieten und Unterhaltskosten. So konzentriert sich das Eigentum der Immobilien bei einer immer kleineren Zahl von Menschen. Die gewinnen ihren Reichtum nicht durch Produktion, sondern durch Mieten – und die lassen sie immer weiter steigen.
Auf den Finanzmärkten spielt sich im Grunde das gleiche Szenario ab: Kapital wird eingesetzt, um mehr Kapital zu erzeugen – sei es durch das Vermieten von Grund oder Immobilien, durch die Vergabe von Krediten oder auf andere Weise. Manche bezeichnen das als »Rentenkapitalismus«, man könnte es auch »Feudalismus 2.0« nennen. Jedenfalls kommen die meisten Arbeiternehmer*innen dabei nicht gut weg: Ihr Anteil am Einkommen geht zurück, ihre wirtschaftliche Unsicherheit nimmt zu.
Diese Tendenz mag kapitalistischen Volkswirtschaften grundsätzlich innewohnen, das heißt aber nicht, dass es keine Möglichkeiten gäbe, dem proaktiv entgegenzusteuern. Steuern allein können das Problem nicht lösen, aber im Verbund mit an deren Maßnahmen kann es durchaus gelingen, unsere Ökonomien umzubauen. Wir haben die Mittel, die von den Rentenökonomien angestoßenen Trends umzukehren – wir nutzen sie nur nicht wirkungsvoll genug.
Steigende Klimakosten für die Allgemeinheit
Während die Einkommen der Mittelschicht und der Armen schrumpfen, nehmen die Klimafolgen zu, unter denen sie unverhältnismäßig zu leiden haben. Gerade wer nur über begrenzte finanzielle Mittel verfügt, hat es besonders schwer, sich den sich wandelnden Umweltbedingungen anzupassen.
Die Klimakrise bedeutet für die Armen die größte Gefahr, denn ihre Folgekosten sind ihrem Wesen nach regressiv: Je größer der Anteil des Einkommens ist, der für Nahrungsmittel aufgewendet werden muss, desto bedrohlicher sind steigende Lebensmittelpreise, etwa infolge von Dürren. Je weniger die Leute auf der hohen Kante haben, desto schwieriger wird es für sie, durch Überschwemmungen oder Feuer verursachte Schäden an ihrem Eigenheim zu beheben. Je schlechter der Zugang zu medizinischer Versorgung ist, desto mehr leiden Betroffene unter klimabedingten Gesundheitsproblemen. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Tipp: Mehr zu Klimagerechtigkeit lesen Sie auf unserer Themenseite
Besonders deutlich wird diese Ungerechtigkeit in der internationalen Perspektive. Länder mit hohem Einkommen haben die Mittel, sich bis zu einem gewissen Grad anzupassen – mit höheren Dämmen, stabileren Häusern oder einem besseren Katastrophenschutz. Den meisten Ländern der Welt freilich fehlen diese Möglichkeiten. Als Pakistan 2022 von gigantischen Flutwellen überschwemmt wurde, waren 33 Millionen Menschen betroffen, mehr als 1.700 kamen ums Leben.
Länder des Globalen Südens stehen zunehmend vor einem unauflösbaren Dilemma: entweder in die Klimaanpassung investieren oder in den Kampf gegen den Hunger. Diese Entscheidung sollte niemand treffen müssen, schon gar nicht diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.
Die Kostenfrage
Es ist also unabdingbar, nachhaltige Wirtschaftsstrukturen um- und durchzusetzen. Das Wohlergehen unseres Planeten und der Menschheit hängt davon ab. Aber was wird das kosten?
Eigentlich ist die Frage falsch gestellt, denn eine nachhaltigere und gesündere Welt spart uns mehr Geld, als wir in die Transformation je investieren müssten. Klimabedingte Katastrophen werden die Welt jedes Jahr Hunderte von Milliarden Dollar kosten, und das mit deutlich steigender Tendenz. Die Flutkatastrophe in Pakistan beispielsweise war nicht nur ein humanitäres, sondern auch ein wirtschaftliches Desaster. Die Weltbank schätzt die Schäden auf über 30 Milliarden Dollar, die Kosten für den Wiederaufbau auf 16 Milliarden Dollar. (7)
Wir können uns Untätigkeit einfach nicht leisten. Wir müssen in unsere Zukunft investieren.
Eine wirksame Anschubfinanzierung für den nachhaltigen Umbau unserer Wirtschaft würde Investitionen in Höhe von zwei bis vier Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts er fordern, das entspricht bis zu vier Billionen Dollar jährlich. (8)
Zwei bis vier Prozent des Volkseinkommens müssten also von der Produktion herkömmlicher (Konsum)Güter und Dienstleistungen hin zur Produktion kollektiver Güter und Dienstleistungen verlagert werden, die die Nachhaltigkeitstransformation unterstützen – insbesondere im Bereich erneuerbarer Energien. (9)
Es geht um erhebliche Summen. Aber wenn man bedenkt, dass die unversteuerten Vermögen der reichsten Menschen der Welt in die Billionen gehen, wird klar, dass sie ohne Weiteres finanzierbar wären. Deutschland zum Beispiel nimmt jedes Jahr nur knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung durch vermögensbezogene Steuern ein, das entspricht rund 40 Milliarden Euro. Würde die Bundesrepublik Vermögen ebenso hoch besteuern wie Frankreich, das Vereinigte Königreich oder die Vereinigten Staaten das tun, würde sie jedes Jahr 120 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. (10)
Aber dann würden die Reichen sicher auf die Barrikaden gehen, oder?
Anmerkungen
(1) Lucas Chancel, Philipp Bothe, Tancrède Voituriez: Climate Inequality Report 2023. Fair Taxes for a Sustainable Future in the Global South, Paris 2023. URL: wid.world/wp-content/uploads/2023/01/CBV2023-ClimateInequalityReport-2.pdf (15.12.2023).
(2) Sighard Neckel: Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 4 (2023). URL: www.blaetter.de/ausgabe/2023/april/zerstoererischer-reichtum (15.12.2023). Blicken wir nur auf Deutschland, ist das Bild nicht weniger deutlich: Während die Ärmsten in Deutschland im Jahr 2019 etwas mehr als drei Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und Person verursachten, waren es beim reichsten einen Prozent rund 105 Tonnen – etwa 35-mal so viel. Vgl. Lalon Sander: Zu viel Knete killt das Klima, in: taz Online, 25.03.2023. URL: taz.de/Ungleiche-Emissionen-in-Deutschland/!5922585/ (15.12.2023).
(3) Katharine Gammon: How the Billionaire Space Race Could Be One Giant Leap for Pollution, in: The Guardian Online, 19.07.2021. URL: www.theguardian.com/science/2021/jul/19/billionaires-space-tourism-environment-emissions (15.12.2023).
(4) Lucas Chancel: Global Carbon In equality Over 1990–2019, in: Nature Sustainability 5 (2022), S. 931–938. URL: www.nature.com/articles/s41893-022-00955-z (15.12.2023).
(5) Lucas Chancel et al.: World Inequality Report 2022. Executive Summary.
(6) Branko Milanović: Kapitalismus Global. Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht, Berlin 2020, S. 31.
(7) The World Bank: Pakistan: Flood Damages and Economic Losses Over USD 30 Billion and Reconstruction Needs Over USD 16 Billion – New Assessment. URL: www.worldbank.org/en/news/press-release/2022/10/28/pakistan-flood-damages-and-economic-losses-over-usd-30-billion-and-reconstruction-needs-over-usd-16-billion-new-assessme (15.12.2023).
(8) Vera Songwe, Nicholas Stern, Amar Bhattacharya: Finance for Climate Action. Scaling Up Investment for Cli mate and Development, London 2022. URL: www.lse.ac.uk/granthaminstitute/wp-content/uploads/2022/11/IHLEG-Finance-for-Climate-Action-1.pdf (15.12.2023).
(9) In Deutschland wird der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren schätzungsweise zusätzliche Investitionen von ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordern. Dieser Prozentsatz ist im Vergleich zu den meisten anderen wohlhabenden Ländern niedriger, da Deutschland bereits einige Fortschritte bei der Umstellung von fossilen auf regenerative Energieträger gemacht hat.
(10) Marcel Fratzscher: Superreiche können den Staat retten. URL: www.diw.de/de/diw_01.c.875507.de/nachrichten/superreiche_koennten_den_staat_retten.html (15.12.2023).