Solidarische Landwirtschaft

Solawi: Entgegen der Logik des Markts

Der Diskurs über die Gestaltung einer zukunftsfähigen (Land-)Wirtschaft ist in vollem Gange: Wie kann angesichts der globalen Marktentwicklung eine bäuerliche, vielfältige Landwirtschaft erhalten bleiben, die gesunde Nahrungsmittel erzeugt und dabei die Natur- und Kulturlandschaft pflegt? Die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) vereint all diese Aspekte. Von Andrea Klerman.

21.01.2022

Solawi: Entgegen der Logik des Markts | Solidarische Landwirtschaft Landwirtschaft Agrarwende Commoning Commons

Die profit- und wachstumsorientierten Wirtschaftssysteme sorgen auch in bäuerlichen Betrieben für eine vermeintliche Alternativlosigkeit. In der Landwirtschaft arbeitende Menschen stehen oft vor der Wahl, entweder die Natur oder sich selbst auszubeuten. Manche steigen komplett aus, Höfe verwaisen. Auch der Ökolandbau ist hiervon nicht ausgenommen.

Ein neues Wirtschaftskonzept aus der Mitte der Gesellschaft

Dass Landwirt*innen mit Spezialisierung oder Industrialisierung reagieren, erscheint unumgänglich. Entgegen dieser Zwänge erwächst aus der Mitte der Gesellschaft die Bewe- gung der gemeinschaftsgetragenen Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) als Gegenentwurf zur Logik des Markts.

Die Gesamtkoordination einer Solawi erfolgt nicht durch den Preismechanismus, sondern durch soziale Mechanismen innerhalb einer Gemeinschaft. Es bilden sich überschaubare, regionale Gruppen von Konsument*innen und Produzent*innen. Diese setzen sich regelmäßig an einen Tisch, bestimmen gemeinsam, was und wie produziert wird, und teilen die Verantwortung und die Ernte fair untereinander und im erzeugenden Betrieb auf.

Durch diesen Zusammenschluss wird das unternehmerische Risiko des einzelnen Produzenten gemindert, Ernteausfälle und andere Unwägbarkeiten werden von der Gemeinschaft getragen. Im Gegenzug herrscht Transparenz und den Konsument*innen wird ein Mitspracherecht eingeräumt.

Die Rechtsform einer Solawi wird dabei individuell gewählt. Manche Höfe bleiben ein Einzelunternehmen oder eine GbR, andere gründen aus der Gruppe heraus Vereine oder Genossenschaften, für die Anteile erworben werden können. Einige Solawis pachten lediglich einen Acker und stellen Gärtner*innen ein, ohne an eine Hofstelle angebunden zu sein.

Kommunikation erforderlich

Kern der Idee ist das transformative, betriebswirtschaftliche Selbstverständnis einer gemeinsamen Verantwortung – auch bei der Finanzierung der Unternehmung durch ihre Mitglieder. Am Anfang des Idealprozesses steht demnach der Austausch darüber, was gepflanzt, was geerntet werden soll und welche Produkte wünschenswert sind. Den so definierten „Warenkorb“ kann ein einzelner Hof anbieten – oder er entsteht durch die Kooperation mehrerer Produzent*innen.

Die voraussichtlichen Betriebskosten eines Jahres werden den Solawist*innen transparent gemacht. Auf dieser Grundlage verpflichtet sich die Gruppe, einen festgesetzten Betrag, meist als monatliche Rate, aufzubringen. Die Rahmenverträge werden üblicherweise für ein Jahr geschlossen, sodass der Betrieb kalkulierbare Einnahmen und damit finanzielle Sicherheit hat.

Manche Solawis teilen den Gesamtbetrag durch die Anzahl der Beteiligten, woraus sich für alle derselbe Monatsbetrag ergibt. Andere bieten mehrere Anteilsgrößen an, dann variieren die Monatsbeiträge. Mitunter werden auch „Soli-Anteile“ für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln angeboten.

Eine andere Art der Beitragsvereinbarung ist die sogenannte Bieterrunde: Dabei gibt jedes Mitglied zunächst verdeckt an, wie viel ihm der eigene Anteil an der Unternehmung „wert“ ist. So können individuelle finanzielle Spielräume einfließen. Wird die nötige Summe in der ersten Runde nicht erreicht, müssen alle Bietenden für sich prüfen, ob sie mehr geben können und möchten. Sollte der erforderliche Betrag sich auch nach mehreren Bieterrunden nicht einstellen, überlegen alle gemeinsam, wie „gespart“ werden kann, etwa durch weniger Auswahl oder weniger Service, etwa bei der Auslieferung. Jedes Mitglied erhält solidarisch trotzdem dieselbe Menge an Produkten – unabhängig vom eigenen Monatsbeitrag.

Die Bewegung als Vorbild

Leitgedanke der Solawi ist Kooperation als Verhaltensoption für eine gute Gemeinschaft: Das Individuum trägt bei, was ihm möglich ist. Die Idee der Community Supported Agriculture (CSA, dt. gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft; das Netzwerk entschied sich später für den Begriff „solidarisch“) gelangte in den 1970er-Jahren aus der Schweiz zunächst nach Japan und in die USA.

In Deutschland wurde 1986 der Buschberghof in Schleswig-Holstein, ein Demeter-Betrieb mit Vollsortiment, als erste CSA gegründet. Im Jahr 2011, bei Gründung des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft, wurden 20 Betriebe gezählt. Aktuell umfasst das Netzwerk 371 bestehende Solawis und 86 Solawis in Gründung (Stand Oktober 2021). Inspiriert davon, machen sich auch in anderen Versorgungsfeldern Unternehmen auf den Weg, ihr Geschäftsmodell auf die gleichen gemeinschaftsgetragenen Prinzipien umzustellen. Aus CSA wird CSX – Community Supported Everything.

Ein Netzwerk für mehr Solidarität

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (NWSL) wurde 2011 mit dem Ziel gegründet, die Begrifflichkeit und die verschiedenen Ausprägungen von gemeinschaftsgetragenem Wirtschaften in der Lebensmittelproduktion bekannter zu machen. Das NWSL versteht sich als Graswurzelbewegung aus der Zivilgesellschaft und ist soziokratisch organisiert. Es fördert die Vernetzung der bestehenden Projekte der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) untereinander und bietet umfangreiche Angebote zur Neugründung und Umstellung auf Solawi.

Interessierte finden ein breites Bildungsangebot sowie vielfältige Beratung zu Struktur, Organisation und Handlungsmöglichkeiten. Das Netzwerk beteiligt sich auch an der aktuellen Forschung und versteht sich als Brückenbauer und Vermittler. Aktuell hat das Netzwerk über 600 Mitglieder (Stand Oktober 2021), darunter Einzelpersonen, Höfe und Solawis. Es hat zum Ziel, den Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft zu fördern.

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