Antibiotika in der Massentierhaltung: Was jetzt getan werden sollte
In ihrem neuen Buch »Pillen vor die Säue« schildern Tiermediziner Rupert Ebner und Autorin Eva Rosenkranz den umfangreichen Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung – und erklären, warum dieser ein Risiko für unsere Gesundheit darstellt. In unserem Interview geben beide Einblicke in das Thema.
23.03.2021
Laut Statistiken ging der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung in den vergangenen 10 Jahren zurück. Warum ist das Problem trotzdem so dringlich?
Rupert Ebner: Der Rückgang wird damit begründet, dass die Tonnen Antibiotika, die zum Einsatz kamen, zurückgegangen sind. Der Rückgang in Tonnen sagt jedoch nichts über den Umfang des Einsatzes von Antibiotika aus.
Zwei Erklärungen hierzu: Es gibt Antibiotika, die mit 20 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht dosiert werden, andere mit 400 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Dazu gehen bei oraler Anwendung bis zu 50 Prozent in die Gülle – mit der gleichen Antibiotika-Menge bei parenteraler Anwendung (wörtlich: »am Darm vorbei«, z.B. via Injektion; Anm. d. Red.) können ungleich mehr Tiere behandelt werden.
Was zählt, und das hat auch Auswirkungen auf die Resistenzentwicklung, sind vielmehr die Tage, in denen ein Nutztier unter der Wirkung von Antibiotika während seiner Mastzeit bzw. Lebenszeit steht. Hier zu gibt es keine verlässlichen Daten, nur sie wären aussagekräftig. Meine Einschätzung ist, dass sich an diesem Wert nichts geändert hat. Ganz im Gegenteil, durch parenterale Antibiotika, also Injektionsware, mit einer Wirkdauer von bis zu sieben Tagen könnte sich dieser entscheidende Parameter sogar noch erhöht haben.
Wie kommen die resistenten Keime zum Menschen? Nur über das Fleisch - oder auch über Eier, Milch oder sogar pflanzliche Produkte?
Rupert Ebner: Durch Kontakt mit Lebensmitteln, die bei der Erzeugung – also am Bauernhof – oder bei der Verarbeitung – also am Schlachthof – mit resistenten Keime kontaminiert wurden. Hier steht Fleisch an erster Stelle.
Gefährdet sind insbesondere Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Der wohl häufigste Eintrag erfolgt über Wunden, die mit dem Lebensmittel, auf denen sich resistente Keime befinden, in Kontakt kommen.
Häufig sind Landwirte, aber auch Menschen, die in Stallungen arbeiten oder im Umfeld von Stallungen wohnen, mit resistenten Keimen infiziert. In den allermeisten Fällen habe diese Menschen keine Beschwerden. Problematisch wird so ein Befund zum Beispiel bei einer Einlieferung in ein Krankenhaus, da sich hier natürlich viele Menschen mit einem geschwächten Immunsystem bzw. Wunden befinden.
In Ihrem Buch fordern Sie Politik und Gesellschaft zum Gegensteuern auf. Welche konkrete Maßnahme ist aus Ihrer Sicht am wichtigsten?
Rupert Ebner: Die gesetzlichen Regelungen für die Anwendung und Abgabe von Antibiotika an Tierhalter müssen glaubhaft durchgesetzt werden. Dazu müssen die Rabatte beim Verkauf von Antibiotika an Tierarztpraxen abgeschafft werden. Ziel muss es sein, dass die Anwendung von Antibiotika nur nach strikten medizinischen Kriterien erfolgen darf. Haltungssysteme, die nur mit einem vorbeugenden Einsatz von Antibiotika funktionieren, müssen eingestellt werden – insbesondere die, die durch Arbeitsteilung nach industriellem Muster gestaltet sind.
»Ziel muss es sein, dass die Anwendung von Antibiotika nur nach strikten medizinischen Kriterien erfolgen darf.« |
Eva Rosenkranz: Da die Erkenntnisse seit vielen Jahren auf dem Tisch liegen und immer wieder von aktuellen Studien, aber auch von Entwicklungen innerhalb des Systems – Stichwort Schweinestau – bestätigt werden, müssten längst regulative Maßnahmen auf allen politischen Ebenen insbesondere der Agrarpolitik selbstverständlich sein – sind es aber nicht.
Studien, die etwa von der Bundesregierung in Auftrag gegeben werden, bleiben weitgehend ohne Konsequenzen. Druck seitens wichtiger gesellschaftlicher Gruppen wie Kirchen oder Wissenschaft bleibt folgenlos. Selbst systemimmanente Verstöße gegen Recht werden oft, so stellen Juristen immer wieder fest, nicht geahndet.
Dieser Zustand schadet vielen Landwirten, Tieren, Konsumenten und der Ernährungssicherheit. Um Veränderungen zu erzwingen, wird der wachsende gesellschaftliche Druck in Richtung artgerechte Tierhaltung, weniger Konsum tierischer Produkte, Schutz von Biodiversität, Wasser, Boden und Klima entscheidend sein. Dabei spielt das Verbraucherverhalten eine große Rolle. Agrarpolitik ist längst aus den Hinterzimmern raus und geht uns täglich alle an.
»Der Käufer muss erkennen können, dass Billiges teuer erkauft wird« |
Die wichtigste Maßnahme ist aus meiner Sicht, dass die wahren Kosten derzeitiger Landwirtschaft, die jetzt durch die Hintertür von der Gesellschaft getragen werden, im Preis sichtbar werden müssen. Der Käufer muss erkennen können, dass Billiges teuer erkauft wird, und er muss sicher sein können, dass ein höherer Preis etwa für artgerechte Haltung und mehr Schutz der Umwelt bei den Landwirten ankommt.
Gibt es andere Länder, die hier mit positivem Beispiel vorangehen? Wer sind mögliche Vorbilder?
Eva Rosenkranz: Im Zusammenhang mit der Produktion von Schweinefleisch wird in den Niederlanden mit gezielter Verringerung von Tierbeständen experimentiert. Das basierte weniger auf grundlegender Einsicht als aus der Not, der Güllebelastung in dem kleinen Land nicht mehr Herr zu werden. Landwirte werden derzeit in verschiedenen Programmen für die Reduzierung ihrer Tierbestände oder für die Aufgabe von Tierhaltung bezahlt.
In Dänemark experimentiert der Marktführer für Schweinefleisch mit antibiotikafreier Schweinemast. Die Tiere bekommen ihr Leben lang keine Antibiotika, was inzwischen durch tiergerechtes Futter, intensive Versorgung, mehr Platz, Licht und Freilauf bei 85 Prozent der Tiere gelingt. Die Bauern erhalten mehr Geld und der Verbraucher kann sich unter der Marke ‚antibiotikafreies Fleisch‘ für ein besseres Produkt zu einem angemessenen Preis entscheiden. In Deutschland hat der Wurstproduzent Reinert solches dänische Schweinefleisch verarbeitet und kooperiert jetzt in einem neuen Modell mit örtlichen Bauern, die antibiotikafrei Schweine mästen.
Welchen Rat geben Sie Verbrauchern, die sich mit ihrem Kaufverhalten gegen die im Buch kritisierten Verhältnisse einsetzen wollen?
Eva Rosenkranz: Seit Langem suchen Verbraucher nach Möglichkeiten, aus dem System der industriellen Landwirtschaft auszusteigen. Der Boom der Biobranche ist nur ein Hinweis auf diese Entwicklung. Regionalität spielt zunehmend eine Rolle. Örtliche Lieferdienste für regionale Produkte, Hofläden und Selbstvermarktung von artgerecht gehaltenen Tieren am Hof weiten sich aus.
Verbraucher können weitreichend Druck aufbauen, indem sie solche Möglichkeiten gezielt in ihrem Umfeld nutzen und damit „ihre“ örtlichen Landwirte unterstützen. Dazu können sie die höheren Preise durch bewussten Konsum kompensieren. Weniger tierische Produkte schützen dabei auch die eigene Gesundheit.