»3 Grad mehr«

Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen)

Wie sieht eine Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus? Was bedeutet das konkret für Klima und Wetter? Klimaforscher Stefan Rahmstorf schildert in diesem Beitrag aus »3 Grad mehr« die drohenden Folgen – und macht damit deutlich, warum wir sofort entschiedene Klimaschutzmaßnahmen brauchen.

05.07.2022

Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen) | Klimawandel Erderwärmung Klimaschutz Klimafolgen Kipppunkte

Was bedeuten 3 Grad globale Erwärmung für uns? Bislang sind wir laut Weltklimarat [1] bei 1,1 Grad Erwärmung angelangt, relativ zum späten 19. Jahrhundert (das in diesem Beitrag generell als Basisperiode verwendet wird, weil es auch die Basis für das Paris-Ziel von 1,5 Grad ist). Bereits heute sehen wir viele negative Folgen. Drei Grad Erwärmung wären fast das 3-Fache. Die Folgen wären allerdings erheblich schlimmer als nur das 3-Fache der bisherigen Auswirkungen, wie wir in diesem Beitrag sehen werden.

Eine nützliche Perspektive auf eine Erwärmung um 3 Grad liefert die Erdgeschichte. Man muss nach heutiger Kenntnis rund drei Millionen Jahre zurückgehen, bis ins Pliozän, um eine ähnlich hohe globale Temperatur zu finden. Das deutet schon darauf hin, dass große Teile der heutigen Biosphäre nicht evolutionär an eine derart warme Erde angepasst sind. Viele Arten würden sie nicht überleben. Im Pliozän lebten unsere Vorfahren, die Australopitheci, noch teils auf Bäumen.

Der globale Temperaturverlauf der letzten 20.000 Jahre seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit lässt sich dank zahlreicher Sediment und Eisbohrkerne inzwischen recht genau rekonstruieren (Abb. 1). Die Grafik zeigt drei wichtige Dinge: (1) Schon die heutigen Temperaturen übersteigen den Erfahrungsbereich des Holozäns und damit der gesamten Zivilisationsgeschichte des Menschen, seit er die Landwirtschaft entwickelte und sesshaft wurde. (2) Die moderne globale Erwärmung ist etwa zehn Mal schneller als die natürliche Erwärmung von der Eiszeit ins Holozän, was eine Anpassung massiv erschwert. (3) Die moderne Erwärmung wird zehntausende Jahre anhalten – es sei denn, es gelingt, aktiv gigantische Mengen an Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre herauszuholen.

Abbildung 1: Verlauf der globalen Temperatur seit der letzten Eiszeit (etwa 20.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung) und für die kommenden 10.000 Jahre bei einem Szenario mit 3 Grad globaler Erwärmung. [2]

Modellsimulationen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), mit denen die Eiszeitzyklen der letzten drei Millionen Jahre (angetrieben von den bekannten Milankovich-Erdbahnzyklen) korrekt wiedergegeben werden, zeigen: Schon jetzt haben wir der Atmosphäre wahrscheinlich genug CO2 hinzugefügt, um damit die ansonsten in 50.000 Jahren fällige nächste Eiszeit zu verhindern. Heizen wir die Erde gar um 3 Grad auf, werden wohl die natürlichen Eiszeitzyklen der nächsten halben Million Jahre ausbleiben. Einige wenige Menschengenerationen verändern unseren Planeten Erde massiv und für lange geologische Zeiträume.

In Deutschland sind wir inzwischen schon bei rund 2,3 Grad Erwärmung angelangt (Abb. 2). Weil Deutschland ein Landgebiet ist, ist das auch nicht weiter überraschend, denn viele Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so rasch wie der globale Mittelwert, der zu 70 Prozent aus Meerestemperaturen gebildet wird. Die mittlere Erwärmung aller Landgebiete lag 2020 bei 2,0 Grad Celsius. Bei 3 Grad globaler Erwärmung sind bei uns also rund 6 Grad Erwärmung zu erwarten.

Sechs Grad Celsius im Jahresmittel – das ist sehr viel. Damit wäre Berlin wärmer als es Madrid heute ist. Und während manch einer dabei vielleicht von mediterranen Verhältnissen träumt, wird dieses völlig neue Klima den Landwirten und der heimischen Tier- und Pflanzenwelt überhaupt nicht gefallen. Schon die vergangenen drei trockenen Hitzesommer seit 2018 haben zu einem gravierenden Waldsterben geführt.

Abbildung 2: Temperaturverlauf in Deutschland nach den Daten des Berkeley Earth Surface Temperature Project. Das Szenario mit 3 Grad globaler Erwärmung liegt zwischen den hellgrün und orange gefärbten Zukunftsszenarien. [3]

Extreme Hitze

Noch wichtiger als die mittleren Temperaturen sind die Extreme. Wo die Menschen heute in Deutschland unter einem Hitzerekord von 39 Grad Celsius stöhnen, dürften es dann eher 45 Grad sein. Oder sogar mehr, wenn die Böden ausgetrocknet sind, was die Hitze noch verstärken kann. Der Sommer 2003, der damals als »Jahrhundertsommer« galt, hat in Europa rund 70.000 Hitzetote gefordert. [4] Der Gipfel der Übersterblichkeit war in Frankreich (wo der Schwerpunkt der Hitze lag) deutlich höher als die Ausschläge während der Covid-19-Pandemie. Die Stadt Paris musste im August 2003 gekühlte Zelte für die vielen Toten aufstellen, weil die Leichenhäuser überfüllt waren.

Das Kühlsystem des menschlichen Körpers funktioniert durch Schwitzen, also durch die Verdunstung von Wasser an der Hautoberfläche, und diese hängt von Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab – je feuchter die Luft bereits ist, desto geringer ist ihre Fähigkeit, weiteren Wasserdampf aufzunehmen und desto schlechter läuft die Verdunstungskühlung. Die relevante Maßzahl für Hitzestress ist die Kühlgrenztemperatur: die tiefste Temperatur, die sich durch direkte Verdunstungskühlung erreichen lässt. Sie heißt auch Feuchtkugeltemperatur, da sie mit einem in nassem Stoff gehüllten belüfteten Thermometer gemessen werden kann.

Die Belastungsgrenze des menschlichen Körpers liegt bei einer anhaltenden Kühlgrenztemperatur von 35 Grad Celsius, doch schon unterhalb von 30 Grad wird es gefährlich, denn wir müssen unsere Körpertemperatur bei circa 37 Grad halten und zudem noch die durch Stoffwechsel und Bewegung im Körper erzeugte Wärme abführen können. In der Hitzewelle 2003 traten in Europa Kühlgrenztemperaturen von 28 Grad Celsius auf.

Bei einer Luftfeuchte von 70 Prozent (typisch für Deutschland im Sommer) wird die selbst für gesunde Menschen nach einigen Stunden tödliche Kühlgrenztemperatur von 35 Grad bei einer Lufttemperatur von 40 Grad Celsius erreicht. Heute wird diese Kühlgrenztemperatur nur selten irgendwo auf der Erde kurzzeitig überschritten, und wenn, dann vor allem am Persischen Golf oder an der mexikanischen Küste. Nach einer aktuellen Studie [5] hat sich die Häufigkeit gefährlicher Werte seit 1979 bereits mehr als verdoppelt, und im Persischen Golf haben 2017 erstmals Monatswerte der Meerwassertemperaturen die 35-Grad-Grenze überschritten – die feuchtegesättigte Brise vom Meer kann bei solchen Temperaturen tödlich sein. In Katar dürfen seit Mai 2021 Arbeiter im Sommer zwischen 10 und 15.30 Uhr nicht mehr im Freien arbeiten.

Bei einer globalen Erwärmung um 3 Grad – die wie gesagt auf vielen Landgebieten 6 oder mehr Grad entspricht – werden sich die während Hitzewellen tödlich heißen Gebiete massiv ausweiten, den Aufenthalt im Freien zunehmend gefährlich machen und dadurch zum Beispiel die Feldarbeit in der Landwirtschaft beeinträchtigen.

Extremniederschläge und Dürren

Die Temperaturen verhalten sich noch annähernd linear – das heißt, sie nehmen proportional zu unseren kumulativen Emissionen an Kohlendioxid zu. Leider gilt das für viele Auswirkungen der Erwärmung nicht. Viele physikalische Effekte nehmen mehr als proportional zu. Das gilt etwa für die Fähigkeit der Atmosphäre, Wasserdampf aufzunehmen. Diese wächst exponentiell mit der Temperatur. Das besagt die Clausius-Clapeyron-Gleichung, ein seit dem 19. Jahrhundert bekanntes, elementares Gesetz der Physik über den Sättigungsdampfdruck von Wasserdampf.

Die gleiche Zunahme gilt auch für den »Dampfhunger« der Atmosphäre. Der Dampfhunger ist die Menge an Wasserdampf, die die Luft bei gegebener relativer Luftfeuchte noch aufnehmen kann. Das ist relevant, weil bei der Erderhitzung die relative Luftfeuchte annähernd konstant bleibt, und daher der Dampfhunger exponentiell zunimmt. Es ist dieser Dampfhunger der Luft, der an heißen Tagen die Böden und die Vegetation austrocknen lässt, wodurch Ernten verdorren und die Waldbrandgefahr ansteigt.

Abbildung 3: Seit Jahren herrscht in Kalifornien große Dürre. Verheerende Feuer sind die Folge. [6]

Extremniederschläge haben auch bereits – wie von Klimamodellen seit drei Jahrzehnten vorhergesagt – in den Messdaten signifikant zugenommen. Das gilt in der weltweiten Summe, ist aber inzwischen auch für viele Regionen der Fall. [7] Wegen der stärkeren natürlichen Schwankungen auf regionaler Skala und der kleineren Fallzahl der Extreme wird das Signal umso später statistisch nachweisbar, je kleiner die betrachtete Region ist. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats zählt auch Mittel- und Nordeuropa zu den Regionen, in denen eine Zunahme schon nachweisbar ist. Eine Studie der ETH Zürich zeigte 2020 auch für Deutschland, die Niederlande und die Schweiz, dass in diesen Ländern eine statistisch relevante Zunahme von Extremregenereignissen beobachtet wird. [8]

Insgesamt nehmen Niederschläge weltweit mit der Erwärmung zu, weil die Verdunstungsrate von den Ozeanen um rund 3 Prozent pro Grad ansteigt. Fast die gesamte Zunahme kommt allerdings in Starkregenereignissen vom Himmel, für die es auf die Wasserdampfmenge in gesättigten Luftmassen ankommt, die laut der erwähnten Clausius-Clapeyron-Gleichung um 7 Prozent pro Grad Erwärmung zunimmt – also rascher als der Wassernachschub durch Verdunstung. Dadurch nimmt Starkregen zu, Tage mit geringem Niederschlag nehmen tendenziell ab und Perioden ohne Niederschlag werden länger. Insgesamt nehmen daher sowohl Starkregenereignisse als auch Dürreperioden zu.

Die Zerstörungen, die Extremniederschläge anrichten können, sind in Deutschland zum Beispiel durch die Elbeflut 2002, die große Flut an Donau und Elbe 2015, die Sturzflut in Braunsbach 2016 sowie die verheerende Ahrtalflut 2021 vor Augen geführt worden.

Bei den Niederschlägen gibt es zudem große regionale und saisonale Unterschiede. Bestimmte Regionen wie der Mittelmeerraum, der mittlere Westen der USA, Südafrika und Australien trocknen zunehmend aus. Für die Landwirtschaft und natürliche Ökosysteme ist die Dürre als Verlust von Bodenfeuchte und Austrocknung der Vegetation relevant. Eine so verstandene Dürre nimmt selbst bei unveränderten Niederschlägen zu, weil in einem wärmeren Klima der Wasserverlust durch Verdunstung ansteigt. Auch für Dürre sieht der aktuelle IPCC-Bericht bereits eine beobachtete und durch die anthropogene Erwärmung verursachte Zunahme für den überwiegenden Teil der Landgebiete der Erde.

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Zu dem simplen Mechanismus, dass warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, kommen Veränderungen der atmosphärischen Dynamik hinzu. Aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass die Persistenz, also die Andauer bestimmter Wetterlagen, in den letzten Jahrzehnten in großen Teilen Europas zugenommen hat. [9] So wird aus einigen heißen Tagen eine gesundheitsgefährdende Hitzewelle oder aus einer trockenen Phase eine anhaltende Dürre. Diese zunehmende Persistenz wird auf eine Verlangsamung der allgemeinen Westwindzirkulation einschließlich des Jetstreams im Sommer zurückgeführt, die wahrscheinlich mit der starken Erwärmung der arktischen Landgebiete zusammenhängt. [10] Nach einer aktuellen Studie hat sich die Arktis in den letzten 40 Jahren sogar viermal stärker erwärmt als der Rest des Globus, [11] was das Temperaturgefälle von den Tropen zur Arktis verringert, das die Westwinde der mittleren Breiten antreibt. Hinzu kommen gelegentlich stark aufgeschaukelte Wellen im Jetstream, die um die ganze Nordhalbkugel herum reichen und dort zu gleichzeitigen Extremen führen. [12]

Ein Albtraumszenario mancher Klimaforscher ist eine gleichzeitige Dürre mit Ernteausfällen in den großen Kornkammern der Nordhalbkugel im Westen Nordamerikas und Russlands, in Westeuropa und der Ukraine. [13] Schon in der Dürre- und Brandkatastrophe im Sommer 2010 hat Russland den Export von Getreide wegen der Ernteausfälle eingestellt, was die Preise bei den Abnehmern in Nordafrika massiv in die Höhe trieb und damit zum »Arabischen Frühling« beigetragen hat, der sich auch an hohen Brotpreisen entzündete. Auch die Revolte in Syrien, die im März 2011 begann, folgte auf die schlimmste Dürre dort in der mehr als hundertjährigen Geschichte der Wetteraufzeichnungen. [14] Konflikthafte, schwache Staaten können durch Extremereignisse und Ernteausfälle destabilisiert werden, mit Auswirkungen auf die Weltpolitik.

Tropische Wirbelstürme

Tropische Wirbelstürme sind eine erhebliche Gefahr in den tropischen und subtropischen Regionen der Erde. So hat im September 2017 der Kategorie-5-Hurrikan Maria große Teile der Insel Puerto Rico zerstört und mehr als 3.000 Menschenleben gekostet. Die Erderwärmung lädt tropische Wirbelstürme mit zusätzlicher Energie auf – denn ihre Zerstörungskraft ziehen diese Stürme aus der im oberen Ozean gespeicherten Wärmeenergie. Deshalb entstehen sie nur in Regionen mit Wassertemperaturen über 26,5 Grad; in gemäßigteren Breiten ist das Meerwasser bislang schlicht zu kalt. Daher haben Klimaforscher seit Jahrzehnten vorhergesagt, dass Tropenstürme stärker werden würden. Lange ließ sich eine Zunahme allerdings nicht mit Daten belegen. Nicht, weil die Daten keine Zunahme zeigten (das taten sie), sondern weil unklar war, wie verlässlich die älteren Daten die Stärke von Tropenstürmen abbilden und ob womöglich vor der Satellitenära manche Tropenstürme fern von Landgebieten gar nicht erfasst wurden.

Doch inzwischen ist eine echte klimatische Zunahme der Tropensturmstärken in den Daten nachweisbar. [15] Der aktuelle IPCC-Bericht konstatiert erstmals, dass der Anteil besonders starker Tropenstürme (Kategorien 3 bis 5) zugenommen hat, wofür der anthropogene Klimawandel die Hauptursache ist. Wer die äußerst vorsichtigen und zurückhaltenden Aussagen des IPCC aus früheren Berichten dazu kennt, versteht die Bedeutung dieser Folgerung. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Tropenstürme sich rascher verstärken können, langsamer fortbewegen (wodurch Bereiche unter dem Sturm länger betroffen sind) und in höhere Breitengrade vordringen – in Europa zum Beispiel vor die Küste Portugals.

Schon länger unstrittig ist, dass die extremen Niederschläge, die oft der Hauptgrund für die Verwüstungen durch Tropenstürme sind, durch die Erwärmung zugenommen haben, wofür wiederum die Clausius-Clapeyron-Gleichung herangezogen werden kann und hier auch besonders die Zunahme der Verdunstung von wärmerem Meerwasser unter dem Sturm. Hurrikan Harvey flutete im August 2017 Houston und wurde gleichauf mit Hurrikan Katrina 2005 (Abb.5) in New Orleans zum teuersten Tropensturm der US-Geschichte (125 Milliarden US-Dollar Schaden). Harvey brachte die ergiebigsten Niederschläge, die jemals in den USA gemessen wurden: Das Maximum lag bei 1.539 Millimeter Niederschlag innerhalb von 4 Tagen. Zum Vergleich: die 3-Tages-Niederschlagssumme im Ahrtal lag bei der Flut im Juli 2021 bei 115 Millimeter.

Abbildung 5: Blick auf das von Hurrikan Katrina verwüstete und überflutete New Orleans. [16]

Ebenfalls unstrittig ist, dass der steigende Meeresspiegel durch die Erderhitzung die Sturmfluten verschlimmert, die durch Tropen- oder andere Stürme verursacht werden. Gerade die letzten zusätzlichen Dezimeter verursachen oft die höchsten Schäden, wenn das Wasser in Gebiete vordringt, wo bislang niemand mit einer Sturmflutgefahr gerechnet hat. Wie etwa bei Hurrikan Sandy 2012, dessen Sturmflut Tunnel der New Yorker U-Bahn flutete. Oder Taifun Haiyan, dessen Sturmflut 2013 die Stadt Tacloban auf den Philippinen dem Erdboden gleichmachte und über 6.300 Todesopfer forderte.

Meeresspiegel und Eisschilde

Auch in Sachen Meeresspiegel hilft die Perspektive der Erdgeschichte. Im Pliozän vor drei Millionen Jahren war der Meeresspiegel zwischen 5 und 25 Meter höher als heute, weil es viel weniger Eis auf den Kontinenten gab. Umgekehrt war der Meeresspiegel auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren 120 Meter niedriger als heute. Die derzeit vorhandenen Kontinentaleismassen, vor allem in der Antarktis und Grönland, sind derart groß, dass sie genug Wasser für 65 Meter globalen Meeresspiegelanstieg liefern können.

Unsere Australopitheci-Vorfahren im Pliozän dürfte der höhere Meeresspiegel wohl kaum gestört haben. Doch an den gegenwärtigen Küstenlinien unseres Planeten liegen mehr als 130 Millionenstädte, dazu andere Infrastrukturen wie Häfen, Flughäfen und rund 200 Kernkraftwerke mit Meerwasserkühlung (wie Sizewell B an der britischen Nordseeküste). Schon ein Meter Meeresanstieg wäre eine Katastrophe. Bislang beträgt der Anstieg seit dem späten 19. Jahrhundert rund 20 Zentimeter, was an manchen Küsten bereits Probleme verursacht. Nicht nur während Sturmfluten, sondern sogar im Rahmen der normalen Gezeitenzyklen, durch die zum Beispiel in Städten an der Ostküste der USA gelegentlich Straßen unter Wasser stehen, was man dort »nuisance flooding« nennt – kein Desaster, aber lästig.

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Beim Meeresspiegelanstieg sieht es so aus, dass die Geschwindigkeit des Anstiegs (zumindest bislang) annähernd proportional zum Temperaturanstieg zunimmt. Das heißt, nach 3 Grad Erwärmung dürfte der Meeresspiegel grob geschätzt etwa dreimal so schnell steigen wie heute. Das liegt unter anderem daran, dass die Kontinentaleismassen umso schneller schmelzen, je wärmer es wird. Der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt sich bereits – das ist nicht nur in den langen Datenreihen der Hafenpegel sichtbar, sondern inzwischen sogar innerhalb der erst seit 1993 laufenden Satellitenmessungen (Abb. 5).

Allerdings gibt es auch hier komplexere Effekte, die dieser einfachen Logik noch eins draufsetzen. Denn Eis schmilzt nicht einfach nur an der Oberfläche, es rutscht auch ins Meer, oder besser: es fließt wie ein zäher langsamer Fluss. Gelangt Schmelzwasser unter das Eis, verringert dies die Bodenreibung und das Eis fließt rascher. Entsprechend steigt auch der Meeresspiegel noch schneller an. In der Antarktis verschwinden außerdem nach und nach die auf dem Meer schwimmenden Eisschelfe, die den Auslassgletschern vorgelagert sind, weil sie im wärmeren Meerwasser von unten abschmelzen. Die Eisschelfe wiederum bremsen das Nachfließen von weiterem Kontinentaleis, sodass sich nach ihrem Verschwinden die Eisströme ins Meer beschleunigen.

Und es wird noch komplizierter: Das Kontinentaleis hat Kipppunkte. Ein Kipppunkt ist der Punkt, an dem die weitere Entwicklung in einen grundlegend anderen Zustand zum unaufhaltsamen Selbstläufer wird, angetrieben durch selbstverstärkende Rückkopplungseffekte. Der Eispanzer auf Grönland hat einen solchen Kipppunkt, ab dem er komplett abschmelzen wird. Die verstärkende Rückkopplung besteht darin, dass die Oberfläche des rund 3.000 Meter dicken Eisschilds automatisch in immer tiefere und damit wärmere Luftschichten gelangt, je mehr die Eisdicke abnimmt. Daher wird ab einem bestimmten Punkt das Eis komplett abschmelzen, auch ohne weitere Erderwärmung. Im Endergebnis wird der globale Meeresspiegel durch den Verlust des Grönlandeises um 7 Meter ansteigen. Dieser Kipppunkt liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen 1 und 3 Grad globaler Erwärmung. [18]

Abbildung 5: Entwicklung des globalen Meeresspiegels, von Hafenpegeln (blau) sowie von Satelliten (orange) gemessen. In den letzten 60 Jahren hat sich der Anstieg kontinuierlich beschleunigt. [18]

Ähnlich sieht es mit dem Westantarktischen Eisschild aus – hier geht es um weitere 3 Meter Meeresanstieg, allerdings durch einen anderen Rückkopplungseffekt, die marine Eisschildinstabilität, durch die Kontinentaleis in unaufhaltsames Rutschen geraten kann. Es gibt Studien, die nahelegen, dass dieser Kipppunkt bereits überschritten und damit der Verlust dieses Eisschilds schon ausgelöst sein dürfte. [19]

Der aktuelle IPCC-Bericht erwartet bei einer Erwärmung von 3 Grad Celsius einen Meeresspiegelanstieg von 70 Zentimetern (gegenüber dem späten 19. Jahrhundert) vor dem Ende dieses Jahrhunderts. Die 1-Meter-Marke wird danach bereits zwischen 2100 und 2150 gerissen. Beim Meeresspiegelanstieg gibt es aber erhebliche Risiken nach oben – das heißt, es könnte noch viel schlimmer kommen, wenn große Eismassen vor allem in der Antarktis destabilisiert werden. Der IPCC schreibt, dass bei hohen Emissionen selbst mehr als 2 Meter bis 2100 und sogar 5 Meter bis 2150 nicht ausgeschlossen werden können, also eine globale Katastrophe von unvorstellbaren Ausmaßen.

Diese Risikobetrachtung ist neu beim IPCC. Noch im 4. Bericht von 2007 hatte er beim höchsten Emissionsszenario eine Spanne von 26 bis 59 Zentimetern zwischen 1990 und 2100 angegeben, was relativ zum späten 19. Jahrhundert etwa 41 bis 74 Zentimetern entspricht (und das in einem Emissionsszenario mit bis zu 5,2 Grad Erwärmung). Zum Risiko von Eisrutschung schrieb der IPCC, dass dadurch möglicherweise 10 bis 20 Zentimeter hinzukommen könnten, sodass bis 2100 selbst bei extremer Erwärmung jedenfalls mit weniger als 1 Meter zu rechnen war.

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Eine Reihe von Kollegen, darunter auch ich, waren damals der Meinung, dass der IPCC die Meeresspiegelrisiken erheblich unterschätzt – nicht zuletzt weil der gemessene bisherige Anstieg bereits rund 50 Prozent schneller verlief als in den Modellszenarien des IPCC. Zudem ging der IPCC davon aus, dass die Antarktis praktisch nichts zum künftigen Anstieg beitragen würde, auch dies in Kontrast zu dem von Satellitendaten bereits gezeigten Eisverlust. Wer in der Klimaforschung manche Dinge pessimistischer einschätzt als der traditionell sehr vorsichtige IPCC, muss aber damit umgehen, in manchen Medien des »Alarmismus« bezichtigt zu werden – auch wenn die Einschätzung korrekt ist und später vom IPCC auch geteilt wird.

Der aktuelle IPCC-Bericht warnt weiter, dass der Meeresspiegel für Jahrtausende weiter steigen wird, nachdem die globale Temperatur stabilisiert wurde, und dass der Anstieg über menschliche Zeiträume unumkehrbar ist – und dies mit »sehr hoher Sicherheit«. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem wegweisenden Urteil 2021 zum Klimaschutz die Generationengerechtigkeit betont. Beim Meeresspiegelanstieg müssen unzählige Generationen nach uns unter den Folgen unserer heutigen Entscheidungen leiden. Und zwar nicht nur wegen eines höheren Meeresspiegels, an den man sich im Laufe eines Jahrhunderts anpassen könnte. Sondern weil der Meeresspiegel jahrtausendelang weiter steigen wird, bei 3 Grad Erwärmung um etwa einen Meter pro Jahrhundert, was die Küstenzonen der Erde erodiert, Strände wegspült, jede Infrastruktur mit ständig wachsenden Sturmflutrisiken bedroht und dauerhafte Küstenstädte, wie wir sie heute noch kennen, kaum mehr möglich macht.

Die Kipppunkte des Klimasystems

Bei den Eisschilden haben wir bereits zwei Kipppunkte des Klimasystems erwähnt, bei denen die weitere Entwicklung zum unaufhaltsamen Selbstläufer wird und damit außer Kontrolle gerät. Solche Kipppunkte gibt es noch mehr, denn letztlich braucht man dazu lediglich eine verstärkende Rückkopplung, eine simple Nichtlinearität, wie sie in vielen physikalischen Systemen vorkommt. Zum Beispiel wird ein Kajak sich wieder aufrichten, wenn man es ein wenig zur Seite neigt – es stabilisiert sich selbst in einer horizontalen Lage und widersetzt sich dem Versuch, es zu kippen. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt – ab da dreht es sich von selbst weiter und stabilisiert sich nun in einer neuen Lage: kopfunter. Dieser kritische Punkt ist buchstäblich der Kipppunkt.

Auch Grönland hat unter heutigen Klimabedingungen zwei stabile Gleichgewichte: mit dem Eispanzer, wie wir ihn heute kennen, und ohne Eisschild. Das Eis stabilisiert sich selbst, weil es einmal da ist und die Oberfläche wegen der 3.000 Meter dicken Eisschicht so kalt ist, dass es nicht schmilzt. Das bezeichnet man als Eishöhen-Rückkopplung. Wäre das Eis dagegen weg, wäre das dann nahe Meeresniveau liegende Grönland nicht kalt genug, um einen neuen Eispanzer zu bilden, und bliebe dauerhaft eisfrei. Entstanden ist der grönländische Eisschild in einem kälteren Klima während einer der früheren Eiszeiten.

Solche Kipppunkte gibt es nicht nur in der Physik, sondern ebenso für Ökosysteme, die sich selbst stabilisieren, aber auch »umkippen« können, wenn eine Belastungsgrenze überschritten wird. Auch der menschliche Körper reguliert selbst seine Temperatur – bis zu einer kritischen Belastungsgrenze, oberhalb derer die Selbstkühlung überlastet ist, zunehmend Organe versagen und der Mensch schließlich stirbt. Auch wir haben also unseren persönlichen Kipppunkt. Das gilt auch für Gesellschaften – der Fall der Mauer war ein Kipppunkt des DDR-Staates. Dabei beschreibt der Begriff Kipppunkt keine Wertung, sondern lediglich eine bestimmte Art von Dynamik; die angestoßene Veränderung kann natürlich auch wünschenswert sein, das liegt im Auge des Betrachters.

Eine Übersicht der wichtigsten Kipppunkte des Klimasystems zeigt Abbildung 6. Bei all diesen Kipppunkten besteht ein Risiko, dass sie bei 3 Grad Erderhitzung überschritten werden. Bei einigen, wie dem Grönlandeis und dem Westantarktischen Eisschild, ist dies sogar sehr wahrscheinlich, bei der sommerlichen Meereisdecke der Arktis und den Korallenriffen der Erde sogar sicher. Der IPCC kommt zum Schluss, dass schon bei 2 Grad Erwärmung so gut wie alle Korallenriffe absterben; bei Begrenzung auf 1,5 Grad könnten wir noch 10 bis 30 Prozent der Korallen retten. Bereits seit 2015 befindet sich unser Planet in einem globalen Korallensterben. [20]

Abbildung 6: Einige der wichtigsten Kippelemente des Klimasystems. Die Pfeile deuten auf Wechselwirkungen hin, wodurch die Teilsysteme sich gegenseitig zum Umkippen bringen könnten. [21]

Die Atlantikzirkulation (oft auch Golfstromsystem genannt) ist eine große Umwälzbewegung des Atlantischen Ozeans, bei der warmes Oberflächenwasser vom Südatlantik über den Äquator bis in den hohen Norden des Atlantiks strömt, wo es abkühlt und Wärme an die Luft abgibt. Das Ganze funktioniert wie eine Zentralheizung für den Nordatlantikraum bis hinein nach Europa. Gefährdet ist diese Strömung vor allem durch Süßwassereintrag durch verstärkte Niederschläge und Eisschmelze. Süßwasser ist leichter als Salzwasser und behindert damit das Absinken des Wassers in die Tiefe und somit den Antrieb der Atlantikzirkulation.

Modelle lassen eine Abschwächung der Strömung durch die globale Erwärmung erwarten, deren Ausmaß aber unsicher ist und von sehr gering bis 50 Prozent in diesem Jahrhundert reicht. Es gibt ernsthafte Hinweise, dass viele Modelle die Stabilität des Golfstromsystems systematisch überschätzen. Eine auffallende Abkühlung des Wassers im subpolaren Nordatlantik seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutet auf eine Abschwächung um bislang 15 Prozent hin. [22] Eine 2021 erschienene Studie sieht bereits Anzeichen dafür, dass wir uns dem Kipppunkt der Atlantikzirkulation nähern. Wenn sich dies bestätigt, ist dies äußerst beunruhigend. [23]

Die Folgen eines Abreißens der Strömung wären massiv und unabsehbar, sie reichen von Extremwetter in Europa über den Kollaps wichtiger Ökosysteme im Nordatlantik bis zu verstärktem Meeresspiegelanstieg an der US-Küste (bis zu einem Meter zusätzlich).

Abbildung 7: Korallenbleiche am Great Barrier: Ab circa 2 Grad Erwärmung könnten alle Korallenriffe absterben. [24]

Die Regenwälder der Amazonasregion sind bereits heute direkt vom Klimawandel betroffen. Satellitendaten und Messungen vor Ort haben gezeigt, dass zunehmende Dürren den Amazonaswald von einer Kohlenstoffsenke in eine Kohlenstoffquelle verwandeln. [25] Bereits heute sind Teile der Baumbestände den neuen Klimabedingungen nicht gewachsen und sterben ab. Mindestens genauso bedeutend ist die Expansion der Landwirtschaft und die damit verbundene Entwaldung, welche die Auswirkungen des Klimawandels noch verstärkt. Dadurch verliert der Amazonaswald bei weiter fortschreitender Abholzung an Resilienz. Der Kipppunkt, der zu weiträumigem Verlust dieses einzigartigen Ökosystems führt, wird bei umso geringerer globaler Erwärmung erreicht, je mehr abgeholzt wird. Der heutige Waldverlust wird bereits auf 20 Prozent beziffert.

Bei zunehmender Erwärmung können auch die an kalte Klimabedingungen angepassten Nadelwälder des Nordens zunehmend in ihrer Existenz gefährdet sein, unter anderem durch Feuer und Insektenbefall. In den letzten Jahren gab es bereits ausgedehnte Waldbrände in Kanada (z. B. in Fort McMurray 2016) und Russland (2010 im europäischen Teil) und sogar innerhalb des Polarkreises (2017 in Grönland, 2018 in Schweden). In der Übergangszone des nördlichen Waldgürtels zur Steppe ist die Regeneration des Baumbestandes möglicherweise durch zunehmende Trockenheit und Hitzestress gefährdet.

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Aktuell im Brennpunkt der Forschung ist das Risiko einer Kaskade von Kipppunkten, die sich wie Dominosteine gegenseitig auslösen. So könnte die Eisschmelze im Nordpolarmeer und auf Grönland das Nordatlantikwasser soweit mit Süßwasser verdünnen, dass die Atlantikzirkulation zum Versiegen gebracht wird.

Dies wiederum würde die tropischen Niederschlagsgürtel verschieben und könnte Teile des Amazonaswaldes sowie die Monsune destabilisieren. Und als sei dies nicht genug, könnte dies die Eisschilde der Antarktis über ihren Kipppunkt treiben. Eine quantitative Einschätzung dieser Risiken ist bislang noch nicht möglich.

Auch der IPCC misst den Kipppunkten eine stark wachsende Bedeutung bei. Wurde der Begriff »tipping point« im 5. IPCC-Bericht nur 27 Mal erwähnt, waren es im 6. Bericht schon 97 Nennungen.

Selbstverstärkung der Erderhitzung

In der Öffentlichkeit wird stark diskutiert, ob nicht nur Teilsysteme umkippen könnten, sondern sogar die Erderwärmung insgesamt ab einem kritischen Punkt zum unaufhaltsamen Selbstläufer wird. Meist wird hier die Freisetzung von Methan aus Permafrost als verstärkende Rückkopplung genannt. Im Jahr 2018 erschien eine Aufsehen erregende Studie dazu im Fachjournal Proceedings of the National Academy, die als »Heißzeitstudie« durch die Medien ging. [26] »Heißzeit« wurde daraufhin sogar zum Wort des Jahres 2018 gewählt.

Die Studie untersuchte, wie stark die in den Klimamodellen noch nicht berücksichtigten Rückkopplungseffekte im Kohlenstoffkreislauf die Erderhitzung noch verstärken könnten. Abgeschätzt wurde dabei nicht nur die Methanfreisetzung aus Permafrost, sondern auch die CO2-Freisetzung aus absterbenden oder brennenden Wäldern und eine abnehmende CO2-Aufnahme der Ozeane.

Die Permafrostregion ist ein global bedeutender Kohlenstoffspeicher, der 1.300 bis 1.600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff enthält und damit wahrscheinlich 50 Prozent des gesamten im Boden gespeicherten Kohlenstoffs weltweit. Die Permafrostgebiete haben sich zwischen 1990 und 2016 bereits um bis zu 4 Grad Celsius erwärmt. Wenn der Permafrost auftaut, wird der Bodenkohlenstoff durch Mikroben zersetzt. Dadurch könnte der im Permafrost gespeicherte Kohlenstoff bis zum Jahr 2100 um 15 Prozent reduziert werden.

Abschätzungen zum gespeicherten Kohlenstoff in lebendem und totem Pflanzenmaterial in der Amazonasregion (Summe ober- und unterirdisch) belaufen sich auf 80 bis 120 Milliarden Tonnen. Würde dieser gespeicherte Kohlenstoff im Extremfall komplett freigesetzt, entspräche dies derjenigen Menge an fossilen CO2-Emissionen, die aktuell in 8 bis 12 Jahren in die Atmosphäre gelangen.

Das Ergebnis der Berechnungen (das leider in vielen Medienberichten etwas zu kurz kam) war, dass aus einer Erwärmung um 2 Grad eine um bis zu 2,5 Grad werden könnte – wenn, wie vorhin erwähnt, sich der Kohlenstoffkreislauf verändert und Rückkopplungen ausgelöst werden. Das ist keineswegs harmlos und verschärft die Klimakrise erheblich – es bedeutet aber nicht, dass ein globaler Kipppunkt zu einer galoppierenden Erwärmung überschritten wird. Dieses Risiko gilt zum Glück nach wie vor als sehr gering, wenn auch nicht völlig auszuschließen.

Das Methanproblem ist auf jeden Fall ernst zu nehmen, aber in diesem Jahrhundert wahrscheinlich weniger dramatisch. Langfristig hingegen schon, denn der auftauende Permafrost wird eine für viele Jahrhunderte nicht zu kontrollierende Quelle von Treibhausgasemissionen schaffen, die zu weiterer Erwärmung führen dürfte, auch nachdem die direkten anthropogenen Emissionen auf null reduziert worden sind.

Fazit

Ohne sofortige, entschiedene Klimaschutzmaßnahmen könnten bereits meine Kinder, die derzeit das Gymnasium besuchen, eine 3 Grad wärmere Erde erleben. Niemand kann genau sagen, wie diese Welt aussehen würde – zu weit wäre sie außerhalb der gesamten Erfahrung der Menschheitsgeschichte. Doch ziemlich sicher wäre diese Erde voller Schrecken für die Menschen, die sie erleben müssten. Wetterchaos mit tödlichen Hitzewellen, verheerenden Monsterstürmen und anhaltenden verbreiteten Dürren, die weltweite Hungerkrisen auslösen könnten. Steigende Meeresspiegel, die unsere Küsten verwüsten. Umkippende Ökosysteme, verheerendes Artensterben, brennende und verdorrende Wälder, versauerte Ozeane. Failed States, riesige Menschenzahlen auf der Flucht.

Das klingt finster und dystopisch und es fällt mir schwer, das zu schreiben, während ich an meine Kinder denke. Aber es ist wahrscheinlich. Das meiste wurde schon lange vorhergesagt und ist in für die Betroffenen durchaus nicht harmlosen Anfängen längst zu beobachten. Man muss nur nüchtern der Tatsache ins Auge blicken, dass die geschilderten Verhältnisse in einer 3-Grad-Welt höchstwahrscheinlich nicht »nur« drei Mal schlimmer als in einer 1-Grad-Welt sein werden, wofür die nicht linearen Effekte und die Kipppunkte sorgen werden. Ich bin nicht sicher, ob das halbwegs zivilisierte Zusammenleben der Menschen, wie wir es kennen, unter diesen Bedingungen noch Bestand haben wird. Ich persönlich halte eine 3-Grad-Welt für eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation.

Was Hoffnung macht, ist, dass diese 3-Grad-Welt kein unvermeidliches Schicksal ist. Noch ist es sogar möglich, die Erwärmung auf nahe der 1,5-Grad-Marke zu begrenzen – was 2015 in Paris von allen Ländern einstimmig beschlossen wurde und wozu hierzulande fast alle Politiker Lippenbekenntnisse abgeben. Die weltweite Klimapolitik macht durchaus Fortschritte: Mit den beim Klimagipfel in Glasgow angekündigten Maßnahmen rückt die Begrenzung auf 2 Grad in Reichweite, wenn diese Maßnahmen nicht nur versprochen, sondern konsequent umgesetzt werden. Doch die Begrenzung auf 2 Grad reicht nicht aus. Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, muss die Welt endlich in den ernsthaften Krisenmodus schalten, wie die jungen Menschen von Fridays for Future völlig zu Recht einfordern. Klimaschutz muss dazu die höchste Priorität bekommen.

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Anmerkungen

1 IPCC (2021): Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate ChangeRep. Cambridge/UK.

2 Abb. 1 Grafik nach Andrew Dessler auf Basis der Daten von: Osman, M. B. et al. (2021): Globally resolved surface temperatures since the Last Glacial Maximum. Nature, 599 (7884): 239-244.

3 Abb. 2 Berkely Earth, https://berkeleyearth.org/policy-insights.

4 Robine, J. M. et al. (2008): Death toll ex-ceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003. Comptes Rendus Biologies, 331 (2): 171-175.

5 Raymond, C.; T. Matthews; R. M. Horton (2020): The emergence of heat and humidity too severe for human tolerance. Science Advances, 6.

6 Abb. 3 Foto: stock.adobe.com/Scott.

7 IPCC (2021).

8 Zeder, J.; E. M. Fischer (2020): Observed extreme precipitation trends and scaling in Central Europe. Weather and Climate Extremes, 29.

9 Hoffmann, P. et al. (2021): Atmosphere similarity patterns in boreal summer show an increase of persistent weather conditions connected to hydro-climatic risks. Sci Rep, 11 (1), 22893.

10 Coumou, D.; J. Lehmann; J. Beckmann (2015): The weakening summer circulation in the Northern Hemisphere midlatitudes. Science, 348 (6232): 324-327.

11 Voossen, P. (2021): The Arctic is warming four times faster than the rest of the world, Science.

12 Kornhuber, K. et al. (2017): Summertime Planetary Wave Resonance in the Northern and Southern Hemispheres. J. Clim., 30 (16): 6133-6150.

13 Kornhuber, K. et al. (2019): Amplified Rossby waves enhance risk of concurrent heatwaves in major breadbasket regions. Nature Climate Change 10: 48-53.

14 Kelley, C. P. et al. (2015): Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. Proc Natl Acad Sci USA, 112 (11): 3241-3246.

15 Kossin, J. P. et al. (2020): Global increase in major tropical cyclone exceedance probability over the past four decades. Proc Natl Acad Sci USA, 117 (22): 11975-11980.

16 Abb. 4 https://photolib.noaa.gov/Collections/National-Weather-Service/Meteorological-Monsters/Hurricane-Katrina/emodule/636/eitem/3661

17 Robinson, A.; R. Calov; A. Ganopolski (2012): Multistability and critical thresholds of the Greenland ice sheet. Nature Clim. Change, 2 (6): 429-432.

18 Abb. 5 Grafik nach Dangendorf, S. et al. (2019): Persistent acceleration in global sea-level rise since the 1960s. Nature Clim. Change, 9 (9): 705-710.

19 Joughin, I.; B. E. Smith; B. Medley (2014): Marine Ice Sheet Collapse Potentially Under Way for the Thwaites Glacier Basin, West Antarctica. Science, 344 (6185): 735-738.

20 Hughes, T. et al. (2018): Spatial and temporal patterns of mass bleaching of corals in the Anthropocene. Science, 359: 80-83.

21 Abb. 6 Grafik nach Lenton, T. M. et al. (2019): Climate tipping points – too risky to bet against. Nature, 575: 592-595.

22 Caesar, L. et al. (2018): Observed fingerprint of a weakening Atlantic Ocean overturning circulation. Nature, 556 (7700): 191-196.

23 Boers, N. (2021): Observation-based early- warning signals for a collapse of the Atlantic Meridional Overturning Circulation. Nature Clim. Change, 11 (8): 680-688.

24 Abb. 7 Foto: stock.adobe.com / the Ocean Agency

25 Brienen, R. J. et al. (2015): Long-term decline of the Amazon carbon sink. Nature, 519 (7543): 344-348.

26 Steffen, W. et al. (2018): Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. Proc Natl Acad Sci USA, 115 (33): 8252-8259.

Aus dem Buch 

Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern

Höchstens 1,5 Grad Erderwärmung: Dieses Ziel wurde 2015 auf dem Klimagipfel von Paris formuliert. Seitdem ist jedoch wenig passiert, im Gegenteil: Der Ausstoß von CO2 ist weiter gewachsen.

  

Der Autor 

Stefan Rahmstorf ist international renommierter Klimaforscher und hält an der Universität Potsdam die Professur für Physik der Ozeane. Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) leitet er die Abteilung ...

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