Von 1972 zum Dekarbonisierungsziel

Die Grenzen des Wachstums werden konkret

Vor 50 Jahren erschien der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit mit dem pro­grammatischen Titel »Die Grenzen des Wachs­tums«. Die resultierende Diskussion ist bis heute relevant, insbesondere für die Aufgabe der Dekarbonisierung. Von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt

29.07.2022

Die Grenzen des Wachstums werden konkret | Postwachstumsökonomie Postwachstum Grenzen des Wachstums Dekarbonisierung

Zum Zeitpunkt des Erscheinens hatte die beeindruckende Wachstumsdynamik der Nachkriegszeit Deutschlands – wie anderswo in der westlichen Welt – bereits Brüche: Deutschland hatte 1966 eine unerwartete wirtschaftliche Rezession und verabschiedete deshalb 1967 das sogenannte »Stabilitäts- und Wachstumsgesetz«, damit wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen zu einem »stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstum« (§ 1) beitragen.

Bericht des Club of Rome und sein Kontext

Auch waren die ökologischen Folgen des Wirtschaftens nicht mehr zu ignorieren: Schon 1961 forderte Willy Brandt im Wahlkampf einen »Blauen Himmel über der Ruhr«, 1972 fand die erste UN-Umweltkonferenz in Stockholm statt. Der Bericht kam also nicht aus heiterem Himmel, sondern er reflektierte eine Besorgnis um potenziell kommende Krisen. Die Kritik des Berichts traf die Grundfeste des geltenden Wachstumsparadigmas.

Entsprechend tiefgehend waren die Folgerungen von Meadows et al. (1972, 153): »Sehr große Anstrengungen wären erforderlich, um eine selbstauferlegte Beschränkung des Wachstums zu erreichen. Man müsste lernen, sehr viele Dinge in völlig anderer Art zu tun. Die Erfindungsgabe, Anpassungsfähigkeit und Selbstdisziplin der Menschheit würden auf eine harte Probe gestellt.« Die Reaktionen auf den Bericht waren leidenschaftlich: Unbedingte Ablehnung einerseits und kräftige Inspiration für die beginnende moderne Umwelt- bewegung andererseits.

Scheinbar unbeeindruckt führen seither Politik und Gesellschaft den Wachstumskurs fort und verstärken bei Wachstumseinbrüchen regelmäßig ihre Anstrengungen zugunsten von Wachstum. Entsprechend fand der Bericht während der 1980er und 1990er Jahre kaum Gehör. Und auch in der Umweltforschung und -bewegung wurde es still um Wirtschaftswachstum.

Lesetipp: »2052. Der neue Bericht an den Club of Rome« von Jørgen Randers

Dafür lassen sich zwei Erklärungsstränge identifizieren: Obwohl die ökologischen Probleme zunehmend dringlich wurden und damit auch eine Abkehr von der Fixierung auf Wirtschaftswachstum, entstanden Strategien und Paradigmen, um der Wachstumsfrage auszuweichen beziehungsweise sie zu ignorieren. Beispiele dafür sind ab den 1980ern Jahren die Idee des qualitativen Wachstums und die ökologische Modernisierung, ab den 1990ern die nachhaltige Entwicklung und die Effizienzrevolution, ab den 2000ern der ökologische Strukturwandel und grüner Konsum und schließlich seit der Krise von 2008 grünes Wachstum. Dabei glaubte und hoffte man, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ließen sich absolut entkoppeln. Jüngste Studien machen diese Hoffnung zunichte (bspw. Haberl et al. 2020). Damit kann im grünen Wachstum kein Heilsbringer mehr gesehen werden.

Die Studie wurde zweifellos von den Kritiker*innen verkürzt wahrgenommen, es wurde Schwarzmalerei unterstellt und sie wurde diskreditiert: Künftige Ressourcenfunde sowie technische Umweltlösungen wären unterschätzt, ebenso das Potenzial von Effizienz und menschlichem Erfindergeist, es gäbe die Möglichkeit, natürliches Kapital durch Finanzkapital zu ersetzen, die Computermodelle seien zu banal. Tatsächlich werden seit 1972 wiederholt neue Ressourcen gefunden. Die Doomsday-Szenarien schienen vielen widerlegt. Doch jüngere Studien wie die von Turner (2008) zeigen, dass die Szenarien der Grenzen des Wachstums durchaus im Bereich möglicher Entwicklungen liegen.

Eine Müllhalde mit rauchenden Schornsteinen im Hintergrund

Die fortgesetzte Priorität für Wirtschaftswachstum ist ökologisch zweifach schädlich: Wegen des einhergehenden zunehmenden Umweltverbrauchs und weil Umweltpolitik regelmässig unter Wachstumsvorbehalt gestellt wird. Letzteres erklärt sich dadurch, dass unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auf der Annahme ständigen Wirtschaftswachstums aufbaut und bei einem Ausbleiben von Wachstum verschiedene zentrale gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können. Dazu gehören die soziale Absicherung, Erwerbsarbeit oder der soziale Ausgleich.

Das Konzept der Postwachstumsgesellschaft fordert, die relevanten zentralen Bereiche so umzugestalten, dass sie ihre Funktionen auch ohne Wachstum erfüllen können. Wachstumsfördernde Politiken werden dann unnötig und selbst potenziell wachstumsschädigende Umweltpolitik lässt sich dann einfacher durchsetzen. Damit die nötigen ökologischen Verbesserungen stattfinden können, müssen zugleich der Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung innerhalb der planetaren Grenzen bleiben (Seidl und Zahrnt 2010).

Ziel ist also eine gesellschaftliche, politische und ökonomische Wachstumsunabhängigkeit. Damit ist kein Wachstumsverbot gemeint, denn im Zuge der Dekarbonisierung wird es durchaus Wachstum geben (z. B. beim Ausbau erneuerbarer Energie, öffentlichen Verkehrs), dies muss allerdings einhergehen mit dem Abbau und Ende bei der Nutzung fossiler Energiequellen, damit die ökologischen Grenzen eingehalten werden.

Dekarbonisierung: Postwachstum noch dringlicher

Die Notwendigkeit, die Weltwirtschaft und -gesellschaft zu dekarbonisieren, ist dank des Pariser Klimaabkommens unbestritten. Sein Ziel, die durchschnittliche globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf einen maximalen Temperaturanstieg von 1,5 °C zu begrenzen, bedeutet, dass das CO2-Budget noch 7,5 Jahre reicht (Siehe CO2-Uhr des MCC »). Das Zeitalter der fossilen Energie muss also bald enden.

Jedoch ist günstige und reichliche fossile Energie einer der Hauptgründe für das starke Wirtschaftswachstum ab den 1950ern (siehe der Beitrag von Christian Pfister »Klimawandel in historischer Perspektive. Der Klimastress als spätes Erbe der 1950er Jahre« in Ökologisches Wirtschaften 02-2022). Folglich könnte ein Verzicht auf fossile Energie, sollte sie nicht durch andere günstige Energie oder deutliche Effizienzmaßnahmen ersetzt werden, das Wirtschaftswachstum bremsen oder gar Rezessionen auslösen

Entsprechend werden große Hoffnungen darin gesetzt, die fossile Energie durch erneuerbare Energie in gleicher Menge und zu ähnlichem Preis ersetzen zu können. Während dies viele für realisierbar halten (z. B. Prognos et al. 2020), erachten es andere als Wunschdenken (z. B. Morgan 2016). Wenngleich der Ausbau erneuerbarer Energie beeindruckend ist, so sank der Anteil der fossilen Energie am globalen Endenergieverbrauch zwischen 2009 und 2019 nicht und beträgt 80% (REN 21, 6). Gründe sind eine Zunahme der Endnachfrage – vor allem durch Wohlstand und Bevölkerungswachstum – ein unzureichender Ausbau der Erneuerbaren und fehlender Abbau fossiler Energienutzung. Suffizienz und Verbrauchsreduktion spielen bislang in der Energiepolitik kaum eine Rolle.

Von Dekarbonisierung kann also bisher kaum gesprochen werden. Eine solche würde höhere Energiepreise voraussetzen (die mindestens die externen Kosten widerspiegeln) und bessere Förderbedingungen für erneuerbare Energien (rechtlich, institutionell, ökonomisch). Damit dürfte eine Dekarbonisierung höhere Energie- und damit auch Produktions- und Konsumgüterpreise bedeuten, was das Wirtschaftswachstum bremst.

Doch eine Dekarbonisierung löst auch den Aufbau neuer Strukturen aus: Den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und Entwicklung neuer Verkehrssysteme, energetische Erneuerung des Gebäudeparks und Umbau der Landwirtschaft. Dies bedeutet neue Wachstumsdynamiken (die allerdings nicht zu neuen Wachstumsabhängigkeiten führen sollten) und zusätzlichen Energie- und Ressourcenverbrauch. Parallel muss es Rückbau geben, damit die CO2-intensiven Aktivitäten sinken.

Mehr lesen: Postwachstumsökonomie – unsere Buchtipps zu Degrowth, Suffizienz und mehr

Aufgrund dieser Transformation dürfte in der Summe (wieder) ein höherer Teil von Ressourcen und Energie für öffentliche und private Investitionen verwendet werden, was Konsumpreise erhöhen und damit Wachstum dämpfen dürfte. Die Entwicklungen werden widersprüchlich und konfliktbeladen sein und Instabilität bedeuten. Zwar hat geschichtlich Strukturwandel immer wieder stattgefunden, aber davon war zumeist nur ein Sektor betroffen (z. B. Textilindustrie), während die Dekarbonisierung neben dem Umbau der Energieversorgung gleichzeitig alle energienutzenden Bereiche betrifft. Hinzu kommt, dass angesichts der vielgestaltigen ökologischen Krisen weitere Beschränkungen der Ressourcennutzung nötig sind, was das Wachstum weiter bremsen wird.

Es ist also realistisch davon auszugehen, dass eine Dekarbonisierung insgesamt zu einer weiteren Verringerung des Wachstums führen wird. Umso dringender ist es, zugleich die Entwicklung einer Postwachstumsgesellschaft voranzubringen, um nachteilige Folgen verringerten Wachstums zu minimieren und neue Formen des Wohlergehens zu ermöglichen.


Literatur

Haberl, H./Wiedenhofer, D./Virág, D./Kalt, G./Plank, B./Brockway, P./ Fishman, T./Hausknost, D./Krausmann, F./Leon-­Gruchalski, B./Mayer, A./Pichler, M./Schaffartzik, A./Sousa, T./Streeck, J./Creutzig, F. (2020): A systematic review of the evidence on decoupling of GDP, resource use and GHG emissions, part II: synthesizing the insights. In: Environmental Research Letters 15/6: 065003. doi: 10.1088/1748­-9326/ab842a

Meadows, D. H./Meadows, D. L./Randers, J./Behrens, W. W. I. (1972): Die Grenzen des Wachstums: Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart, Deutsche Verlags­-Anstalt.

Morgan, T. (2016): Life After Growth. Hampshire, Harriman House.

Prognos, Öko-­Institut, Wuppertal­-Institut (2020): Klimaneutrales Deutsch­land. Zusammenfassung im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität. https://static.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2020/2020_10_KNDE/A-EW_192_KNDE_Zusammenfassung_DE_WEB.pdf

REN21 (2022). Takeaways from the Renewables 2021 Global Status Report. REN21. Paris, REN21 Secretariat.

Seidl, I./Zahrnt, A. (Hrsg.) (2010): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Marburg, Metropolis. doi: 10.14512/oew.v25i3.1066

Turner, G. M. (2008): A comparison of The Limits to Growth with 30 years of reality. Global Environmental Change 18: 397–411.

Die Grenzen des Wachstums neu gedacht

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