Gesunde Böden sind der Schlüssel im Kampf gegen Klimakrise und Artensterben
Die industrielle Landwirtschaft gilt als Mitverursacherin des Klimawandels und als Treiberin beim Rückgang der Artenvielfalt. Sie ist aber auch unmittelbar selbst davon betroffen und muss sich anpassen. Ökologisch wirtschaftende Betriebe machen vor, wie das gelingen kann, erklärt Maximilian Sonntag in diesem Beitrag aus der politischen ökologie 175 (»Naturbasierte Lösungen«).
23.01.2024
Der bereits heute spürbare Klimawandel und der fortschreitende globale wie lokale Rückgang der Artenvielfalt betreffen die Landwirtschaft in dreifacher Art und Weise: Die Landwirtschaft hat eine wesentliche Verursacherrolle bei Klimawandel und Artensterben inne. Gleichzeitig ist sie unmittelbar davon betroffen und muss sich daran anpassen. Aber durch ihren enormen Einfluss auf Klimawandel und Ökosysteme hat die Landwirtschaft schließlich auch die Chance zur Lösung beizutragen.
Die Folgen des Klimawandels stellen eine zunehmende Herausforderung für die Landwirtschaft dar. Schätzungen zeigen, dass Wetterextreme bereits heute Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Gleichzeitig erhöht der Klimawandel den Druck auf die Stabilität vieler Ökosysteme und gilt als einer der Haupttreiber der globalen Biodiversitätskrise. Aktuell sind nach Schätzungen von Expert*innen weltweit etwa eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Damit erlebt die Welt derzeit das sechste Massenaussterben in der Erdgeschichte. Hauptverantwortlich für den Verlust der Biodiversität ist, neben dem Klimawandel und anderen Faktoren, die Intensivierung der Landwirtschaft.
Landwirtschaftlich genutzte Böden nehmen eine zentrale Rolle in den Spannungsfeldern Klimaschutz, Anpassung an die Folgen des Klimawandels und Biodiversitätskrise ein. Aufbau und Erhalt von im Boden gespeichertem Humus, also toter und zersetzter organischer Substanz, ist eine wichtige Stellschraube im Klimaschutz durch die Landwirtschaft. Weltweit speichern Böden durch Humus etwa vier Mal so viel Kohlenstoff, wie die Atmosphäre in Form von CO2 enthält. (1) Würde es gelingen, den Humusgehalt der landwirtschaftlich genutzten Böden weltweit jährlich um 0,4 Prozent zu erhöhen, könnten rein rechnerisch die jährlichen globalen Treibhausgasemissionen ausgeglichen werden.
Humusaufbau als Ass im Ärmel?
Auch wenn diese theoretische Rechnung dem realistischen Potenzial von Humusaufbau für den Klimaschutz laut Expert*innen nicht nahekommt, hat sie in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Initiativen und Gesetzen im Bereich Humusaufbau und Bodengesundheit gesorgt. Machbarkeitsstudien in Deutschland haben gezeigt, dass naturbasierter Klimaschutz durch Humusaufbau in Deutschland möglich ist. (2)
Angesichts der sich durch den Klimawandel beschleunigenden Abbauprozesse im Boden kann es je nach Standort jedoch bereits eine Herausforderung sein, Bodenkohlenstoffgehalte auf dem aktuellen Niveau zu halten. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass sich durch gezielte Maßnahmen drei bis sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr im Boden speichern lassen.
»Humusaufbau kann einen wichtigen Beitrag zum naturbasierten Klimaschutz leisten, man sollte ihn jedoch nicht darauf reduzieren.«
Zum Vergleich: Die Emissionen im Sektor Landwirtschaft belaufen sich aktuell auf gut 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, was wiederum 14 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen entspricht. Naturbasierter Klimaschutz durch Humusaufbau – worauf zum Beispiel Systeme wie das sogenannte Carbon Farming abzielen – erreicht nach aktuellem Stand in Deutschland somit nicht die Größenordnung, um zum Beispiel durch CO2-Zertifikate die Emissionen anderer Sektoren auszugleichen.
Humusaufbau kann einen wichtigen Beitrag zum naturbasierten Klimaschutz leisten, man sollte ihn jedoch nicht darauf reduzieren. Gesunde Böden mit hohem Humusgehalt erfüllen weitere wichtige Funktionen, die nachhaltig den Betriebserfolg sichern können. Humusreiche Böden weisen eine erhöhte Fähigkeit zur Speicherung von Wasser und Nährstoffen auf, was zur Stabilisierung des Bodens gegenüber Erosion und einer höheren Ertragsstabilität beiträgt und zudem Dünger spart. Dadurch können sich die Pflanzen besser an Klimawandelfolgen wie Extremwetterereignisse anpassen. Schließlich führt Humusaufbau zu einer signifikanten Zunahme der mikrobiellen Biomasse sowie des Regenwurmbesatzes.
Ökologisch und ökonomisch sinnvolle Maßnahmen
Gesunde Böden leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit und Existenzsicherung für uns alle. Um Landwirtschaft in der Praxis umweltschonender und ressourcengerechter zu betreiben, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Humus aufzubauen und die Artenvielfalt zu erhöhen. Dabei steht die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs im Zentrum seiner Praxis. Je nach Standortbedingungen und ökonomischen Faktoren kommen für die Landwirt*innen verschiedene Stellschrauben im eigenen Betrieb in Betracht. Den nachfolgend beispielhaft ausgewählten Maßnahmen ist gemein, dass sie bei angemessener Umsetzung Synergien verschiedener ökologischer Vorteile bieten und dabei ökonomisch sinnvoll sein können.
Zwischenfrüchte und Untersaaten
Zwischenfrüchte wie Lupine, Ölrettich oder Weidelgras werden zwischen zwei Hauptkulturen gepflanzt. Untersaaten wachsen im Schatten der Hauptkultur zunächst langsam, bis sie nach der Ernte der Hauptkultur den »Platz an der Sonne« einnehmen. Um für eine gelingende Kultur und eine Vielfalt der Durchwurzelung des Bodens zu sorgen, empfiehlt es sich, auf standort-angepasste Saatenmischungen zu setzen.
Beide Maßnahmen helfen, den Boden dauerhaft zu bedecken und dabei organische Masse in den Boden einzutragen. Die Folge ist ein erhöhter Humusgehalt und eine Aktivierung des Bodenlebens. Weiterhin führen diese beiden Maßnahmen zu verminderter Erosion, helfen bei Unkrautregulierung und Förderung der Artenvielfalt und tragen überdies zur Nährstoffbindung im Boden sowie zu verringerter Nitratauswaschung bei.
Ökologische Landwirtschaft
Aufgrund seiner am natürlichen Kreislauf von Ökosystemen orientierten Wirtschaftsweise gelingt es dem ökologischen Landbau im Mittel, einen um zehn Prozent höheren Humusgehalt, eine erhöhte Regenwurmpopulation, die als Indikator für Bodengesundheit und -funktionalität gilt, sowie positive Effekte auf Biodiversität und Klimaanpassung zu erzielen. (3)
Erhaltung und Schutz der Artenvielfalt sind zentrales Ziel ökologischer Landwirtschaft. Dazu wird insbesondere auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verzichtet, die direkte Auswirkungen auf die Lebensräume wildlebender Pflanzen und Tiere haben. Der Verzicht auf mineralische Stickstoffdünger sowie der begrenzte Tierbesatz und Futterzukauf führen zu einem geringeren Nährstoffvorkommen auf den landwirtschaftlichen Flächen, wodurch sich geringere Kulturdichten ergeben, was wiederum mehr Lebensraum und Nahrungsvorkommen für wild lebende Pflanzen- und Tierarten zur Folge hat.
Agroforst
Der Flurbereinigung sind im 20. Jahrhundert Strukturelemente und Kulturlandschaften wie Hecken und Streuobstwiesen zum Opfer gefallen. Die Integration von Bäumen in das Agrarökosystem erhöht allerdings nicht nur optisch die landschaftliche Vielfalt. So bieten Hecken und Bäume Lebensraum und Schutz für Tiere wie Vögel und Insekten, die aus flurbereinigten Agrarökosystemen verdrängt werden. Die Klimawirkung von Hecken durch den Humusaufbau der Baumwurzeln und der wachsenden kohlenstoffhaltigen oberirdischen Biomasse ist in Summe beachtlich.
Weiterhin sorgen die Bäume für Wind- und Erosionsschutz und eine Verbesserung des Mikroklimas durch Feuchtigkeit und Schatten. Das hilft bei der Anpassung an steigende Temperaturen und erhöhte Trockenheit und kann Ernten nicht nur diversifizieren, sondern in Summe auch steigern.
Mehrjährige Blühstreifen und dauerhafte Säume entlang von Acker- und Grünlandschlägen können signifikant zum Humusaufbau beitragen. Auch bei dieser Maßnahme gibt es offensichtliche Synergien mit dem Schutz der Artenvielfalt, weil die Blühmischungen Nahrungsquelle für Insekten und weiteres Habitat am Feldrand bieten. Dem Synergieeffekt sind hier allerdings ab einem gewissen Grad Grenzen gesetzt, da artenreichere Blühmischungen nicht automatisch für mehr Humusaufbau sorgen, sondern Saatenmischungen je nach Schwerpunkt unterschiedlich gewählt werden können. (4)
Politische Anreize endlich richtig setzen
Entscheidend für die Umsetzung vielversprechender Maßnahmen von naturbasiertem Klimaschutz in der Landwirtschaft ist, dass Landwirt*innen – gegebenenfalls auch durch Beratungsangebote – die passenden Maßnahmen auswählen können und für Umweltleistungen, die über die nachhaltig erfolgreiche Sicherung des indi- viduellen Betriebs hinausgehen, angemessen entschädigt werden.
Die Landwirtschaft in Europa wird wie wenig andere Sektoren durch hohe Subventionen gelenkt – die europäische Agrarförderung macht circa ein Drittel des gesamten EU-Haushaltes aus. Die politischen Anreize entsprechen aktuell allerdings nicht den gesellschaftlichen Erwartungen, die mittlerweile über eine Einkommenssicherung landwirtschaftlicher Betriebe und Förderung der europäischen Produktion zur Erzielung von Exportgewinnen hinausgehen. Um dies zu korrigieren, bedarf es klarer ökologischer Zielsetzungen durch die Politik, adäquater rechtlicher Rahmenbedingungen und einer angemessenen Honorierung von Umweltleistungen, die der Gesellschaft zugutekommen.
Inwiefern dies mit durch Steuergelder finanzierten Subventionen oder Preisaufschlägen an der Ladenkasse erreicht wird, muss letztendlich in einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess entschieden werden. Zwar wurden mit der aktuellen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU für den Zeitraum 2021 bis 2027 die Fördermöglichkeiten für Maßnahmen wie etwa die Anlage von Agroforstflächen ausgeweitet. Die Ausgestaltung bleibt aber in der Hand der Mitgliedsstaaten und wird nicht in allen Ländern umgesetzt.
Gleichzeitig bilden die fast leistungsunabhängig ausgezahlten Direktzahlungen mit knapp 70 Prozent des GAP-Budgets weiterhin die größte Säule der Agrarförderung. Diese pro Fläche gleich verteilten Subventionen fördern zum Teil auch umweltschädigende Bewirtschaftungsformen wie zum Beispiel Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden, wodurch sehr viel CO2 in die Atmosphäre gelangt.
Agrarökonom*innen und NGOs fordern schon länger: öffentliche Gelder für öffentliche Güter. (5) Damit gemeint ist die Ausrichtung der GAP-Zahlungen hin zu einer stärker leistungsgebundenen Agrarförderung. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Betriebe nur noch für konkrete ökologische oder soziale Leistungen gefördert werden, wie zum Beispiel Klimaschutz. Angesichts von (Post-)Pandemie-Symptomen, Inflation und Ukraine-Krieg werden Umweltschutz und Ernährungssicherheit gerne gegeneinander ausgespielt, obwohl sie sich gegenseitig bedingen.
Quellen
(1) www.thuenen.de/media/institute/ak/Allgemein/news/Thuenen_Working_paper_112_4Promille_Initiative.pdf
(2) https://lfl.bayern.de/mam/cms07/publikationen/daten/schriftenreihe/15-kulturlandschaft-2017_lfl-schriftenreihe.pdf#page=21
(3) Hülsbergen et al. (2023): Umwelt- und Klimawirkungen des ökologischen Landbaus.
(4) Harbo et al. (2023): Flower strips as a carbon sequestration measure in temperate croplands.
(5) www.gpp.pt/images/Programas_e_Apoios/PAC/PACpos2020/ifoameu_policy_cap_post_2020_vision_paper_201701.pdf