Ökopflanzenschutz

Pflanzengesundheit systemisch denken

Agrarökologische Lösungsansätze stellen die Gesundheit des Bodens, der Pflanzen und daraus resultierend der Tiere und Menschen in den Fokus. Dabei kommen der Biodiversität und der Rolle der Pflanzen im Hinblick auf Bodenaufbau und -funktionen besondere Bedeutung zu – vor allem angesichts der Erderhitzung und des Biodiversitätsschwunds. Dies schildert Biologin und Agrarwissenschaftlerin Maria R. Finckh in ihrem Beitrag aus Ökologie & Landbau 3/2024.

29.08.2024

Pflanzengesundheit systemisch denken | Ökologischer Pflanzenbau Ökolandbau Pestizide Boden Bodenfruchtbarkeit Agrarökologie

Wenn man an (Pflanzen-)Gesundheit denkt, ist intuitiv erst einmal klar, was es sein soll. Bei genauerer Betrachtung allerdings wird es schwierig, diese zu definieren. Man stelle sich eine Person vor, die kaum 300 Meter gehen kann, schnell müde wird und sehr aufpassen muss, was sie isst, damit die Verdauung funktioniert. Ist diese Person gesund oder krank?  Das hängt vom Alter ab. Ist sie 100 Jahre alt, staunt man über die Fitness; ist sie deutlich jünger, muss man sich massiv Sorgen machen.

Anderes Beispiel: Ist eine Person, die sich dank permanenter Medikation wohlfühlt, gesund oder krank? Das zeigt: Alle Definitionen von Gesundheit sind mit Wertesystemen verbunden (Döring et al., 2012).

Gleiches gilt für Pflanzen. Ist eine Pflanze, um die man sich dauernd kümmern muss, etwa durch Schnittmaßnahmen, gesund oder krank? Bei Pflanzen beschränkt man sich in Lehrbüchern gerne auf die Definition von Krankheit (!) als »schädliche Abweichung von normalen physiologischen Prozessen«. Dabei ist es normal, dass ein Apfel verfault, damit die Samen keimen können. Nur aus der Sicht der Menschen soll der Apfel lagerfähig sein. Auch sollen Pflanzen für uns weniger bitter und gern auch süß und mit viel Stärke oder Fett ausgestattet sein. Alles Eigenschaften, die es vielen Mikroorganismen, die wir nicht wollen, leichter machen, in und auf diesen Pflanzen zu gedeihen.

Da wir Menschen Landwirtschaft betreiben müssen, um zu überleben, definieren wir die Gesundheit von Pflanzen in unserem Sinn. Sie sind für uns gesund, wenn ihre für uns nützlichen physiologischen Funktionen ungestört stattfinden: Ertragsbildung, Freiheit von Mikroorganismen, die Toxine bilden, oder Lagerfähigkeit. Um diese Gesundheit zu erreichen, müssen die Systemfunktionen, angefangen mit dem Boden, den Pflanzengesellschaften und ihrer genetischen Ausstattung bis zur Agrar- und Nichtagrarlandschaft in den Blick genommen werden. Alle diese Ebenen können ihre Funktionen nur erfüllen, wenn sie mit genügend und der relevanten Biodiversität ausgestattet sind.

Biom im Boden als Basis

Das Systemverständnis hat sich in der Biologie und damit auch in der Landwirtschaft durch die Erkenntnisse der modernen Molekularbiologie in den letzten 20 bis 30 Jahren radikal verändert. Dies wurde in dieser Zeitschrift vor drei Jahren (Finckh et al., 2021) schon beschrieben: »Als die Pflanzen vor circa 400 Millionen Jahren an Land gingen, begannen sie, die Mikroorganismen im Boden über Wurzelausscheidungen zu ernähren und über diese mit dem Boden zu interagieren. Pro Hektar und Jahr werden zwischen 100 und 1.000 Kubikmeter Wurzelausscheidungen gebildet und über den gesamten durchwurzelten Boden verteilt (Sobotik, 2010).«

»Während der Mensch 22.000 Gene von seinen Eltern erbt, erbt er etwa acht Millionen mikrobielle Gene über das Mikrobiom.«

Die Interaktionen mit den Pilzen, hier zentral Mykorrhizapilze, sind wichtig für die Versorgung der Pflanzen vor allem mit Phosphor. Auch können Pilze Wasser aus feinsten Poren für die Pflanzen zugänglich machen. Allerdings können sie bei extremem Stress, wenn Pflanzen und Pilz gemeinsam nicht mehr genügend Wasser oder andere Ressourcen haben, mitunter auch die Pflanzen verwerten. Man darf sich also fragen, ob sich die Pilze nicht vielmehr die Pflanzen als Kohlenstoffquelle halten als die Pflanzen sich die Pilze (Sheldrake, 2021).

Während der Mensch 22.000 Gene von seinen Eltern erbt, erbt er etwa acht Millionen mikrobielle Gene über das Mikrobiom (Sariola und Gilbert, 2020). Ähnlich sind die Verhältnisse bei Pflanzen, weshalb seit einigen Jahren in der Forschung die Frage nach dem Mikrobiom der Pflanzen im Vordergrund steht. Das sind vor allem Bakterien und Pilze, aber auch Einzeller, da sie eine zentrale Rolle in Nährstoffzyklen spielen (Gao et al., 2019; Wagg et al., 2019).

Auf einem Feld halten zwei Hände Humus zwischen den Fingern. Ein Wurm und Wurzelwerk ist zu sehen.

Züchter*innen und Pflanzenschützer*innen fragen sich deshalb immer ernsthafter, ob auf dem Weg der Domestikation wichtige mikrobielle Gemeinschaften oder Teile davon verloren gegangen sind (Soldan et al., 2021). Verarmung des menschlichen Mikrobioms durch Änderungen im Lebenswandel wurde bereits dokumentiert (Grassberger, 2021). Deshalb gibt es inzwischen Forderungen, Pflanzenmikrobiome wieder »wild« zu machen (»rewilding«), um die Verluste, die durch Züchtung, Düngung, Antibiotikum- und Pestizideinsatz eingetreten sind – und die Verluste in der Funktionalität bedeuten –, wenigstens teilweise rückgängig zu machen (Raaijmakers und Kiers, 2022).

Da jede Pflanze ihren eigenen mikrobiellen Fußabdruck produziert, muss die mikrobielle Diversität unbedingt durch pflanzliche Diversität gefördert werden: Züchtung für Vielfalt (siehe Beitrag Vollenweider und Fleck, S. 15ff.) sowie Duldung (nicht zu vieler) vielfältiger Beikräuter und landschaftliche Vielfalt (siehe Beitrag Kienzle, S. 18ff.) sind hier zentral.

Konsequent ist die Frage, ob bei Lebewesen, die massiv von ihrem Mikrobiom abhängen, ein Vielfaches mehr an mikrobiellen Genen in sich tragen als eigene Gene (Sariola und Gilbert, 2020) und deshalb auch weitgehend durch Mikroben gesteuert und beherrscht werden, der Einsatz irgendeiner Gentechnik überhaupt Relevanz für Fortschritt haben kann und wird (Finckh, 2022).

Den Boden wenig stören

Natürlich aufgebaute Böden mit ihren Biomen werden nur selten gewendet, etwa durch Tiere, die graben, oder wenn ein Baum umstürzt. Ansonsten nehmen mit zunehmender Bodentiefe das Licht und die Durchlüftung ab. Verbindungen werden durch Pilznetzwerke, Wasserflüsse, bewegliche Tiere und Pflanzenwurzeln geschaffen, Letztere verantworten den Kohlenstoffeintrag. Poren und Pilznetzwerke werden durch tiefe Bearbeitung nachhaltig gestört. Bodenverdichtungen entstehen hauptsächlich durch den Einsatz von schweren Maschinen, vor allem zu Zeiten, in denen der Boden nass und damit hochempfindlich ist. Aus diesem Grund sind Ansätze, die das Wenden des Bodens vermeiden und Bodenverdichtungen auflösen, extrem wichtig.

Mehr lesen: Gesunde Böden sind der Schlüssel im Kampf gegen Klimakrise und Artensterben

Ergebnisse im Projekt AKHWA (Anpassung an den Klimawandel in Hessen – Erhöhung der Wasserretention des Bodens durch regenerative Ackerbaustrategien) zeigen, dass zehn Jahre nicht wendende Bodenbearbeitung kombiniert mit dauerhafter Bodenbegrünung mit Zwischenfrüchten zu einer erhöhten Stabilität des Oberbodens durch erhöhte Bodendichte und Aggregatstabilität führte, ohne sich negativ auf die Infiltrationskapazität auszuwirken (Bilibio et al., 2023). Durch eine regelmäßige Gabe hochwertiger Grünabfallkomposte von durchschnittlich fünf Tonnen Trockenmasse pro Hektar und Jahr, die in die obersten 15 Zentimeter des Bodens eingemischt wurden, stieg der Humusgehalt in der entsprechenden Schicht von 2,2 Prozent im Jahr 2012 auf 3,4 Prozent im Jahr 2019. Damit verbunden war eine deutlich erhöhte Produktivität von Erbsen im Topfversuch, da dieser Boden Infektionen mit Fußkrankheiten unterdrückte (Schmidt et al., 2020).

Deutliche Effekte hat es auch, den sonst lange nacktliegenden Boden bei Kartoffeln mit nährstoffreichem Transfermulch zu schützen. Dieser kann externe Dünger ersetzen und hat sich als effektiv in der Reduktion von Kartoffelkäfern (70 Prozent weniger Larven im Schnitt über die Jahre; Junge et al., 2022) sowie in der Reduktion von Kraut- und Knollenfäule um 35 Prozent (Finckh et al., 2018) gezeigt.

Eine Luftaufnahme von landwirtschaftlicher Nutzfläche. Durch häufige Fruchtwechsel sieht die Landschaft aus wir vertikale Streifen in unterschiedlichen Grüntönen.

Vielfalt trägt zentral zum Pflanzenschutz bei

Vielfältige Fruchtfolgen bilden das Herz eines jeden erfolgreichen ökologischen Managements. Sie sind wichtig und effektiv, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und bodenbürtige Krankheiten, Insekten und Beikräuter zu kontrollieren.

»die Heterogenität der Kulturen in der Landschaft [ist] wichtiger [...] als naturnahe Bodendeckung durch Blühstreifen oder ökologische Vorrangflächen«

Sehr wichtig sind die Ergebnisse einer weltweiten Metaanalyse, die 435 Agrarlandschaften in Europa und Nordamerika untersucht hat. Es zeigte sich, dass die Heterogenität der Kulturen in der Landschaft wichtiger ist als naturnahe Bodendeckung durch Blühstreifen oder ökologische Vorrangflächen. So wirkte sich eine Reduktion der durchschnittlichen Feldgröße von fünf auf 2,8 Hektar genauso stark auf die biologische Vielfalt von Pflanzen, Bienen, Schmetterlingen, Schwebfliegen, Käfern, Spinnen und Vögeln aus wie eine Steigerung der naturnahen Deckung von 0,5 auf elf Prozent (Sirami et al., 2019). Selbst der Anbau von Raps und Weizen in etwa 30 Meter breiten Streifen anstatt in zusammenhängenden Feldern kann Blattläuse im Weizen und Rapsglanzkäfer deutlich reduzieren und fördert die räuberischen und andere Biokontrollinsekten (Alarcón-Segura et al., 2022).

Es wurde inzwischen auch gezeigt, dass die Wurzelmikrobiome unterschiedlicher Pflanzengenotypen und Pflanzenarten sich deutlich auf die Gesundheit der Nachbarpflanzen (Yang et al., 2014) sowie der Folgepflanzen (Mazzola und Manici, 2012; Schlatter et al., 2017) auswirken können.

In einem idealen System, in dem Pflanzen nur dort wachsen, wo sie eigentlich hingehören, und das Mikrobiom optimal vernetzt ist, sollte das System in sich gesund sein. Allerdings heißt Gesundheit auch, dass im richtigen Rahmen wieder abgebaut und recycelt wird, was vorher gewachsen ist. Die Landwirtschaft, die darauf abzielt, die Zersetzung zu verhindern oder zu verlangsamen, und die Vielfalt durch gezielte Nutzung bestimmter Genotypen mindert, steht deshalb immer ein Stück weit im Konflikt mit der ungestörten Natur. Sie hat die Möglichkeit, diese Konflikte so gering wie möglich zu halten, indem sie die Biodiversität auf allen Ebenen fördert: vielfältige Hecken und vernetzte Landschaftsstrukturen, Feldgrößen nicht über drei Hektar, Diversität der Pflanzenarten im Feld durch Artenmischungen, heterogene Populationen, moderate Toleranz gegenüber Beikräutern, Zwischenfrüchte und Fruchtfolgen; das Bodenmikrobiom durch dauerhafte und vielfältige Begrünung versorgen und tief wendende Bodenbearbeitung weitgehend vermeiden. Viele Methoden des Ökopflanzenschutzes zielen auf diese Ebene ab und sind genauso in der konventionellen Landwirtschaft umsetzbar.

Grundsätzlich muss das Ziel immer sein, möglichst keine (Öko-)Pflanzenschutzmittel zu brauchen. Ist dies doch der Fall, muss immer gefragt werden, ob die Vorbeugung vernachlässigt wurde.

Fazit

»Gesunder Boden für gesunde Pflanzen« war das Motto der IFOAM-Konferenz 1996 in Kopenhagen. Und es hat sich nichts geändert an der Wahrheit in diesem einfachen Satz. Was sich geändert hat, ist unser Verständnis, was gesunder Boden ist und wie zentral wichtig das Mikrobiom und die Biodiversität auf allen Ebenen sind. Hinzu kam die Einsicht, dass die Gesundheit von Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen nur gemeinsam erreicht werden kann (Ratnadass und Deguine, 2021; Sariola und Gilbert, 2020; Hernando-Amado et al., 2020; van Bruggen et al., 2019).


Anmerkungen

Geförderte Projekte des Fachgebiets mit Danksagung sowie Liste der zitierten Literatur (.PDF, 281 KB)

Beitrag aus 

Bios spritzen anders - vor allem aber weniger. Schon immer haben sie die Pflanzengesundheit systemisch betrachtet und nach umweltschonenden Maßnahmen gesucht. Der Schwerpunkt Ökopflanzenschutz ...   

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